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Was die USA von Deutschland in Sachen Neonazis lernen können

Foto: Spencer Platt/AFP

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USA, August 2017: 400 mit Schildern und Knüppeln bewaffnete Neonazis und andere Rechtsextreme prügeln sich in Charlottesville, Virginia mit Gegendemonstranten. Ein Rechtsextremer rast mit dem Auto in eine Menge von friedlichen Protestlern. Eine Frau stirbt. Das alles ist traurig und erschreckend. Aber die sogenannte „Alt-Right-Bewegung" fängt gerade erst an. Sie bündelt Kräfte am rechten Rand, die es auch in den USA schon lange gibt. Bisher trauten sich die rechtsextremen und neonazistischen Menschenfeinde nur nicht raus.

Wir in Deutschland kennen solche Bilder schon länger. Rostock-Lichtenhagen ist 25 Jahre her, die Gedenkmärsche zu Rudolf Hess' Todestag kommen immer wieder, neulich feierten im thüringischen Themar 6000 Rechtsextreme zu Rechtsrock. Immer dabei: linke Gegendemonstranten und oft auch bunter, bürgerlicher Protest. Wir sind, im Guten wie im Schlechten, also erfahren im Umgang mit Neonazis. Was also könnten die Amerikaner von uns lernen?

„Das Telefon steht kaum mehr still, wir haben viele Anfragen. Vor allem aus den USA, aber inzwischen von überallher, zum Beispiel auch aus Brasilien“, sagt Fabian Wichmann. Er arbeitet bei Exit, einer der wichtigsten Organisationen gegen Rechtsextremismus in Deutschland. 2014 organisierten Wichmann und Mitstreiter #rechtsgegenrechts. Für jeden Meter, den die Neonazis bei einem Aufmarsch zurücklegten, wurde Geld an Exit gespendet. Sie liefen also gegen sich selbst.

Und wegen solcher Aktionen ist Wichmann jetzt ein gefragter Mann. Eben noch hat er einem amerikanischen Radiosender erklärt, wie man „anschlussfähigen gesellschaftlichen Protest pflegen kann. Denn in die Diskussionen, die wir seit Jahrzehnten haben, sind die Amerikaner jetzt geworfen worden.“ Die Fragen: Auf welche Art sollte man sich mit den Neonazis auseinandersetzen? Wie aggressiv darf der Protest sein? Wie kreativ kann er sein? „Genau solche Aktionen wie #rechtsgegenrechts versuchen wir jetzt zu exportieren“, sagt er. 

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Foto: Wunsiedel gegen Rechts
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Foto: Fricke/dpa
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Foto: Fricke/dpa

Zusammen mit „Life after hate“, dem Gegenstück zu Exit in den USA, mit Studentenorganisationen und engagierten Privatpersonen versucht man, #rechtsgegenrechts oder auch #hasshilft, eine Initiative, bei der Hass-Kommentare online in Spenden umgesetzt werden, dort anzuschieben. „Das sind natürlich alles keine Geheimwaffen gegen Rechtsextreme“, sagt Wichmann. „Aber gerade angesichts der positiveren Spendenkultur der Amerikaner kann man da schon viel erreichen.“ Für ihn müssen jedoch auch Staat und Polizei erst einmal dazulernen. Als erstes, unter welchen Auflagen rechte Demonstrationen überhaupt möglich sein sollten.

„Nach Charlottesville konnte anscheinend jeder kommen“, sagt Wichmann, „und zwar wie er wollte: bewaffnet, mit Helm, Baseballschläger, Sturmgewehr.“ Die Militanz der Rechten zeigt für Wichmann die Grundaggressivität und erhöhe das Risiko für Gewalt enorm. „Zudem wurden dort die Gruppen von der Polizei kaum getrennt, wie es in Deutschland längst Standard ist. Dass dabei nicht mehr Menschen schwer verletzt oder getötet wurden, überrascht fast.“ 

Zwar existiert auch in den USA eine Antifa, die bei Neonazi-Aufmärschen die Konfrontation sucht. Und Organisationen wie das Southern Poverty Law Center, das vor allem Ku-Klux-Clan-Gruppen und Neonazis beobachtet, aber auch „Black Separatists“, also schwarze Gruppierungen, die sich für einen eigenen schwarzen Staat aussprechen. Doch  spätestens seit Charlottesville merken diese Aktivisten, dass ihre bisherigen Strategien nicht ausreichen. Es braucht alternative Ansätze gegen die Faschisten. 

„Blame and Shame“ nennt Logan Smith seine Methode. Unter dem Twitter-Account @yesyoureracist veröffentlicht er Bilder und Klarnamen von Menschen, die auf rechtsextremen Demos wie in Charlottesville auftauchten. Geoutete Rechtsextreme verlieren ihre Jobs, werden von ihren Familien verstoßen und im großen Stil an den Pranger gestellt. Manche entschuldigen sich. Manche beteuern, gar keine Rassisten zu sein. In jedem Fall ist ihr Leben danach ein anderes. 

So ähnlich dokumentieren auch Indymedia und andere Portale das deutsche Personal von Rechtsaußen, jedoch ohne Kampagnen gegen Einzelne zu starten. Fabian Wichmann findet solche Outings auch nur begrenzt sinnvoll. „Als Rache an einer Person oder einer Organisation funktioniert das. Aber auf lange Sicht wird es nur die Fronten verhärten und Menschen schaden.“ Es stehe natürlich jedem Chef und Unternehmen frei zu entscheiden, ob seine Mitarbeiter politisch zu ihm passen müssen oder nicht. „Aber gerade jüngere Menschen ziehen sie sich nach einem Outing zurück. In den seltensten Fällen zum Nachdenken. Eher verstärken sich vorhandene Gefühle der Ausgrenzung.“ Die Opferperspektive, die viele extremistische Gruppen einnehmen, werde verstärkt, die extremistischen Gruppen rücken enger zusammen.   

So bleibt, egal ob in Deutschland oder den USA, nur die mühsame Arbeit an den Wurzeln des Problems. So wie Daryl Davids, ein schwarzer Bluesmusiker aus Washington D.C., der sich seit Jahrzehnten mit Ku-Klux-Klan-Mitglieder trifft. Also mit Menschen, die ihn tot sehen wollen. Und dabei schon viele von ihnen überzeugen konnte. Ihre Kutten, die sie für immer ablegten, sammelt er wie Trophäen. 

Andere Organisationen gegen Rechts haben in den USA unter Präsident Trump allerdings mit neuen Problemen zu kämpfen. Christian Picciolini, Mitbegründer vom amerikanischen Exit-Äquivalent „Life After Hate“, sagte gegenüber jetzt im Interview über die aktuelle Situation: „Es ist schlimm, aber ich bin auch froh, dass die rechte Bewegung endlich ihr wahres Gesicht zeigt.“ Anfang des Jahres wurden Picciolinis Verein 400.000 Dollar von der US-Regierung zugesagt – damals noch unter Präsident Obama. Inzwischen hat das Ministerium für Heimatschutz diese Zusage wieder zurückgenommen. Das Geld wird nicht fließen. Angeblich soll Katherine Gorka, die Frau von Trumps Berater Sebastian Gorka, maßgeblich an dieser Entscheidung beteiligt gewesen sein

Der Fisch stinkt also mal wieder vom Kopf. Und damit ist die beste Maßnahme gegen Rechtsextremismus wohl erst in gut drei Jahren möglich: einen Anführer zu wählen, der mit Neonazis nicht flirtet. Sondern sie verurteilt. 

 

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