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Mädchen, wie fühlt sich Clintons Niederlage für euch an?

Ilustration: Katharina Bitzl, Foto: AFP

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Liebe Mädchen,

Hillary Clinton wird nicht die erste Präsidentin der USA. Sie war kurz davor, die wohl mächtigste Frau der Welt zu werden. Und ist dann doch gescheitert. Zum zweiten Mal, nachdem sie schon 2008 das Bewerber-Rennen, damals gegen Barack Obama verloren hatte. Ich frage mich jetzt: Inwiefern juckt euch das?

Und zwar unabhängig ­­von der Tatsache, dass stattdessen der ausgewiesene Frauenfeind Donald Trump US-Präsident wird. Mich interessiert also, ob für euch mehr in der Nachricht steckt, dass die USA offensichtlich doch noch nicht so weit sind, eine Frau im Weißen Haus die Hosen anhaben zu lassen. Ob eine Frau an der Macht vielleicht schon ein Sieg für sich gewesen wäre – unabhängig davon, wofür diese Frau steht?

Ich vermute: eigentlich eher nicht. Im Vorwahlkampf hatten ja schon bis zu 80 Prozent der jungen Wählerinnen unter 30 für Clintons parteiinternen Konkurrenten Bernie Sanders gestimmt. Hillary war nie sehr beliebt. Viele Amerikaner misstrauen ihr, der ehemaligen Außenministerin. In ihrer Rede nach ihrer Niederlage rief sie trotzdem: "Hört nie auf, daran zu glauben, dass der Kampf für das, was richtig ist, den Aufwand wert ist!"

Und damit könnte da ja doch noch etwas mehr für euch drinstecken. Denn sie wollte die USA doch ein bisschen gerechter machen, im Hinblick auf die Einwanderung und auf familienpolitische Themen. Sie wollte dafür sorgen, dass gleiche Arbeit für Männer wie Frauen gleich entlohnt wird. Und Oberbefehlshaberin der US-Streitkräfte wäre sie auch geworden.

Und schließlich impliziert ihr Misserfolg doch auch, dass es für eine Frau halt immer noch nicht reicht, hart zu arbeiten, die bestmögliche akademische Ausbildung absolviert zu haben und jede Menge praktische Erfahrungen zu sammeln, oder? Nie zuvor war ein Bewerber doch so qualifiziert wie Hillary Clinton.

Klickte und las man sich vor der Wahl durch die weltweiten Medien, herrschte deshalb der Tenor: Hillarys Triumph in den USA wäre ein Triumph für Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt. Klickte und las man sich parallel dazu allerdings wiederum durch Clintons Aussagen zum Thema „Frau sein“, wurde klar: Sie wollte das „Frau sein“ nie zu einem Thema ihres Wahlkampfes machen. Genau wie Angela Merkel übrigens 2005, als sie zur ersten Frau an der Spitze der deutschen Politik wurde. Widerspricht sich also alles ein bisschen und das macht die Frage ja nur spannender: Wo steht ihr da?

Ist die Nachricht von Hillarys Niederlage für euch ein Signal oder eben genau das: eine Niederlage? Fühlt ihr euch nun entmutigt? Und habt ihr das Gefühl, dass Frauen mit Ambitionen auf höchste Ämter und Positionen der Weg weiter versperrt bleiben wird? 

Herzlichst,

Eure Jungs

Die Mädchenantwort:

maedchenfrage

Hauptsache: Reset - Geschichten übers Neuanfangen. Hier findest du alle Texte aus unserem Schwerpunkt-Thema.

Illustration: Katharina Bitzl

Liebe Jungs,

 

ich habe noch nie in meinem Leben wegen des Ausgangs einer Wahl geheult. Bis Mittwoch. Als das Unvorstellbare passierte und Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde. Es ist eine Katastrophe, dass Trump gewonnen hat, auf vielen Ebenen – für die Umwelt, die LGBTQ-Community, Afroamerikaner, Muslime in den USA, Europa, die ganze Welt. Aber hier soll es jetzt darum gehen, warum es für uns Frauen nicht nur eine Katastrophe ist, dass Trump gewonnen hat, sondern vor allem, dass Clinton verloren hat (und dann auch noch ausgerechnet gegen ihn).

 

Was mich direkt nach der Wahl vielleicht am meisten schockiert hat, ist diese Statistik:  53 Prozent aller weißen Wählerinnen haben gegen Hillary Clinton und für Donald Trump gestimmt.

 

Versteht das nicht falsch. Ich halte nichts davon, Frauen zu sagen, sie müssten wegen ihres Geschlechts für den weiblichen Kandidaten stimmen. Das ist Quatsch und hat mit Feminismus wenig zu tun. Denn ich bin davon überzeugt, dass es bei politischen Wahlen vor allem darum geht, für den Kandidaten zu stimmen, dessen Politik mit der eigenen Überzeugung am meisten übereinstimmt. Und dass eine Frau nicht automatisch der bessere Kandidat ist, weil sie weiblich oder (ja, das Argument kam durchaus im Wahlkampf) eine Mutter ist. Es gibt beschissene Frauen und schlimme Mütter.

 

Doch in diesem konkreten Fall hat die Mehrheit der weißen Frauen für einen Kandidaten gestimmt, der damit geprahlt hat, Frauen sexuell zu belästigen ("Grab 'em by the pussy"). Der der Meinung ist, Frauen müssten in irgendeiner Form „bestraft“ werden, wenn sie eine Abtreibung vornehmen lassen. Der Frauen ausschließlich danach bewertet, wo sie auf einer von ihm festgelegten Hotness-Skala stehen.

 

Mehr als die Hälfte der weißen Frauen ist also der Meinung, dass Trump geeignet für das Amt ist. Dieser offen sexistische, frauenfeindliche Kandidat, der noch dazu keinerlei politische Erfahrung hat, nicht mal den Hauch einer Ahnung von der Arbeit eines Präsidenten, in den Debatten immer so klang wie ein Schuljunge, der nicht genug auf die mündliche Prüfung gelernt hat, und dessen außenpolitische Pläne so ausgereift scheinen wie eine Avocado im Discounter. Genauer: Mehr als die Hälfte der weißen Frauen Amerikas halten ihn für geeigneter als Hillary Clinton, die nicht nur von Barack Obama als qualifiziertester Kandidat bezeichnet wurde, der jemals für das Präsidentenamt kandidiert hat. Und das ist es, was ich einfach nicht fassen kann.

 

Ich kann es tatsächlich nicht fassen. Und versuche doch zu verstehen, warum es soweit kommen konnte. Und finde manche Erklärungsansätze. Zum Beispiel diesen hier von Lindy West in der New York Times: "Wir, in unserer Kultur, nehmen Frauen auf einer sehr profunden Ebene nicht ernst. Wir glauben Frauen nicht und wir trauen ihnen nicht. Wir mögen keine Frauen. Ich verstehe, dass viele Männer das nicht sehen können, und noch viel mehr Männer sich nicht dafür interessieren. Ich weiß, dass viele Männer diesen Text lesen werden und darüber lachen, oder defensiv werden, oder mich hysterisch nennen oder Schlimmeres und das ist okay. Ich bin daran gewöhnt. Das bedeutet aber nicht, dass ich falsch liege." 

 

Oder den hier von Alexandra Borchardt, die in der Süddeutschen Zeitung zu erkunden versucht, was die Niederlage Clintons für Frauen bedeutet: "Für (Frauen) zerschlägt sich damit ein Traum, bei dem es um mehr geht als die Person Hillary Clinton: dass es für eine Frau reicht, hart zu arbeiten, eine Spitzenausbildung zu absolvieren, praktische Erfahrungen zu sammeln und nie aufzugeben, um ganz nach oben zu kommen. Denn noch nie war ein Bewerber so qualifiziert für das höchste amerikanische Staatsamt wie Hillary Clinton. Allein: Es reichte nicht. Und es reicht für viele Frauen mit Ambitionen auf andere Ämter und Positionen auch nicht."

 

Ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber für mich ist das eine extrem laute Botschaft, die mir da um meine privilegierten und offensichtlich komplett ahnungslosen Ohren gehauen wird:  Donald Trump hat keinerlei Respekt für Frauen. Das hat er wieder und wieder und wieder und wieder bewiesen. Aber das hat anscheinend viele Menschen nicht davon abhalten können, für ihn zu stimmen. Im Gegenteil: Wahrscheinlich waren es genau diese Worte und Taten, die ihn für ein bestimmtes Wählerklientel attraktiv gemacht hat.

 

Oder wie der Komiker Patton Oswald gleich nach der Wahl twitterte:

Ich habe seit Mittwoch schon ungefähr fünfmal versucht, mir die Rede von Hillary Clinton anzuschauen, in der sie ihre Niederlage eingeräumt hat. Ich komme nicht über die ersten paar Sätze hinaus, ohne in Tränen auszubrechen. (Und nein, ich neige normalerweise nicht zu Heulanfällen). Zum Glück gibt es Twitter, wo dieser Satz aus ihrer Rede geteilt wurde, zu dem ich vermutlich erst in ein paar Wochen kommen werde:

 

"An all die kleinen Mädchen da draußen, die jetzt zuschauen: Zweifelt nie daran, dass ihr wertvoll und mächtig seid. Und es verdient, jede Chance und Gelegenheit in der Welt zu ergreifen und eure eigenen Träume zu suchen und zu erreichen.“ 

Es ist gerade nicht leicht, an diese Worte zu glauben. Aber weil es nicht anders geht, weil Aufgeben nun mal keine Option ist, werden wir auch diesmal aufstehen und weitermachen. Wie all die Generationen von Frauen vor uns.

 

Eure Mädchen.

 

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