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Warum das Lieblingsargument junger Klimaschützer heuchlerisch ist

Foto: dpa / Justin Lane

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„Als Jugendliche wird uns der Klimawandel besonders betreffen, denn wir werden seine Auswirkungen am meisten zu spüren bekommen.“ In unzählige Kameras habe ich diesen Satz gesagt, als ich mit 17 das erste Mal als Vertreter des Jugendverbandes einer großen Umwelt-NGO auf einer Klimakonferenz war. Und ich habe ihn seitdem oft gehört: Von Grüner Jugend bis Greenpeace bedienen sich junge Aktivistinnen immer wieder dieser Phrase. Ich kann sie inzwischen nicht mehr hören. Denn ich weiß inzwischen: Sie stimmt nicht.

Natürlich ist es richtig, dass wir vergleichsweise wohlsituierten Menschen Mitteleuropas mit Vorliebe für Bio-Kaffee heute noch nicht direkt von den Folgen des Klimawandels betroffen sind. Aus unserer Perspektive ist es logisch, über die Auswirkungen im Futur zu sprechen und daraus einen Generationenkonflikt abzuleiten. Ein „Wir junge Menschen müssen jetzt aufstehen, wenn wir nicht in 50 oder 60 Jahren in einer kaputten Welt unser Rentnerdasein ausklingen lassen wollen.“ Aber diese Perspektive ist dennoch eine sehr egoistische.

Im November vor drei Jahren wütete der Taifun Haiyan auf den Philippinen. Die globale Erwärmung wärmt das Meereswasser auf, sodass mehr davon verdunstet und besonders Tropenstürme bereits heute immer stärker werden.

Mit Windgeschwindigkeiten von mehr als 300 Stundendenkilometern tötete Haiyan auf den Philippinen rund 10.000 Menschen. Einer, der den Sturm überlebte, ist A.G. Sano. Durch ein Projekt zu den Folgen des Klimawandels habe ich ihn dieses Jahr kennen gelernt. Er erzählte mir, wie er stundenlang glaubte, sterben zu müssen. Er überlebte. Sein bester Freund Agil nicht. Drei Tage hatte A.G. praktisch nichts zu essen. Eine Woche lang trug er Leichen aus den zerstörten Häusern.

Weil er auf den Philippinen lebt, haben wir meist nur über Mail oder Skype Kontakt. Oft sind virtuelle Gespräche weniger persönlich und berührend, nicht aber, wenn A.G. spricht und davon berichtet, was der Klimawandel jetzt schon für ihn bedeutet: „Ich werde mich immer erinnern, wie ich durch die überfluteten Straßen voller gefallener Bäume, umgeknickter Stromleitungen und Leichen ging. Ich habe gesehen, wie der Hunger gute Menschen dazu getrieben hat, zu plündern, wie sie sogar Kinder beraubten. Da ist dieses Bild, das ich nicht vergessen kann: ein Hund, der einen anderen toten Hund frisst. Zum ersten Mal habe ich völlig verstanden, was die Worte ‚hilflos’ und ‚hoffnungslos’ bedeuten.“

Ich fühle mich heuchlerisch, wenn ich sage, als junger Mensch aus Deutschland betreffe mich der Klimawandel besonders stark.

Before the Flood - vor der Flut - heißt der neue Film von Leonardo di Caprio über den Klimawandel. Auch da wieder: Futur. Die Flut kommt erst noch. Für uns in unseren ach so bewussten Öko-Komfortzonen zwischen Sojamilch und Veggie-Burgern ist das richtig. Für A.G. muss sich das wie Hohn anhören.

Deshalb fühle ich mich heuchlerisch, wenn ich sage, als junger Mensch aus Deutschland betreffe mich der Klimawandel besonders stark. Der Klimawandel ist eine Frage der Gerechtigkeit, aber nicht nur zwischen den Generationen - sondern vor allem zwischen arm und reich, zwischen Nord und Süd, zwischen den Ländern, die den Klimawandel verursacht haben, und den Ländern, die er besonders hart trifft – jetzt schon.

Es ist noch aus einem anderen Grund nicht besonders clever, den „Als junge Menschen werden wir zukünftig betroffen sein“-Narrativ zu nutzen. Der Klimawandel wirkt dabei wie etwas, das erst in Zukunft relevant ist. Dabei ist es extrem dringend, schnell zu handeln.

Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass junge Menschen eine besondere Rolle beim Klimawandel haben. Bei Brexit und der Wahl von Trump waren es vor allem ältere Menschen, die uns diese Suppe eingebrockt haben. Gleichzeitig war die Wahlbeteiligung in beiden Fällen bei jungen Menschen am geringsten: Nur etwas mehr als ein Drittel der 18- bis 24-jährigen Briten nahmen an er Brexit-Abstimmung teil.

Die Hälfte der Menschheit ist heute unter 35. Wir haben also quasi die Mehrheit. Wenn es eine Gruppe gibt, die den Drive für Klimaschutz erzeugen kann, dann diese. Wir brauchen junge Menschen, die alte Ideen herausfordern - und zwar nicht „wegen der eigenen Zukunft“, sondern weil es heute schon verdammt wichtig ist.

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