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"Es macht einen hilflos, wenn die Kinder weinen"

Foto: Asmar Alhalaby

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Mitten im zerstörten Aleppo steht ein buntes Haus mit der Aufschrift „Die Besonderen“. Teile des Waisenhaus liegen unter der Erde, damit die Kinder, die im Krieg alles verloren haben, wenigstens kurze Momente von Sicherheit empfinden können. Unsere Autorin sprach mit einem der Gründer, Asmar Alhalaby (28).

jetzt: Asmar, warum hast du Aleppo nicht verlassen, wie so viele andere Syrer in deinem Alter?

Asmar Alhalaby: Ich konnte Aleppo nicht verlassen. Hier habe ich meine Kindheit verbracht, hier habe ich gespielt, hier wurde ich erzogen, hier bin zur Schule gegangen. Aleppo ist für mich wie eine Mutter, Aleppo ist meine Seele. 

Wie kamst du auf die Idee ein Waisenhaus zu gründen?


Unseren Wohltätigkeitsverein „Afkar“ (Ideen) gibt es seit Ausbruch des Krieges in Aleppo. Wir mussten mitansehen, wie die Kinder geklaut haben, um zu essen, wie viele von ihnen zu Bettlern wurden. Ihre Not war überall, diese Kinder hatten nur Gott, und wir mussten ihnen helfen. Wir hatten dann die Idee, ein Waisenhaus mit dem Namen „Mumayyazun“ (Die Besonderen) zu eröffnen. Im Mai 2015 wurde dieser Traum dann Wirklichkeit. 

Wie viele Kinder wohnen heute im Waisenhaus?


Erst waren es nur vier Kinder, heute sind es 46 im Alter von drei bis fünfzehn Jahren. 22 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kümmern sich in 24-Stunden-Schichten um sie. Wenn die Kinder in der Nacht Wasser brauchen oder krank werden, ist immer jemand da.

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Foto: Asmar Alhalaby
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Foto: Asmar Alhalaby

"Wir können jederzeit sterben"

Wie kann man sich dieses Waisenhaus vorstellen?


Uns ist es sehr wichtig, den Kindern eine Ersatzfamilie zu sein. Manche sind Vollwaisen, manche Halbwaisen. Mich nennen die Kinder Papa, obwohl ich erst 28 Jahre alt bin. Ältere Helfer und Helferinnen nennen sie Oma oder Opa. Das Waisenhaus hat fünf Stockwerke, zwei davon sind unter dem Boden. Die Kinder schlafen und essen in den unteren Stockwerken. In ruhigeren Zeiten verlassen sie für ein paar Stunden das Haus, um eine örtliche Schule zu besuchen. Aber zurzeit ist das zu gefährlich. Deshalb haben wir einen geregelten Tagesablauf im Waisenhaus. Es gibt drei Mahlzeiten am Tag und wir haben Lehrer und Lehrerinnen, die sie unterrichten. Abends lesen wir zusammen Geschichten und ab und zu schauen wir auch Zeichentrickfilme. 


Kann in Aleppo in diesen Tagen überhaupt Normalität eintreten?


Nein, nicht wirklich. Wir können jederzeit sterben. Das wissen auch die Kinder, sie haben Angst, viele können nicht schlafen. Auch das Spielen auf der Straße ist sehr gefährlich geworden. Aber Kinder gewöhnen sich an alles. Mittlerweile können sie sogar unterscheiden, welche Art von Bomben auf Aleppos Straßen fallen.

Wie empfandest du die mediale Aufmerksamkeit, die um das Foto von Omran, dem Jungen im Krankenwagen, gemacht wurde?


Ehrlich gesagt, passieren in Aleppo jeden Tag noch viel schlimmere Dinge. Omran ist ein Kind von vielen Kindern aus Aleppo. Er ist ein Gesicht der vielen Kinder Syriens, die auf ihre Familien verzichten müssen, aufs Spielen im Grünen, auf Ausflüge, auf ihre ganze Kindheit. Sie müssen eigentlich auf alles verzichten, was sie lieben.

"Alle sprechen von Menschenrechten, aber wo bleibt die Menschlichkeit?"

Wie schaffst du es, diesen Kindern immer wieder gut zuzureden?


Wir versuchen, ihnen ein Stück Normalität vorzuleben. Vor eineinhalb Monaten noch wurde Aleppo von Assads Truppen belagert, wir konnten kein Essen mehr auf dem Markt einkaufen. Es gab weder Gemüse noch Obst noch Fleisch. Wir haben den Kindern dann irgendetwas zum Essen gegeben, damit sie nicht hungrig einschlafen müssen. Aber irgendwie schaffen wir es immer, einen Ausweg zu finden. Wir haben viele erfahrene Leute, die für uns arbeiten. Seit einigen Tagen ist der Transportweg, über den das Essen kommt, wieder versperrt. Aber wir bleiben geduldig und versuchen, unsere Sorgen vor den Kindern zu verbergen.

Fühlst du dich manchmal allein gelassen?


Ja, immer. Ich bin wirklich überrascht, wie wenig Hilfe bei uns ankommt. Die Menschenrechtsorganisationen, die UNO, alle sprechen zwar ständig von Menschenrechten, aber wo bleibt die Menschlichkeit? 300.000 Menschen in Aleppo sind jeden Tag Splitterbomben, Phosphorbomben, Fassbomben ausgeliefert. Manchmal habe ich das Gefühl, die Welt lässt uns hier einfach sterben.


Was macht das mit dir und den Kindern, wenn du weißt, das Leben könnte jederzeit vorbei sein?


Ich bin davon überzeugt, dass Gott immer bei uns ist. Das gibt uns Kraft. Wir beten auch mit den Kindern und versuchen, ihnen Halt und Geborgenheit zu geben. 

Was haben die Kinder, die bei dir sind, für Schicksale?


Nicht alle sind Vollwaisen, aber manche haben ihre Eltern trotzdem verloren. Omar ist dreizehn Jahre alt und hat seine Mutter im Krieg verloren, sein Vater hat den Verstand verloren. Omar versteht sich mit keinem der Kinder im Waisenhaus. Sein Vater hat kaum mit ihm gesprochen. Er tut sich sehr schwer beim Lernen und lebt einfach vor sich hin, er schläft und isst – aber mehr nicht. Leider haben wir hier keine Psychologen, die meisten sind geflüchtet. Wir versuchen, für Omar trotzdem eine psychologische Betreuung zu organisieren, aber nur mit Hilfe von Skype ist das sehr schwierig.

"Gott verlangt von niemandem mehr, als in seinen Kräften steht"

Gibt es auch Kinder, die sich, seitdem sie im Waisenhaus sind, positiv verändert haben?


Ja, da gibt es zum Beispiel die Geschichte der vierjährigen Nour. Ihr Vater ist seit drei Jahren verschwunden, die Mutter ist gestorben. Als sie ins Waisenhaus kam, war sie sehr verstört. Heute ist sie eine der Besten und hat Spaß am Lernen. Kommende Woche ist das Opferfest, wir haben ein Theaterstück organisiert und sie spielt eine der Hauptrollen.

 


Gibt es Momente, in denen dir die Kraft fehlt, weiterzumachen?


Manchmal fehlen mir die Worte. Vor allem, wenn die Kinder ihre Familien vermissen. Wir werden nie die Zärtlichkeit einer Mutter oder eines Vaters ersetzen können. Es macht einen hilflos, wenn sie weinen. Aber dann beruhigt mich ein Vers aus dem Koran, der besagt: „Gott verlangt von niemandem mehr als in seinen Kräften steht.“ Wir geben jeden Tag unser Bestes, wir geben ihnen Hoffnung auf ein besseres Leben, aber wir können nichts ungeschehen machen.

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