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„Ob ein Schwein krank oder gesund aufgewachsen ist, spielt für den Preis momentan keine Rolle“

Foto: Arno Burgi / dpa

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Ein wütender Facebookpost über die Dumping-Preise beim Schweinefleisch bringt gerade den Discounter Aldi in Bedrängnis: Bei einem Preis von 1,99 Euro fürs Nackensteak könne ja nur am Wohl der Tiere und an den Arbeitsbedingungen vor Ort gespart worden sein. Der Foodwatch-Experte Matthias Wolfschmidt hat eine differenziertere Meinung zum Thema. Allein über den Preis lässt sich laut ihm nämlich nur bedingt feststellen, ob das Steak auf dem Grill von einem glücklichen oder totkranken Tier stammt. Trotzdem hält er die Diskussion über die Verantwortung der Handelskonzerne für mehr als überfällig.

 jetzt: Herr Wolfschmidt, ist Fleisch für 1,99 ein sicheres Zeichen für die Ausbeutung von Tier und Mensch?

Matthias Wolfschmidt: Zunächst einmal: Was die Angebote betrifft, sind ja tatsächlich die meisten Supermarktketten gleich. So sicher, wie die Grillsaison kommt, so sicher kommen auch die Angebote. Den Discountern geht es dabei darum, die sogenannte Preisführerschaft zu übernehmen – also den günstigsten Preis von allen. Die Auszahlung, welche die Bauern aber momentan für ihr Schweinefleisch bekommen liegt gerade bei 1,80 für das Kilo Schlachtgewicht, so hoch wie lange nicht mehr. Der Satz "Aldi verkauft sein Fleisch extra billig, deswegen bekommen die Tierhalter extra wenig und sparen am Tierwohl" stimmt also nicht.

Es gibt da also ihrer Meinung nach keinen Zusammenhang?

In der Tendenz nein. Die Öffentlichkeit hat das aber anders verinnerlicht, was offensichtlich auch zu der großen Reichweite des Facebook-Posts gegen Aldi geführt hat. Der Einkaufspreis von Schweinefleisch verläuft in einem Zyklus: Wenn viel Fleisch auf dem Markt ist, gehen die Preise runter. Die Bauern reagieren darauf, indem sie weniger Schweine mästen. Wenige Monate später ist damit weniger Fleisch auf dem Markt, der Preis steigt wieder, die Bauern mästen wieder mehr Schweine und so weiter. Momentan sind wir in einer Zwischenphase, es ist viel Fleisch da und der Einkaufspreis ist trotzdem hoch.

 
foodwatch matthias wolfschmidt 3

Mal abgesehen vom Markt: Die Aufregung entzündet sich ja auch an der ganz allgemein-moralischen Frage, ob ein Stück Nackensteak nur knapp zwei Euro kosten darf.

Diese Frage, ob das Fleisch zu einem solchen Preis ausreichend "gewertschätzt" wird, ist ja eigentlich sehr relativ. Wer richtig wenig Geld hat, freut sich natürlich, dass er aufgrund solcher temporären Sonderangebote mal recht günstig ein Stück Nackensteak bekommt – das kostet ja normalerweise eher das Doppelte. Die Wertschätzung seitens dieser Leute ist also durchaus vorhanden.

Gibt es so etwas wie einen angemessenen Preis für Fleisch?

Den kann ich Ihnen zumindest nicht nennen, da er von einer Vielzahl von Faktoren abhängt: Vom Aufwand, den die Bauern betreiben, um die Tiere gesund zu halten, von der Größe des Schlachthofs, davon, ob der wiederum Leiharbeiter eingestellt hat, die er gnadenlos ausbeutet oder eben nicht, von der Logistik, der Kühlkette, dem Vertriebsweg, dem Preiskrieg der Handelsketten... und so weiter. Letztendlich bildet sich der Verkaufspreis unter Einfluss all dieser Faktoren am Markt, auf dem heute ein riesiges Angebot bei sinkender Nachfrage herrscht.

Wie kann ein Discounter wie Aldi einen so unfassbar niedrigen Preis von 1,99 Euro für ein Nackensteak stemmen?

Alle Ketten haben im Vergleich zum Metzger einfach geringere Personalkosten, gleichzeitig kaufen sie zu höheren Stückzahlen ein. Und sie haben eine gewaltige Marktmacht, auch deshalb, weil in der EU Fleisch im Überfluss erzeugt wird. Ob ein Schwein krank oder gesund aufgewachsen ist, spielt für den Preis momentan keine Rolle.

"Wenn den Ketten tatsächlich etwas am Wohl der Tiere liegt, müsste man da erst einmal fragen, warum sie ihren Preis-Wettbewerb immer über das Fleisch austragen müssen"

Wenn ich  das 1,99-Steak kaufe,  kann ich also nicht unbedingt von schlechten Lebensbedingungen der Schweine ausgehen?

Nein. Ebensowenig können Sie sich darauf verlassen, dass Sie, für wieviel Geld auch immer, Fleisch von gesundgehaltenen Tieren bekommen. Die Unterschiede zwischen den Betrieben sind riesig. Manche bekommen gute und gesunde Lebensbedingungen für die Schweine hin, andere überhaupt nicht, dazwischen gibt es ein großes Mittelfeld. Der Bauer, der seine Tiere so schlecht gehalten hat, dass 60 Prozent seiner Tiere Lungenentzündung hatten und 80 Prozent Klauenerkrankungen, bekommt zwar leichte Abzüge beim Schlachthof, wo der  Zustand an jedem Schlachtkörper überprüft wird  und die paar unverwertbaren, weil kranken Teile herausgerechnet werden. Aber Nackensteaks werden aus allen Schweinen gemacht, egal ob krank oder gesund, traurig oder glücklich. Welches man dann auf dem Teller liegen hat, ist also sozusagen Glückssache. Der Bauer, der sich optimal um seine Tiere kümmert, macht das mehr oder weniger auf eigene Rechnung – vom Markt wird das nicht entlohnt. Gelungener Tierschutz ist heutzutage für den Bauern also buchstäblich Luxus, den er sich leisten kann oder will.

Wenn der Zustand der Schweine beim Schlachthof regulär überprüft wird: Ließen sich nicht über diesen Weg sinnvolle Rückschlüsse über die Zustände beim jeweiligen Bauern machen?

Absolut, das Problem ist: Das wird nicht systematisch getan, da sich leider die Politik nicht dafür interessiert. Wir haben in ganz Europa keinen Mitgliedsstaat, der diese Erkrankungshäufigkeiten systematisch erfasst – obwohl diese Daten ja an jedem Schlachthof erhoben werden und man über sie noch am ehesten Aussagen über den meiner Meinung nach eher schwammigen Begriff "Tierwohl" treffen kann. Die Schlachthöfe geben diese Daten aber bisher nur an die Bauern zurück: Auf der Rechnung steht dann zum Beispiel: "Von 100 Schweinen hatten 70 Lungenbefunde". Was die Bauern mit dieser Information anstellen, ob sie versuchen, es besser zu machen, interessiert aber bisher niemanden. Auch nicht beim Biobauern.

Aldi, Edeka, Kaufland und Co behaupten ja, über die "Initiative Tierwohl" einen Beitrag für bessere Lebensbedingungen der Tiere zu sorgen. Was halten Sie von solchen Selbstverpflichtungen?

Erstens: Wenn den Ketten tatsächlich etwas am Wohl der Tiere liegt, müsste man erst einmal fragen, warum sie dann ihren Preiswettbewerb immer über das Fleisch austragen müssen. Man könnte ja durchaus in anderen Bereichen punkten. Zweitens: Ketten wie Aldi steht es absolut frei, nicht mehr x-beliebiges Fleisch zu ordern, sondern nur zu bestimmten Konditionen. Aldi als großer Player am Markt könnte zum Beispiel sagen: "Wir verkaufen nur noch Fleisch, das nachweislich von Betrieben stammt, die es schaffen, ihre Tiere gesund zu halten." Dazu müssten sie diese Landwirte natürlich finanziell unterstützen, damit sich das Ganze auch für diese lohnt. Daran haben Aldi und Co aber bisher überhaupt kein Interesse, da sie durch die höheren Qualitätsanforderungen natürlich die verfügbare Menge an Fleisch auf dem Markt verringern würden. Und das wirkt sich natürlich wieder auf die Einkaufspreise am Markt aus.

"Die  großen Konzerne stehen klar im Fokus, weil sie die Marktbedingungen grundlegend ändern könnten"

Wenn sie auch nicht der große Wurf schlechthin ist: Bringt die "Initiative Tierwohl" zumindest irgendetwas?

Diese Initiative ist meiner Meinung nach ein rein PR-getriebenes Instrument zur Imageaufbesserung. Im Jahr kommen da insgesamt 85 Millionen Euro zusammen. Um diese Zahl mal einzuordnen: Der wissenschaftliche Beirat des Bundesagrarministeriums nennt 3-5 Millarden als jährliche Summe, um die Tierhaltung in Deutschland auf ein angemessenes Niveau zu bringen. Der Beitrag der Initiative liegt da also im einstelligen Prozentbereich. Das ist eine echte Verlogenheit der Handelskonzerne, die so tun, als sei ihnen daran gelegen, dass es den Tieren gut geht, aber in keinster Weise der Verantwortung gerecht werden, die sie als die mächtigsten Marktteilnehmer haben.

Wenn die Supermärkte nun glaubwürdig in korrekte Tierhaltung investieren würden, wie sehr würden die Preise für den Kunden tatsächlich steigen?

Die Experten gehen davon aus, dass bei einer guten Haltung die Preise für den Endverbaucher um 25 bis 50 Prozent steigen würden. Vielleicht würden sich dann auf Facebook immer noch Leute aufregen, wenn Aldi Nackensteaks verramscht. Aber Aldi müsste sich nicht mehr vorwerfen lassen, nicht auf gesunde Tierhaltung und zufriedene Bauern zu achten. Im Gegenteil.

Könnte nicht auch die Politik für verbindliche Regeln sorgen?

Sie müsste sogar. Seit Jahren verlangt unser Grundgesetz genau das. Aber Regierung und Parlament drücken sich. Also müssen die Handelskonzerne unter Druck gesetzt werden, Tiergesundheit und Tierschutz konsequent gemeinsam mit den Bauern durchzusetzen.  Die Politik würde dann wohl eher "nachholend" reagieren und dafür sorgen, dass die neuen Regeln zum EU-Standard werden. Primat der Politik ist das weiß Gott nicht. Die  großen Konzerne stehen klar im Fokus, weil sie die Marktbedinungen grundlegend ändern könnten.

Sehen Sie den Moment kommen, in dem die Ketten in die richtige Richtung einlenken?

So wackelig dieser Facebook-Post in seiner Argumentation auch gewesen ist: Durch solche Aktionen steigt der nötige gesellschaftliche Druck. Und die enorme Reichweite solcher Posts zeigt auch, dass es eine Sensibilität für diese Themen in unserer Gesellschaft gibt. Ob Aldi nun auf die Schnelle etwas an seiner Haltung ändert, weiß ich nicht. Wichtig ist aber, diese Diskussion weiter am Leben zu halten. Es muss einen Konsens darüber geben, dass Tiere, wie im Grundgesetz festgehalten, zu schützen sind. Auch wenn die Verbraucher am Ende dafür einen etwas höheren Preis zahlen müssen. Der Druck muss weiter steigen, damit endlich was passiert.

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