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„Die Maßnahmen der Staaten reichen einfach nicht aus“

Foto: privat

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Die UN-Klimakonferenz in Bonn wird mit 25.000 Teilnehmern ein politisches Großevent. Ab Montag verhandeln die Vereinten Nationen weitere Klimaziele. Für Lisa*, 30, vom Bündnis System Change not Climate Change sind die Ziele der Konferenz zu schwammig. Sie wird schon am Sonntag protestieren, auch wenn sie dabei an die Grenzen des Legalen gerät. Wir haben sie kurz vorher angerufen.

jetzt: Lisa, es klingt ein bisschen chaotisch um dich herum, wo bist du gerade?

Lisa: Ich sitze am Rhein vor einem großen Zirkuszelt, wo das Aktionscamp aufgebaut wurde, von dem aus wir unsere Proteste starten. Gerade wird für alle gekocht, es gibt Kaffee und Workshops zu den Aktionen, die vom Bündnis Ende Gelände geplant sind. Wir sind sehr nah dran, gleich hier um die Ecke findet am Montag die UN-Klimakonferenz statt. 

Eigentlich sollen da doch Ziele zum Klimaschutz ausgehandelt werden, was habt ihr dagegen?

Naja, es ist schon gut, dass das Klima verhandelt wird, aber es muss schneller gehen. 2015 haben sich die Staaten in Paris geeinigt, ihre Treibhausgasemissionen zu verringern. Wir werden den Mächtigen auf die Finger zu schauen, denn bisher wurden diese Ziele weit verfehlt.

Wer sagt das?

Das sagt sogar das UN-Umweltprogramm selbst. In Paris wurde sich darauf geeinigt, dass die Durchschnittstemperatur der Erwärmung zwei Grad nicht überschreiten darf. Mit den derzeitigen Klimaschutzzusagen steuern wir aber auf eine Erwärmung von mindestens drei Grad zu. Die Maßnahmen der Staaten reichen einfach nicht aus. Sie setzen außerdem an den falschen Stellen an: Wir leben in einem Wirtschaftssystem, das von Wachstum getrieben ist. Jedes Kind lernt in der Schule, dass man dafür Rohstoffe braucht. Die wenigsten verstehen, dass auch die Rohstoffe endlich sind und so ein unendliches Wachstum nicht möglich ist.

Wo setzt ihr als Aktivisten denn an, wenn eigentlich das ganze System Schuld sein soll?

Wir versuchen das Problem an einzelnen, besonders klimaschädlichen Projekten aufzuzeigen. Ein Beispiel wäre der Ausbau von Flughäfen. Wenn erst mal eine neue Flugpiste da ist, muss die auch genutzt werden, dann gibt es kein Zurück mehr. Der Wiener Flughafen will eine neue Landebahn bauen, dagegen haben wir mit Demos, Vorträgen und einem Klimacamp protestiert. So konnten wir den Bau vorläufig stoppen. Aber weil sich sehr viele Politiker für den Bau eingesetzt haben, gibt es noch keine endgültige Entscheidung.

„Was wir machen nennt sich ‚massenhafter ziviler Ungehorsam’“

Wie sehen diese Proteste heute aus?

Was wir machen nennt sich „massenhafter ziviler Ungehorsam“. Menschen wie Martin Luther King oder Rosa Parks haben diese Aktionsform genutzt und damit gezeigt, wie man bewusst gesellschaftliche Normen übertritt, wenn Gesetze ungerecht sind. In unserem Fall bedeutet das, klimaschädliche Infrastrukturen zu blockieren. Dafür setzen wir unsere Körper zum Beispiel in Sitzblockaden ein. Die Polizei wird uns da schnell wieder weghaben wollen, aber wir sehen es als legitim an, genau an diesen Orten auf die Problematik aufmerksam zu machen.

Ihr wollt heute das Braunkohlegebiet blockieren. Warum?  

Ironischerweise findet der Klimagipfel direkt neben einer der größten CO2-Quellen Europas statt, 50 Kilometer vom rheinischen Braunkohlerevier entfernt. Im Sommer war ich selbst dort in einem komplett ausgestorbenen Dorf, um mir ein Bild zu machen. Da lebten vor allem viele alte Menschen, denen die Zwangsumsiedlungen starke Probleme machen. Aus ihrem alten Heimatdorf wird bald eine Braunkohlegrube. Dabei ist Kohle der schädlichste Energieträger überhaupt. Man weiß seit Jahren, dass der Kohleabbau extrem Klima- und Gesundheitsschädigend ist und man fragt sich, warum das noch erlaubt ist.     

 

Du sprichst von alten Menschen, die darunter leiden. Welche Folgen des Klimawandels werden unsere Generation konkret betreffen?

Wir werden mehr Naturkatastrophen wie Stürme, Hochwasser oder Hitzewellen erleben. In Wien war dieser Sommer der heißeste seit langem. Mit jeder Generation werden die Auswirkungen spürbarer. Dann ist das irgendwann nicht mehr irgendeine Zukunft, sondern Gegenwart. Und das kann schon die Gegenwart unserer Kinder sein.

 

„Durch die Klimaproblematik fangen viele an, sich mit anderen Fragen von Gerechtigkeit zu beschäftigen“

 

Bei den Massenprotesten von Ende Gelände engagieren sich vor allem junge Menschen. Politisiert das Thema besser als andere politische Themen?

Ich glaube schon. Zu den Protesten kommen viele junge Menschen, die davor wenig oder nie politisch aktiv waren. Denen reicht es nicht mehr, nur auf Demos zu gehen. Die Klimaproteste sind ein guter Einstieg für politischen Aktivismus, weil sie so breit und offen für alle organisiert sind. Durch die Klimaproblematik fangen viele dann auch an, sich mit anderen Fragen von Gerechtigkeit zu beschäftigen. Außerdem ist der Umweltprotest nicht an die Politik einzelner Länder gekoppelt. Die Proteste sind sehr international. Auch hier auf dem Camp hört man sehr viele unterschiedliche Sprachen.

 

Was habt ihr jetzt die nächsten Tage vor?

Nach der Aktion wird es Montag und Dienstag in Bonn mit einem Alternativgipfel weitergehen. In Podiumsdiskussionen und Workshops wollen wir erarbeiten, wie diese andere Welt aussehen kann, die wir dringend brauchen. Es ist einfach extrem ungerecht, dass wir im globalen Norden für den Großteil der Auswirkungen des Klimawandels verantwortlich sind, aber keine Verantwortung übernehmen wollen, weil wir nicht die ersten sind, die es trifft. Die Industrienationen müssen Geld auf den Tisch legen und daran was ändern. Das werden wir heute gemeinsam einfordern. Wir machen so lange Druck, bis was passiert.

 

* Da sich manche Protestformen, die Lisa wählt, in einer rechtlichen Grauzone bewegen, hat sie darum gebeten, dass ihr Nachname nicht veröffentlicht wird. Die Jetzt-Redaktion respektiert ihren Wunsch, Lisas Nachname ist der Redaktion aber bekannt.

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