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"Präsident, Tattoo, Penis": Macht in Myanmar sechs Monate Haft

Illustration: Katharina Bitzl

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Maung Saungkha, 23, ist Dichter, Aktivist und Mitglied der National League of Democracy (NLD), der ersten demokratisch gewählten Regierungspartei in Myanmar nach mehr als 20 Jahren Militärdiktatur. Im November 2015 – kurz vor den Wahlen – wurde Maung Saungkha verhaftet, weil er ein Gedicht auf Facebook postete, in dem er schrieb, ein Tattoo des Präsidenten auf dem Penis zu haben. Im Mai 2016 wurde er zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, die er bis dahin allerdings schon abgesessen hatte. Sein Fall erregte weltweit mediale Aufmerksamkeit und galt als Beweis für die immer noch restriktive Politik in Myanmar. Trotz der Regierungsübernahme durch die NLD von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi kämpft die junge Demokratie in Südost-Asien noch mit ihrem diktatorischen Erbe.

jetzt: Maung Saungkha, hast du ein Tattoo?

Maung Saungkha: (lacht) Nein.

Hättest du gerne eines?

(lacht) Nein, ich möchte keines.

Warum hast du dieses Gedicht dann geschrieben?

Ich hatte diesen Film gesehen, „The Hunger Games“. Dort gibt es diesen sehr bösen Präsidenten: Snow. An ihn hatte ich gedacht – und an Tattoos. Manche Leute tätowieren sich ja Persönlichkeiten, die sie bewundern, auf ihre Brust oder so. Aber ich habe mich gefragt: Wohin tätowiert man sich jemanden, den man nicht mag? So entstand dieses Gedicht.

Du hast also nicht an den ehemaligen Präsidenten von Myanmar Thein Sein gedacht?

Nein. Es könnte jeder Präsident gemeint sein: Putin, Obama… Ich habe keinen Namen erwähnt. Als Dichter ist es auch nicht meine Aufgabe, meine Arbeit zu erklären, sondern die Menschen zum Nachdenken zu bringen. Die Regierung hat mein Gedicht getötet, weil sie nur noch diese Interpretation zuließ.

Hattest du damit gerechnet, verhaftet zu werden?

Nein, überhaupt nicht. Ich war wirklich schockiert und hatte große Angst, als die Polizei kam. Ich hatte gehofft, ich könnte mich friedlich ergeben. Ohne Gewalt, Handschellen und so. Aber sie haben mir nicht mal eine Chance dazu gegeben. Sie haben mich einfach gepackt und mit sich gezerrt.

Wie war das Leben im Gefängnis?

Ich kannte all diese schrecklichen Geschichten über Gewalt gegen Häftlinge, vor allem gegen politische Aktivisten: Sie wurden zusammengeschlagen, missbraucht, gefoltert. Ich dachte, mir würde das Gleiche passieren. Aber diesbezüglich haben sich die Dinge geändert. Die Wärter waren nicht gewalttätig. Aber sie haben mich lange verhört: Warum ich dieses Gedicht geschrieben habe. Auch über meine Familie haben sie mich ausgefragt. Bis zu meinem Großvater wollten sie alles über jeden wissen und sie haben ihre Fragen andauernd wiederholt, um einen verrückt zu machen. 

Was hast du getan, um nicht verrückt zu werden?

Ich bin schon verrückt (lacht). Ich habe viel gelesen und Gedichte geschrieben. Mein sechstes Buch „Silent Pain“ wird jetzt im September veröffentlicht, mit all den Texten, die ich im Gefängnis geschrieben habe. Ich glaube, dank der Regierung wird es sehr viel bekannter werden, als die Vorherigen.

Warum hast du überhaupt angefangen, Gedichte zu schreiben?

In einem Gedicht kannst du zwischen den Zeilen schreiben. Du kannst dich frei äußern, selbst in einer politisch unfreien Umgebung. 

Was war dein erstes Gedicht?

"A Look", hieß es. Es war über Liebe. Ich habe es mit 13 geschrieben.

Und dein Lieblingsgedicht?

"The Waste Land" von T.C. Elliot.

Du wurdest drei Tage vor den ersten freien Wahlen in Myanmar verhaftet. Konntest du im Gefängnis wählen?

Normalerweise dürfen Häftlinge in Myanmar nicht wählen. Diesmal durften wir. Aber ob unsere Stimmen auch gezählt wurden – da bin ich mir ehrlich gesagt nicht so sicher. 

Wie ging es dir nach deiner Entlassung?

Ich war sehr glücklich, wieder frei zu sein aber das Urteil war unfair. Sie haben mich zu sechs Monaten Haft verurteilt. Ich war bis dahin aber schon sechs Monate und 19 Tage im Gefängnis und für die 19 Tage habe ich bis heute keine Entschädigung bekommen. 

Bei deiner Festnahme war Thein Sein noch Präsident. Mittlerweile hat die demokratische NLD-Partei die Regierung übernommen. Was glaubst du, würde passieren, wenn du jetzt nochmal so ein Gedicht schreibst?

Das Militär in Myanmar ist immer noch sehr mächtig. Es besetzt ein Viertel der Sitze im Parlament (Anm. d. Red.: Die regierende NLD-Partei kann deshalb alleine keine Verfassungsänderungen durchsetzen). Auch die Partei von Thein Sein, die Union Solidarity and Development Party (USDP), ist noch vertreten. Ich glaube, wenn ich nochmal so ein Gedicht schreibe, würden sie die NLD unter Druck setzen, mich zu bestrafen.

"Ein Fall wie meiner schreckt die Menschen natürlich ab, sich zu äußern"

Es gibt also immer noch keine Meinungsfreiheit in Myanmar?

Es gibt einfach noch zu viele Gesetze, die Leute bestrafen, wenn sie Kritik üben, so wie Paragraph 66 (d) des Telekommunikationsgesetzes (der Gesetzestext, nach dem Maung Saungkha verurteilt wurde. Er verbietet unter anderem diffamierende, unangebrachte und Unruhe stiftende Handlungen; Anm. d. Red.). So lange wir diese Gesetze haben, wird es in Myanmar keine Meinungsfreiheit geben. 

Durch die Erfahrung der langen Militärdiktatur haben viele Einheimische immer noch Angst, offen ihre Meinung zu äußern. Wie kann man den Menschen die Angst nehmen?

Wie gesagt, wir müssen die Gesetze ändern, damit die Menschen keine Angst mehr haben. Ein Fall wie meiner schreckt die Menschen natürlich ab, sich zu äußern. Aber wir müssen lernen, die Regierung zu kritisieren. Viele Menschen hier sind das einfach nicht gewohnt. Aber wenn wir das nicht tun, bewegen wir uns zurück in die Vergangenheit. 

Wie bewertest du die Arbeit der neuen Regierung bis jetzt?

Diese Regierung ist wie ein neugeborenes Baby, das versucht, das Gehen zu lernen. Es ist noch zu früh für ein Urteil.

Gibt es noch andere Tabus in Myanmar, außer Politik?

Menschen reden nicht über Sex. Wenn du ein Gedicht über Sex schreibst, beschuldigen sie dich, du würdest die Leute verderben und zum Fremdgehen animieren. So, als ob sie das nicht auch ohne Gedichte heimlich tun würden. 

Nach allem, was passiert ist, seit du das Gedicht geschrieben hast: Würdest du es trotzdem wieder machen?

Ja, ich bereue nichts.

Weniger Freiheit gibt es hier:

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