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Jungs, warum macht ihr ständig Dialekte nach?

Foto: shinelight photocase/ Collage: daniela rudolf

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Liebe Jungs,

Man weiß bei dieser Frage ja gar nicht, wann man anfangen soll. In der Kindheit? Wenn der Kölner Karneval im Fernsehen übertragen wurde und die sonst so norddeutschen Jungs auf dem Spielplatz auf einmal meinten, einen als „lecker Mädsche“ bezeichnen zu müssen und bei dem Wort „Mädsche“ Speicheltropfen aus dem Mund spritzten? In der Jugend, wenn sich bei der Ankündigung einer Klassenfahrt nach Berlin die männlichen Mitschüler in Berliner Kioskbesitzer verwandelten und Sätze wie „Dit is jebongt!“ erwiderten? Oder in der Quasi-Erwachsen Zeit, sprich in der Konferenz bei jetzt, wo die männlichen Kollegen, also ja, genau ihr, allein schon beim Wort „Österreich“ kollektiv durchdrehen und den restlichen Tag nur noch durchwieneren („Geh schleich di!“).

Und wir? Wir sitzen da immer so ein bisschen fassungslos daneben. Weil, jetzt mal unabhängig von der doch sehr unterschiedlichen Qualität, in der ihre diese Dialekte imitiert: Das alleinige Nachmachen eines solchen ist einfach nicht lustig. Wenn überhaupt wird es durch einen lustigen Inhalt, eine Pointe oder ein Zitat, unterhaltsam. Aber einfach nur die Stimme zu verstellen ist an für sich ja auch kein super Witz, oder?

Trotzdem scheint das für euch stets ein Riesen-Gag zu sein, ganz egal, was ihr da inhaltlich von euch gebt. Und bevor ihr jetzt direkt zurückschießt „Ihr seid ja nur neidisch, weil ihr es nicht so gut könnt“ – das erscheint mir ja eher wie ein „Urban Myth“. In dem bei vielen Eltern in den Nullerjahren auf dem Klo liegenden Buch „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“ von Allen und Barbara Pease wurde zwar die These aufgestellt, Männer könnten aufgrund ihrer Vergangenheit als Jäger besser Tiergeräusche zuordnen und imitieren – aber dass Dialekte Tiergeräusche sind, wollt ihr jetzt ja nicht ernsthaft behaupten, oder?

Also Jungs – was ist das mit euch und den Dialekten? Und, wenn ich bitten darf und ihr euch gerade noch zurückhalten könnt – bitte die Antwort auf Hochdeutsch.

Die Jungsantwort:

jungsfrage text

Liebe Mädchen,

Ontwoart auf Hochdeitsch? Geh hearst, schlääich di! Vülmeahr wer i jetzt jedn zwaatn Satz an aandern Dialekt schräim. (Das war: Wienerisch)

Und dann muss isch erst ma janz deutlisch widerspreschen: Dat alleinije Nachmachen von nem Akzent is nämlisch sehr wohl lustisch. Und dat, jlaub isch, spielt ne jroße Rolle bei der janzen Sache. (Das war: Kölsch)

Du magst vielleicht - jetzt doch lieber wieder hochdeutsch, Dialekte schreiben funktioniert leider ja nur halb gut – Dialekte nicht lustig finden, aber da bist du eher die Ausnahme. Ich mache das sehr oft, und meistens freuen sich die Menschen darüber, die Fassungslosigkeit, von der du da sprichst, erlebe ich selten. Und das ist auch schon ein wichtiger Teil der Begründung, warum wir das tun: Wir wollen, dass man uns lustig findet. Ihr wollt das bestimmt auch, aber vielleicht etwas weniger dringend als wir.

 

Das Lustigsein als Profilierungsmaßnahme wird uns anerzogen. Es hilft uns in der Grundschule, Freunde zu finden, es hilft uns, Aufmerksamkeit zu bekommen, es ist ein Balzritual. Wann immer Frauen in Interviews gefragt werden, was ihnen an einem Mann wichtig ist, sagen sie: Humor. Vielleicht ist deshalb der Klassenclown meistens ein Junge, vielleicht ist der Klassenclown der Nation deshalb Lukas Podolski und vielleicht gibt es auch deshalb immer noch mehr männliche Comedians und Late-Night-Witzbolde als weibliche.

 

Einen Satz im Dialekt zu sagen, ist ein einfacher Lacher. Der, so behaupte ich, oft eben keine super Pointe braucht. Er funktioniert einfach so. Deshalb ist er so oft das Witzmittel unserer Wahl. Wir brauchen nicht viel überlegen, wir brauchen den inneren Gag-Schreiber nicht anzuwerfen, sondern einfach nur in die Dialektkiste greifen. 

Es gibt aber noch einen zweiten Vorteil des Dialekte-Nachmachens. Es hilft dabei, Unsicherheit zu überspielen. Es füllt Löcher in dahindümpelnden Smalltalk-Runden, es lenkt von Unwissenheit ab, es lässt unangenehme Fragen oder Forderungen leichter über die Lippen sprudeln, weil man sich hinter dem Dialekt ein bisschen verstecken kann. Weil man dann ein bisschen das Gefühl hat, nicht selbst zu sprechen, sondern eine – meist ja auch etwas dämliche – Person mit komischem Akzent nach vorne zu schubsen. Die ist dann der Depp. Und nicht wir.

 

Und abschließend noch eine Bemerkung zu den Tiergeräuschen. Wusste ich nicht, dass wir die besser nachmachen können. Aber wenn das wirklich so ist, finde ich schon, dass man das als biologische Begründung heranziehen könnte. Weil - ohne jetzt irgendwem nahetreten zu wollen – so ein tiefer Vorarlberger Dialekt, der hat schon ein bisschen was Tierisches.

 

 

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