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"Verheiratete Männer gehen für mich ein Risiko ein"

Illustration: Katharina Bitzl

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„Auf alten Pferden lernt man reiten, was?" Diesen Satz, gepaart mit einem Augenzwinkern, erwarte ich schon, wenn ich im Gespräch mit Freundinnen erwähne, dass ich Sex mit Männern habe, die ihre Väter sein könnten. Wenn dann zur Sprache kommt, dass das mehr als einmal im Monat passiert, und der Großteil dieser Männer verheiratet ist, bin ich in vielen Augen das Bilderbuchbeispiel für Unmoral. Melissa, findest du das nicht ein bisschen eklig? Melissa, sag mal unter uns, was reizt dich daran? Und eine der beliebtesten Reaktionen: Hast du schon mal was über den Ödipuskomplex gehört?

Ich muss mich dann immer zügeln, um nicht wütend zu werden und mein Gegenüber für sein Unverständnis zu kritisieren. Weil: Ich verstehe euch, die ihr Sex mit Gleichaltrigen habt, ja auch nicht. Ich hab’s ausprobiert, aber mir bieten Ältere sexuell und intellektuell einfach mehr. Die Lebenserfahrung, geistige Reife und Beschäftigung mit Lebenszielen ziehe ich den X-Box spielenden, feiernden Jünglingen vor. Und was bin ich lieber? In der Rolle der „jungen Studentin“, die im Gegensatz zur langweiligen Ehefrau aufregend und frisch ist, oder eine von den „Bitches“, die sich in die Disco-Affären einreiht?

Ich kann mit älteren Männern besser reden und mich als Frau fühlen. Und auch im Bett kommt mir die Erfahrung zugute. Statt „Rumgestocher“, von dem mir meine Freundinnen mit ihren Partnern oftmals berichten, wissen die älteren Männer, was Frauen gefällt. Frank, meine letzte Affäre, hat mich mit Massagen und langem Vorspiel verwöhnt, und nicht nur seine eigene Befriedigung in den Vordergrund gestellt. Ich gebe den Männern, was sie zu Hause nicht mehr bekommen, und kriege im Gegenzug dafür Sex, der nicht besser sein könnte. Nicht nur die körperlichen Reize erregen mich.

"Verheiratete Männer gehen für mich ein Risiko ein. Ich bin das Spiel mit dem Feuer, die Sünde"

Manche Menschen haben gerne Sex an besonderen Orten, weil sie da das Risiko reizt, entdeckt zu werden. Bei mir ist es eben ein älterer, verheirateter Mann. Verheiratete Männer gehen für mich ein Risiko ein. Ich bin das Spiel mit dem Feuer, die Sünde. Ich bin das, was dem Mann fehlt, was er will, und was seine Ehefrau hassen würde. Die Heimlichtuerei gefällt mir da schon ein bisschen, dieser verbotene Schleier, der über dem Sex liegt, macht das Ganze für mich zu einer aufregenden Grenzerfahrung.

Über die Frauen selbst reden wir selten. Höchstens dann, wenn einer der Männer mir sagt, wie viel attraktiver ich doch bin. Frank hat mir beim Sex ins Ohr geraunt, dass er noch nie so guten Sex mit Ulrike hatte. So etwas zu hören, ist noch okay für mich. Aber mehr über die Frauen will ich nicht wissen. Irgendwo bin ich auch ein empathischer Mensch und wenn ich mich zu viel mit den Ehefrauen befassen würde, bekäme ich vermutlich Mitleid. Die selbstbewusste Melissa in mir wischt solche Gedankenanflüge schnell mit Sätzen weg wie: „Wenn es zwischen Ulrike und Frank nicht mehr richtig läuft, ist das ja auch ihre eigene Schuld.“ Ich zerstöre also, wenn überhaupt, nur Ehen, die schon gewaltige Risse haben. Und damit komme ich klar.

Die Story, die bei Freundinnen meist Äußerungen wie „Dein Ernst, Melissa? Du lässt dich doch nur wegen des Geldes ficken“ hervorruft, ist die, wie ich Bernd kennengelernt habe. Ich arbeite neben meinem Jura-Studium als Kellnerin in einem etwas gehobenen Restaurant. Zugegebenermaßen ist das Arbeitsoutfit mit enger weißer Bluse für mich keine schlechte Gelegenheit, sexy mein Dekolleté zu präsentieren. Bernd war jedenfalls mit seiner Frau – braunhaarig, unscheinbar und langweilig – zu Besuch, und ich bediente den Tisch der beiden. Schon als ich seine Bestellung über Linguine mit Trüffelsauce und Steinpilzen aufnehmen durfte, fühlte ich mich total angezogen. Ich habe meine Handynummer dann auf seinen Bierdeckel geschrieben, als seine Frau gerade auf der Toilette war.

Obwohl ich gar nicht damit gerechnet habe, hat sich Bernd am nächsten Tag direkt gemeldet. Es waren aufregende Treffen, in Hotelzimmern und bei mir daheim. Klar, Bernd hat finanziell andere Möglichkeiten als die Freunde meiner Freundinnen, die nebenbei im Supermarkt oder als Pizzabäcker arbeiten. Ich genieße es, wenn Bernd das Hotelzimmer bezahlt, Champagner ordert und mich mit kleinen Geschenken überrascht. Aber das ist nur eine Facette seines Umgangs mit mir, in dem ich die Angehimmelte, aufregende Affäre bin. Ich kann auch meine Wünsche äußern, ohne mich zu schämen.

"Meine bislang älteste Affäre war mit knapp 60 ganze 40 Jahre älter als ich"

 

Fast alle Männer könnten meine Väter sein, das stimmt. Die gleichaltrigen Freunde meiner Freundinnen könnten aber auch ihre Brüder sein, trotzdem frage ich sie nicht, ob sie dabei an Inzest denken. Besonders häufig wollen Freundinnen dann trotzdem wissen, wie alt der Älteste war. Zwar sehe ich in den Männern nicht „den 47-Jährigen“, sondern „den langjährig Erfahrenen“, aber ich kann offen darüber reden und deshalb auch sagen, dass es Dieter war. Als ich Bewerbungsfotos für Praktika machen ließ, habe ich ihn im Fotostudio kennengelernt. Mit knapp 60 Jahren war er zu dem Zeitpunkt 40 Jahre älter als ich.

Die Affären dauern unterschiedlich lang und enden auch alle unterschiedlich. Dieter war mir irgendwann nicht mehr aufregend genug, Franks Ehefrau wurde irgendwann skeptisch, weil Frank ständig „im Stau stand“, abends „Zahnarzttermine hatte“ oder nach fremdem Parfum roch. Eine längere Sache, die Richtung Beziehung geht, will ich aber auch gar nicht. Noch nicht zumindest. Ich habe ein bis zwei Dates pro Woche. Mir ist aber wichtig, dass es nicht mehrere Affären zur selben Zeit gibt.

 

Ich weiß, dass Freunde hinter meinem Rücken über mich reden, und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es mich nicht verletzt. Es wäre für mich ein Tabu, etwa mit meinem Vater darüber zu reden, aber mehr Verständnis von Freunden wünsche ich mir schon. Jeder hat eben andere Vorlieben. Ich bedauere, dass ich Stück für Stück die Rolle des „jungen Frischfleischs“ verliere, denn auch ich werde ja älter. Solange es geht, will ich aber das Spiel mit dem Feuer genießen.“

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