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„Die Faschismuskeule führt zu nichts“

Foto: Fabrizio Bensch / Reuters

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Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder hat untersucht, wie die AfD-Abgeordneten von 2014 bis 2017 in den Landtagsparlamenten gearbeitet haben, in die sie eingezogen waren. Die Ergebnisse aus Parlamentsdokumenten, Medienberichten, Kleinen Anfragen und Interviews mit den Fraktionsvorsitzenden und -geschäftsführern der AfD geben Einblicke in die Funktionsweise der Partei und das, was wir im Bundestag von ihr zu erwarten haben.

jetzt: Herr Schroeder, die AfD ist jetzt die drittstärkste Kraft im Bundestag. Wie wird sie ihre Sitze dort nutzen?

Wolfgang Schroeder: Ich denke, dass die AfD ihre Rolle dort nicht in der Arbeit in den Ausschüssen sieht, sondern im Plenum. Dort wird sie versuchen, immer wieder durch abweichende Positionen, Eklats und Provokationen aufzufallen. Das heißt nicht, dass sich nicht auch einzelne Abgeordnete zu bestimmten Themen motiviert fühlen und sich in den Ausschüssen einbringen. Aber das wird nicht das sein, was die AfD im Parlament prägt. Sie wird versuchen, sich als Stimme des Volkes darzustellen, indem sie zum Beispiel dafür wirbt, Migration zu begrenzen, Europa zurück zu drängen und Kriminalität und damit die Täter härter zu bestrafen.

Aber wird die AfD dadurch auch tatsächlich etwas in ihrem Sinne verändern können?

Die AfD ist eine Oppositionspartei, mit der niemand koalieren oder gemeinsame Geschäfte machen will. Insofern wird sie für sich genommen überhaupt nichts hinbekommen. Aber sie wird in der Lage sein, die Regierung unter Druck zu setzen. Das hat man in den letzten drei, vier Jahren schon gesehen. Ansonsten muss man die Kirche im Dorf lassen – 90 Prozent haben die AfD nicht gewählt und im Parlament werden auch 90 Prozent Abgeordnete sitzen, die nichts mit der AfD zu tun haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie da Dinge mit voranbringen, ist sehr gering.

Es kann allerdings sein, dass sie schmutzige Themen, die von anderen Parteien eher vernachlässigt werden, emotionsgeladen nach vorne bringen. Zum Beispiel die Ausländerkriminalität oder die Rückführung von Flüchtlingen. Die AfD wird auch stärker Stimmung gegen Minderheitenpolitik machen, also etwa gegen die Förderung von Frauen, Ausländern oder Homosexuellen. Auf jeden Fall wird die AfD im Plenum kräftige Reden halten, in denen sie negative Stimmungen in der Bevölkerung aufnimmt, um den emotionalen Erregungsstrom am Laufen zu halten. Denn von solchen negativen Emotionalisierungen lebt die AfD.

Werden die Rechten im Bundestag auch neue, weniger populistische Themen für sich beanspruchen?

Anhand der Kleinen Anfragen in den Landtagen haben wir ausgewertet, für welche Themen sich die AfD-Abgeordneten besonders interessieren. Migration, innere Sicherheit und Linksextremismus stehen im Vordergrund. Wir haben aber auch festgestellt, dass sich die AfD für soziale Themen geöffnet hat. Die werden allerdings meist auf die Ausländerfrage zurückgeführt. Nach dem Motto: Wenn wir keine Flüchtlinge zu versorgen hätten, hätten wir mehr Geld für Bedürftige. Es ist durchaus vorstellbar, dass die AfD sich auch im Bundestag im sozialen Bereich einbringt und zum Beispiel ein eigenes Rentenkonzept entwickelt. Dafür braucht es aber entsprechende Fachpolitiker – und die fehlen der AfD noch.

Sie haben in den letzten drei Jahren die Arbeit der AfD in den Landesparlamenten beobachtet. Was war Ihre wichtigste Erkenntnis dabei?

Die AfD ist eine Koalition von sehr unterschiedlichen Strömungen und Flügeln. Die reichen von Euro-Skeptikern bis Rechtsextremisten, von Hasspredigern bis zu ganz normalen Menschen, die bestimmte Mißstände kritisieren und ihre legitimen Anliegen vorbringen. Den größten Erfolg hat die AfD, wenn sie den Laden zusammenhält und keine dieser Gruppen ausschließt. Der zweite Punkt ist: Diejenigen, die für die AfD in die Landtage gegangen sind, waren Parlaments-Neulinge. Auch wenn sie die Regeln fleißig gelernt haben, haben sie das Parlament meistens nicht als Ort der Gestaltung gesehen.

Wolfgang Schroeder

Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder, 57, lehrt und forscht an der Uni Kassel und dem Wissenschaftszentrum Berlin. Außerdem war er für die IG Metall und als Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie in Brandenburg tätig. Schroeder ist Mitglied der Grundwertekommission der SPD.

Foto: privat

Dabei ist wichtig zu wissen, dass es zwei Flügel in der AfD gibt: einen parlamentsorientierten und einen bewegungsorientierten. Für den bewegungsorientierten Flügel geht es nicht um den Parlamentarismus, sondern darum, dieses Land grundsätzlich zu verändern. Das heißt, die Straße und die Stammtische für sich zu gewinnen. Das Parlament ist da nur ein Baustein. Bei den Parlamentsorientierten, zu denen auch Frauke Petry gehört, ist es anders. Sie wollen zeigen, dass Deutschland eine wirklich konservative Partei fehlt und diese Lücke schließen.

Welcher der beiden Flügel wird sich im Bundestag durchsetzen?

Wir haben festgestellt, dass die Gruppe der radikaleren Bewegungsorientierten stärker geworden ist. Das hängt auch damit zusammen, dass sie mehr Aufmerksamkeit von den Medien bekommen, was für die Partei wichtig ist. Es wird eher darüber berichtet, wenn jemand den Konsens infrage stellt, als wenn jemand einen fachlich soliden Antrag formuliert. Die AfD lebt von Tabubrüchen – und die haben in Richtung Wahlkampf zugenommen. Das hat sich auch in der Kandidatenaufstellung für den Bundestag niedergeschlagen: Von den etwa 250 Kandidaten, die die AfD aufgestellt hat, gehören etwa 40 Prozent zum bewegungsorientierten Flügel, weitere 40 kann man nicht eindeutig zuordnen und nur 20 Prozent gehören zu den Parlamentsorientierten. Bei den 94, die davon jetzt wohl in den Bundestag einziehen, ist davon auszugehen, dass es ein deutliches Übergewicht der radikalen, bewegungsorientierten Teile in der AfD-Fraktion geben wird.

Sie haben in einem Interview mit der taz gesagt, die AfD habe eine innere Selbstzerstörungskraft. Was bedeutet das?

Das liegt eben an den verschiedenen Strömungen innerhalb der Partei. Was sie eint, ist der Zorn auf das Establishment – das reicht langfristig aber nicht aus. Wenn es keinen Angriff von außen gibt, können wir beobachten, dass die einzelnen Gruppen übereinander herfallen. Insofern werden wir noch viele Spaltungsdebatten erleben – der Beginn war der Abschied von Frauke Petry. Ihr werden wahrscheinlich noch weitere Mitglieder folgen.

Ich kann aber nur davor warnen, von einem schnellen Ende dieser Fraktion auszugehen. Da gibt es noch genug Kraft, den Laden zusammenzuhalten. Wobei die Spaltung in Bewegungs- und Parlamentsorientierte sehr schnell passieren könnte. Frauke Petry halte ich allerdings nicht für eine ausreichend charismatische und teamorientierte Persönlichkeit, um viele Gefolgsleute hinter sich zu scharen. Da fehlt den Parlamentsorientierten gerade das entsprechende Führungspersonal.

Haben Alice Weidel und Alexander Gauland als mögliche Vorsitzende das Potential, die Fraktion zusammenzuhalten?

Ja, die beiden bilden die gegensätzlichen Seiten innerhalb der AfD schon gut ab. Und sie scheinen die eigentlichen wechselseitigen Unverträglichkeiten zu ignorieren oder zu relativieren, um den Zusammenhalt zu erhalten. Das Ganze ist aber ein Pulverfass. Diese unterschiedlichen Kräfte sind so destruktiv, dass sie das Ganze auch in die Luft sprengen könnten.

 

Wie sollten die anderen Parteien im Bundestag mit der AfD umgehen?

Die etablierten Parteien haben ja einen gewissen Anteil daran, dass es überhaupt zu dem Phänomen der AfD kommen konnte. Dazu gehört, dass sie an einen Teil der Gesellschaft kaum noch herangekommen sind. Die AfD hat diese Menschen gewissermaßen wieder an das politische System herangeführt. Jetzt ist es an den Volksparteien, Rechenschaft darüber abzulegen, wie es dazu gekommen ist. Das fängt damit an, sich die Tiefe der Niederlage, die sie bei der Wahl erlitten haben, ehrlich einzugestehen. Die Parteien müssen Klartext reden. Außerdem müssen sie die Folgen der Globalisierung und der Digitalisierung stärker berücksichtigen, also auch die Schicksale der Menschen, die dadurch abgehängt werden.

Die etablierten Parteien müssen die Chance nutzen, mit der AfD zu diskutieren. Also auch mal fragen, was der Hintergrund einer bestimmten Position ist. Man kann nicht nur wie am Wahlabend mit der Faschismus-Keule rumlaufen, das führt langfristig zu nichts.

 

Hat es auch etwas Gutes, dass jetzt schärfere Debatten im Bundestag zu erwarten sind?

Ja. Durch die Erwartungshaltung, die die AfD mit ihren Provokationen weckt, fordert sie die anderen Parteien heraus. Und auch die Bevölkerung ist jetzt sensibilisiert. Sie will wissen, was da jetzt passiert. Das ist für beide Seiten eine Chance: Die AfD könnte die Erwartungen erfüllen oder auch nicht. Und die demokratischen Parteien müssen einen Weg finden, angemessen zu reagieren. Die AfD ist ja kein Randgruppen-Phänomen, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Daher muss sich der restliche Bundestag diese Herausforderung gefallen lassen und darauf eingehen.

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