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In Südkorea heiraten junge Sektenanhänger bei Massentrauungen

Foto: Julia Sellmann

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Februar 2016: Überall auf der Welt steigen Tausende junge Menschen in Flugzeuge nach Südkorea. Sie haben Anzüge dabei und Brautkleider, schließlich wollen sie in Gapyeong, zwei Stunden Fahrt östlich von Seoul, heiraten. Und zwar Menschen, die sie, wenn überhaupt, vorher vielleicht einmal gesehen hatten. Per Skype. Ihre Eltern haben sie ausgesucht. Und das Verrückteste daran: Diese jungen Menschen freuen sich darauf.

Einmal im Jahr veranstaltet die Moon-Kirche, eine ursprünglich südkoreanische Religionsgemeinschaft, in Gapyeong ihre Massenhochzeiten. Nach eigenen Angaben hat die Kirche weltweit mittlerweile drei Millionen Mitglieder. Zu Spitzenzeiten, heißt es, werden 5000 Paare an nur einem Tag miteinander verheiratet. Beobachter gehen allerdings von weitaus niedrigeren Zahlen aus – und stufen die „Kirche“ als Sekte ein. 

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Im Februar 2016 reiste die Dortmunder Fotografin Julia Sellmann nach Südkorea. Ihr Ziel: Die dort jährlich stattfindenden Hochzeiten der Moon-Bewegung. Im Foto das extra für die Hochzeiten erbaute Stadium mit Platz für 25.000 Menschen.

Foto: Julia Sellmann
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Eine Busbahnhofladung voller Hochzeitsgäste.

Foto: Julia Sellmann
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Der Hochzeitstag erinnerte die Fotografin eher an ein Musical als eine Trauung.

Foto: Julia Sellmann
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Kitsch ist ein Muss.

Foto: Julia Sellmann

Im Anschluss an die Trauung fragte sie mit einem Schild um den Hals auf dem auf Koreanisch stand "Darf ich ein Porträt von Ihnen machen?" die Hochzeitspaare um Erlaubnis sie zu fotografieren.

Fotos: Julia Sellmann
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Die Paare sind möglichst international und sehen sich oft an diesem Tag zum ersten Mal.

Foto: Julia Sellmann
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Die Religionsgemeinschaft wurde 1954 von dem Südkoreaner Sun Myung Moon gegründet, nachdem er eigenen Angaben zufolge eine Vision von Jesus Christus hatte.

Fotos: Julia Sellmann
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Dieser forderte von ihm Frieden in die Welt zu bringen. Moons Idee: Wie ginge das besser als mit internationalen Hochzeiten?

Fotos: Julia Sellmann
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Seitdem werden jährlich bis zu 5000 Paare in einer Massenzeremonie in Gapyeong, zwei Stunden östlich von Seoul, verheiratet.

Fotos: Julia Sellmann
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Julia Sellmann fand besonders interessant, wie die sich bis dahin fremden Paare auf den Hochzeitsfotos zueinander stehen.

Fotos: Julia Sellmann
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"Ihre Körpersprache zeigte mir, dass sie nicht wussten, wie sie nebeneinander stehen sollen. Ob sie sich an der Hand nehmen sollten, in den Arm, wie viel Distanz angemessen ist", sagt Sellmann.

Foto: Julia Sellmann
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Eigenen Angaben zufolge hat die Moon-Kirche niedrigere Trennungsraten als bei zivil geschlossenen Ehen. In ein paar Jahren will Julia Sellmann das überprüfen.

Foto: Julia Sellmann

Die Fotografin Julia Sellmann wurde 1992 in der Nähe von Lüdenscheid geboren. Sie hat an der FH Dortmund Fotografie studiert und interessierte sich schon immer für besondere Religionsgemeinschaften. Für ihr Bachelorprojekt lebte sie mehrere Wochen bei einer Jesus-Sekte in Sibirien.

Foto: Privat

Die jungen Menschen in den Flugzeugen sehen das anders. Sie sind von ihren Hochzeitsplänen so überzeugt, weil sie denken, mit ihrer Heirat das Werk des 2012 verstorbenen Moon-Gründers Sun Myung Moon weiterzuführen: Frieden für die Welt. Moon, so sagt es zumindest die Legende, hatte nämlich am Ostersonntag 1935 eine Christus-Erscheinung. Jesus sagte ihm, er solle die Welt erlösen und Frieden stiften. Und wie, so Moons Gedanke, ginge das besser, als wenn jeder jeden liebt? International arrangierte Ehen waren für ihn die einzige Lösung. Seit den 60er-Jahren feiert die Kirche der Moon, auch bekannt als „Vereinigungskirche“, deshalb Massenhochzeiten.

Die Dortmunder Fotografin Julia Sellmann durfte nun im Februar 2016 als einzige deutsche Fotografin bei einer dieser Massenhochzeiten dabei sein. „Married to the Munies“ heißt ihre Porträtserie. Die 24-Jährige kennt sich mit exotischen Religionsgemeinschaften aus. Und mit der Frage, wie man am besten mit ihnen umgeht: Für ihre Bachelorarbeit lebte sie mehrere Wochen bei einer Jesus-Sekte in Sibirien.

Die Frage, die Julia Sellmann bei den Munies beschäftigte: Kann bei so einer Massenhochzeit Nähe entstehen? Offiziell wurden bei der Zeremonie, der sie beiwohnen durfte, 4000 Paare verheiratet. Der Unterschied zu deutschen Hochzeiten ist gewaltig: Während es hier vor allem darum geht hervorzuheben, wie individuell die eigene Liebe ist, sollen dort möglichst viele Menschen maximal effizient zu Eheleuten werden.

Nach Ankunft gibt es für alle einen blauen Müllsack. Darin: Plastik-Tiara, Schleier, Handschuhe und Schal

 „Um die Massen an Leuten überhaupt unterzubringen, wurden extra zwei Hotels gebaut – in einem sind die Heiratswilligen aus dem asiatischen Raum und in dem anderen der Rest untergebracht“, erzählt Sellmann. Sie selbst übernachtete in dem für internationale Gäste, und bekam so einen Einblick in die Abläufe vor der Trauung. „Im Hotel bekamen die Paare gegen Gebühr so eine Art blauen Müllsack“, sagt Julia Sellmann. „Darin waren eine Plastik-Tiara, ein Schleier, Handschuhe und ein Schal für den Mann, bedruckt mit dem Logo der Vereinigungskirche.“ Die Grundausstattung für die Hochzeit. Brautkleid und Anzug bringen die Paare selbst mit. Die Ringe kaufen die Verlobten im Hotel. „Im Anschluss wurden die Bräute von 20 Kosmetikerinnen im Akkord geschminkt. Danach konnten sie sich nicht mehr ins Bett legen. Also haben sie, wenn überhaupt, bis zur Trauung nur im Sitzen geschlafen.“ Dann fuhren sie im Bus zu einem Stadion mit 25.000 Plätzen.

„Im Bus war die Atmosphäre angespannt. Erst als wir im Stadion ankamen, kam Stimmung auf“, sagt Sellmann. Auf der Bühne gibt es Gesang, Tanzgruppen, Reden. Das Publikum schaut zu und applaudiert. Insbesondere als Hak Ja Han, Witwe des Gründers Sun Myung Moon, die Bühne betritt. Sie und ihr jüngster Sohn sind mittlerweile die Oberhäupter der Kirche. Als sie die Bühne betritt, sind manche Zuschauer auf ihren weißen Plastikstühlen schon eingeschlafen.

Die Trauung selbst empfand Sellmann als eher unromantisch: „Es wurde eine etwa 15-minütige Audioaufnahme vom Moon-Gründer eingespielt, in dem dieser die Brautpaare auffordert, sich in Reihen aufzustellen und einander anzusehen. Dann sagt er: ‚Jetzt seid ihr verheiratet‘.“ Das war’s. Kein Kuss, keine Liebesschwüre.

Leidenschaft hat die Fotografin auch sonst recht vergeblich gesucht. Die frisch Verheirateten müssen nach der Hochzeit 40 Tage abstinent leben. Erst danach geht es an die Kinderplanung. Die ist allerdings wichtig für die Bewegung – viele der Paare auf Sellmanns Fotos haben Eltern, die selbst bei einer Massenhochzeit vermählt wurden. Das System erhält sich selbst. Wie pragmatisch die Moon-Hochzeiten sind, zeigt auch die Tatsache, dass die Moon-Mitglieder für ihre Vermählung nicht zwingend nach Südkorea reisen müssen. Theoretisch kann, wer möchte, auch vor dem Fernseher bei der Liveübertragung heiraten.  

Im Anschluss an die Trauung machte Julia Sellmann Porträts einzelner Paare. „Ich bin mit einem Schild rumgelaufen, auf dem auf Koreanisch stand: ‚Wer möchte sich von mir fotografieren lassen?‘“ Es sei ihr wichtig gewesen, möglichst verschiedene Paare zu fotografieren. „Ich wollte, dass der Betrachter sie typologisch vergleicht. Anfängt, sich Gedanken über ihre Herkunft, ihr Alter und ihre Gefühlswelt zu machen.“

„Wenn jemand enttäuscht von seinem Partner gewesen wäre, hätte es niemand zugegeben."

Und was war nun die Antwort auf ihre Ausgangsfrage? Waren die Paare verliebt? War da Nähe? Enttäuschung? „Wenn jemand enttäuscht von seinem Partner gewesen wäre, hätte es niemand zugegeben. Aber wer aus religiösen Gründen Tausende Kilometer nach Südkorea fliegt, um dort einen Fremden zu heiraten, für den ist die Frage nach dem Aussehen wohl auch nicht wichtig“, sagt Sellmann. Fasziniert habe sie allerdings das Fremdeln der Paare: „Ihre Körpersprache zeigte mir, dass sie nicht wussten, wie sie nebeneinander stehen sollen. Ob sie sich an der Hand nehmen sollten, in den Arm, wie viel Distanz angemessen ist.“

Die Mitglieder der Moon-Gemeinschaft behaupten, weitaus geringere Trennungsraten zu haben als bei regulären Ehen üblich. Julia Sellmann hat die Kontaktdaten der meisten Fotografierten. In ein paar Jahren wird sie das überprüfen können.

Mehr über das Aufwachsen in einer besonderen Religionsgemeinschaft - und das Leben danach:

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