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"Man darf sich nicht so ernst nehmen"

Illustration: Katharina Bitzl

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Am Anfang mal eine Vermutung: Viele Leser werden in diesem Text nicht weiter als bis zum dritten Absatz lesen. Sie werden vielleicht sogar schon vorher runter zur Kommentarspalte springen, um dort zu schreiben, was leider oft jemand dort schreibt, ganz egal, worum es geht: „Ich hab den Text nicht ganz gelesen, aber meiner Meinung nach GEHÖRT DER AUTORIN DAS SCHREIBEN VERBOTEN und überhaupt sollte sie mal überlegen, was sie so für Probleme hat im Leben!!!!!!“ 

Solche Kommentare ertrage ich nicht. Überhaupt ertrage ich Kommentare nicht, die keine Komplimente sind. Aber das gebe ich nicht zu. Lieber sage ich, dass es mir egal ist, was die Leute über mich sagen. Und dass ich mich darüber nicht ärgere, weil ich finde, dass man – Achtung, jetzt kommt's – „sich selbst nicht so ernst nehmen sollte“. Ich bewundere Menschen, die sagen, dass ihnen Kritk oder Fehltritte nichts ausmachen, weil sie sich selbst nicht so ernst nehmen. Das ist das Geheimnis, denke ich dann. Das müsste man schaffen! Sich einfach nicht so ernst nehmen!

Aber dann sehe ich mir die Menschen, die so etwas sagen, genauer an und gerate ins Zweifeln. Das sind oft Leute, die in der Öffentlichkeit stehen und von denen man ahnt, dass sie nie in der Öffentlichkeit gelandet wären, wenn sie sich nicht auf die ein oder andere Weise eben doch sehr ernst nehmen würden. Tim Bendzko. Devid Striesow. Helge Schneider. Die Toten Hosen. „Man darf sich selbst nicht so ernst nehmen“ ist ein typischer Interview-Satz prominenter Menschen. 

Das ist die erste merkwürdige Sache an dieser Aussage. Die zweite ist, dass es doch gleichzeitig keine schlimmere Beleidigung für eine Menschenseele gibt als das Urteil, dass man sie „einfach nicht ernst nehmen könne.“ 

Jan Böhmermann ist auch so einer, der gern sagt, er nehme sich nicht so ernst. Klar, er ist ja auch so etwas wie ein Comedian. Der Grund, den er für seine vorgebliche Nichternsthaftigkeit angibt, ist aber auch dann sehr aufschlussreich, wenn man ihn auf Menschen bezieht, die keine Comedians sind und trotzdem auf ihrer vorgeblichen Nichternsthaftigkeit beharren. Er lautet: „Ich werde ganz gern nicht ernst genommen, einfach weil man dann nichts falsch machen kann. Ernst genommen werden sollen andere.“ 

Klingt im ersten Moment lässig und seelenstabil, heiter und gewitzt. Auch weise. So nach: Ich habe verstanden, wie man mit dem Leben klarkommt. Aber bedeutet er nicht das Gegenteil? Bedeutet er nicht eigentlich: Ich will alles richtig machen. Mich soll keiner kritisieren können. Ich bin verletzlich, ängstlich, angespannt und getrieben und das darf keiner merken, denn sonst falle ich vielleicht auseinander vor Schmerz und kriege mich nie wieder repariert. 

Wenn man „ernst nehmen“ nun einfach mal googelt, stößt man auf die vielfältigsten Bedeutungsebenen der Formulierung. Auf jene sich easy selbstironisch gebenden Prominenten, oder andersrum auf gehässige Autoren oder Kommentatoren, die sehr diskreditierende Dinge über Dritte sagen und dass diese „einfach nicht mehr ernst zu nehmen“ seien. Und man gerät in Foren, in denen wenig prominente Privatmenschen anderen Menschen verzweifelt ihre Seele öffnen und um Hilfe bitten. Das klingt dann zum Beispiel so: „Ich (…) fühle mich von meiner Umwelt nicht ernst genommen. Ich habe das Thema schon mehrfach gegoogelt und im Internet viele Beiträge zu dem Problem gefunden. Meistens wird dann geraten, dass man sich erst selbst ernst nehmen muss, um von anderen ernst genommen zu werden. Und genau hier ist der Punkt. Wie soll das gehen, wenn man merkt, dass die meisten Leute einen eben nicht ernst nehmen, auf einen runter schauen, das, was man sagt nicht für voll nehmen? Ich meine, das zieht einen doch unweigerlich runter, löst Zweifel und Komplexe aus.“

Ich versuche, zu folgern: Sich nicht so furchtbar ernst nehmen zu wollen, ist eigentlich nur der verzweifelte Wunsch nach Unverletzbarkeit, siehe Böhmermann. Sich tatsächlich wortwörtlich nicht mehr ernst zu nehmen, ist aber ungesund, denn es würde bedeuten, seine sozialen, emotionalen und körperlichen Bedürfnisse zu missachten. Wiederum von anderen nicht ernst genommen zu werden, kann in der Position eines Comedians ganz sinnvoll sein, auf ganzheitlicher Ebene allerdings diskreditierend bis vernichtend wirken.

 

Ich glaube, ich habe den Fehler gefunden. Hier ist er: Es geht gar nicht darum, sich nicht „ernst“ zu nehmen. Es geht darum, sich nicht so wichtig zu nehmen. Ein entscheidender Punkt.

 

Man sollte also diese ganze „Ich nehme mich ja gar nicht ernst“-Faselei in Zukunft sein lassen. Sie ist sprachlich falsch und in dieser Falschheit weitergedacht auch noch feige. Denn dann ist sie nämlich eine ewige vorauseilende Entschuldigung. Eine notorische Flucht aus der Verantwortung für die eigenen Worte und Taten. Ein Verstecken hinter dem Vorhang der Ironie. Wer anderen immer sagt: „Nimm doch nicht so ernst, was ich gesagt habe. Ich nehme das ja selbst nicht ernst. Was bist du für ein Trottel, dass du das ernst nimmst. Haha!“, der schiebt ja nicht nur immer den anderen die Schuld und die Pein in die Schuhe, er zementiert auch immer wieder aufs Neue seine eigene darunterliegende Angst. Denn genau das tut man doch mit der Behauptung, sich selbst nicht so ernst zu nehmen: Man verlacht und beschämt Menschen, denen es wirklich ernst mit etwas ist und fügt ihnen damit genau das zu, was man selbst am allermeisten fürchten würde – wenn man sich denn mal trauen würde, etwas ganz im Ernst zu sagen. Und das sollte man. Weil es ehrlich ist. Und ehrlich ist gut. Wichtig nehmen muss man es deshalb ja noch lange nicht. 

 

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