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"Noch heute wird sexualisierte Gewalt verharmlost"

Illustration: Federico Delfrati

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Ob mit oder ohne Trauschein: Vergewaltigung ist Vergewaltigung. Für uns ist es heutzutage selbstvertändlich, dass es da keine Unterschiede zwischen dem Ehemann, Nachbarn oder einem Fremden gibt. Wird eine Frau gegen ihren Willen zum Sex gezwungen, begeht der Täter eine Straftat. Das war nicht immer so: Vor gerade einmal 20 Jahren wurde Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Bis zu diesem Zeitpunkt gehörte es zu den Pflichten einer Ehefrau, die sexuellen Bedürfnisse ihres Mannes zu befriedigen - auch gegen ihren Willen. Hat sie sich gewehrt, rief aus Verzweiflung die Polizei, wurde sie darum gebeten, die Familienstreitigkeiten zu klären, auf die Wünsche ihres Mannes einzugehen und die Nachbarn nicht durch die Lautstärke zu belästigen.

Wie absurd diese Zustände heute für uns wären, zeigten jüngst die Netz-Reaktionen auf einen Clip der Tagesschau zu dem Thema. In den Kommentaren unter dem Clip findet sich vor allem: Schock und Ensetzen über die in dem Video vorkommenden männlichen Bundestagsabgeordneten, die gegen die Gesetzesänderung stimmten. Deren Argument damals: Es sei nicht die Aufgabe des Staates, sich unter dem Ehebett zu verstecken und Streitschlichter zu spielen. 

Anette Diehl, 54, hat vor 30 Jahren ihr Ehrenamt im Frauenotruf-Mainz aufgenommen. Sie erzählt uns, was sich in den vergangenen Jahren verbessert hat und wo auch 20 Jahre später immer noch Redebedarf herrscht:

jetzt: Aktuell geht ein Clip von der Tagesschau durchs Netz, der eine 20 Jahre alte Abstimmung thematisiert. Damals wurde der Straftatbestand „Vergewaltigung in der Ehe“ eingeführt.  Was war da damals genau los?

Anette Giehl: Damals habe ich beobachtet, dass Männer, insbesondere Politiker, die an der Debatte beteiligt waren, große Angst davor hatten, Frauen würden diese Möglichkeit als Waffe gegen sie einsetzen. Falls die Scheidung nicht gut läuft oder es zuhause Probleme gibt. Dass sie einfach behaupten könnten, es hätte eine Vergewaltigung gegeben. Andererseits haben viele politische Gesetzesgegner argumentiert, der Staat solle sich nicht vor das Ehebett setzen – und das er das auch gar nicht müsse.

Wie haben Sie die Gesetzesänderung 1997 dann erlebt?

Gesetze werden reformiert, weil sich die Bedürfnisse, Einstellungen und Prioritäten einer Gesellschaft verändern. Gleichzeitig wirken diese auf Menschen, wodurch es heute selbstverständlich ist, dass auch Ehemänner ihre Frauen vergewaltigen können. Früher wie heute ranken Mythen durch die Gesellschaft. Wie dass die Täter immer Fremde sind. Oder dass es eher junge Frauen trifft. Dabei sind Vergewaltigungen in den eigenen vier Wänden nicht gerade selten. Dann gab es den Mythos, der Mann dürfe über seine Ehefrau bestimmen. Er entscheidet, wann sie das Haus verlässt und ob sie Geld verdient. Wann sie Sex haben. Das Gesetz hat dem Spuk ein Ende gemacht.  

Was für Fälle haben Sie als Beraterin davor oft erlebt?

Häufig saßen Frauen vor uns, die schon längere Zeit von ihrem Ehemann getrennt lebten. Ein letztes Mal die Wohnung betreten wollten, um ihre Sachen abzuholen. Damit sie endlich die Scheidung klären konnten. Dort kam es erst zu Gesprächen nach dem Motto "wollen wir es noch mal probieren" und "es hat doch eigentlich ganz gut geklappt". Die Frau erwiderte diese Reaktion nicht, der Mann wurde gewalttätig. Die Frau stand unter Schock und war wie gelähmt. Er vergewaltigte sie. Zutiefst verletzt landeten sie in unserer Beratungsstelle und wir mussten ihr mitteilen, dass es gesetzlich kein Straftatbestand ist. Es konnte nicht mal als eine Körperverletzung gewertet werden, weil es keine sichtbaren Verletzungen gab. Das waren dann die Momente für uns als Beraterinnen, in denen uns das alles völlig absurd und unglaublich vorkam.

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Anette Diehl arbeitet seit 30 Jahren beim Frauennotruf in Mainz. Sie hat dort viele Gesetzesreformen erlebt, die Frauen vor Gewalt schützen sollen.

Foto: privat

Haben die Ehefrauen in Ihren Beratungsstellen denn immer gewusst, dass sie vergewaltigt wurden?

Natürlich trafen wir oft Frauen, die verunsichert waren. Die nicht wussten, ob ihr Mann nicht sogar das Recht dazu hatte, sie gegen ihren Willen zum Sex zu zwingen. Schließlich waren sie mit diesem Mann verheiratet. Ihre Zwiespältigkeit führte dann zu der Wahrnehmung, dass es schon in Ordnung gewesen sein musste. Selbst, wenn sie sich in dem jeweiligen Moment noch schrecklich gefühlt hatten. Ihr Mann sie betrunken angriff. Die Kinder im Nebenraum schliefen. Sie Schmerzen erlitten. Sie seien ja schließlich verheiratet gewesen, dachten die meisten. Was aber auch daran lag, dass viele erst gar nicht auf Unterstützung gehofft haben. Es gab damals eben keine Gesellschaft, die sich neben sie gestellt hat und sagte, dass es Unrecht ist, was ihr geschehen ist.

Wo haben die Frauen damals Schutz und Hilfe gefunden?

Der Notruf war damals der einzige Raum, wo sich die Frauen sicher sein konnten, dass ihnen geglaubt und ihr Selbstbestimmungsrecht gestärkt wird. Wir hatten es aber auch gezielt darauf abgesehen, mehr als nüchterne Unterstützungsarbeit zu leisten. Keine Institution hat damals so laut wie wir "Vergewaltigung ist mit oder ohne Trauschein eine Straftat" geschrien. In der direkten Hilfe waren wir trotzdem sehr beschränkt.

Haben sie die Fälle öffentlich gemacht?

Wir haben damals viel Öffentlichkeitsarbeit geführt. Durch Aktionen haben wir immer wieder versucht Menschen auf offener Straße zu zeigen, dass Vergewaltigung ein Unrecht ist. Ich erinnere mich daran, wie wir in Düsseldorf zum Beispiel eine Aktion durchführten, bei der eine als Braut verkleidete Frau an Ketten gelegt wurde. Unsere Proteste sollten die Zuschauer ins Mark treffen.

Und wurde die Lage nach 1997 dann besser?

Es ist sehr wichtig, dass viel über ein Thema gesprochen wird. Dadurch landet die Idee, dass Vergewaltigung ein Unrecht ist erst in den Köpfen der Menschen. Insbesondere in dem Bewusstsein der betroffenen Ehefrauen. An einen konkreten Fall, in dem eine Ehefrau ihren Mann deswegen verklagte, erinnere ich mich nicht.

 

Der nächste Schritt für Frauen war im Jahr 2002 das Gewaltschutzgesetz. Was ist das?

Es war ein Paradigmenwechsel. Schlug der Mann die Frau, wurde  das vor der Einführung des Gewaltschutzgesetzes wie eine Familienstreitigkeit behandelt. Es bestand bloß die Sorge, dass die Nachbarn durch die Lautstärke gestört werden könnten. Heute nennt man diese Situation "Männergewalt an Frauen". Dadurch darf die Polizei erst rechtlich in die Situation eindringen und der Frau helfen. Kernpunkt des Gewaltschutzgesetzes ist es, dass der, der schlägt, das gemeinsame Haus für eine bestimmte Zeit verlassen muss. Egal, wer das Geld verdient und das Haus bezahlt. Der Täter darf sich nach einer so genannten Wegweisung durch die Polizei in dieser Zeit der betroffenen Frau nicht nähern. 

 

Ist das vergangenes Jahr beschlossene "Nein heißt Nein" die Weiterentwicklung des Gesetzes von 1997?

Wir haben es gesellschaftlich geschafft, dass das erkennbare "Nein" ausreicht. Es reicht, wenn Frauen sagen, dass sie etwas nicht wollen. Davor mussten sie mit aller Macht und vollem Körpereinsatz beweisen, wenn sie nicht angefasst werden wollten. 

Trotzdem gibt es in dieser Sache den Wermutstropfen, dass es hauptsächlich Männer mit Migrationshintergrund sein sollen, die straffällig werden. Wir haben also immer noch dicke Bretter zu bohren, bis unsere Gesellschaft verinnerlicht hat, dass Vergewaltigung in engen sozialen Beziehung eine Straftat ist und keine Angelegenheit zwischen zwei Menschen.

 

Es ist aber schon besser geworden?

Noch heute wird sexualisierte Gewalt verharmlost und bagatellisiert. Oft heißt es immer noch "das kann ja mal passieren". Dass Grenzen übersehen werden und dass es sich nicht um Vergewaltigung sondern harten Sex handle. Dann merke ich in Seminaren immer noch, dass Männer denken, sie müssten Frauen erobern. Frauen wiederum trauen sich nicht, Grenzen aufzustellen. Es gibt auch heute noch Phänomene wie die Pick-up-Artists. Halten wir also fest: Es gibt Fortschritte, aber auch noch viel zu tun!

 

 

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