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Was kommt, falls M94.5 abgeschaltet wird?

Foto: Kevin Winter, afp

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Der Jeep Renegade ist ein durchaus furchteinflößendes Stück Auto – vor allem in der „Night Eagle“-Special Edition, immerhin knapp 1,7 Meter hoch, schwarze Felgen und ein dunkler, massiger Kühlergrill, der Passanten wohl sehr direkt über die kurze Schnauze gegen die stark getönte Frontscheibe lenkte, führe man einen von ihnen an. Man könnte (muss aber nicht) ihn vielleicht als prollig bezeichnen – in jedem Fall kann man sich aber gut vorstellen, dass zum Beispiel Kid Rock ihn besingen würde („Drove that ass in my Renegade!“, oder so …).

Das Auto ist hier deshalb wichtig, weil sich das Woody Allen zugeschriebene Zitat „Am zuverlässigsten unterscheiden sich die einzelnen Fernsehprogramme noch immer durch den Wetterbericht“ auch auf Radiosender übertragen lässt. Und es dann bestimmt lautete: „Am zuverlässigsten unterscheiden sich die einzelnen Radioprogramme noch immer durch die Preise ihrer Gewinnspiele.“ M 94.5, zum Beispiel, bietet zusammen mit dem Café Kosmos gerade DJ-Equipment, und man muss, um teilzunehmen, ein möglichst schlüssiges Mixtape mit möglichst unterschiedlichen Genres einschicken.

Und die Rock-Antenne hatte eben gerade den genannten Jeep im Programm. „Weihnachtsschlitten“ heißt der da. Und man musste, um teilzunehmen, in ein Autohaus gehen und versuchen, das Fahrzeug mit einem von 30 Schlüsseln zu starten. Oder wie die Homepage sagt: „30 Schlüssel, 30 gespannte ROCK ANTENNE Hörer (plus Begleitung), ein ebenfalls sehr gespanntes ROCK ANTENNE Team und EIN nagelneuer Jeep Renegade!“

Ich weiß das alles, weil ich einen Tag lang Rock Antenne gehört habe. Im Internet. Und ich habe das gemacht, weil die bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) mit der Idee spielt, die UKW-Frequenz 94,5 neu zu vergeben. Entweder an den Jugendsender EgoFM, oder eben an Rock-Antenne (der Hintergrund hier). Und man sollte, um mitdiskutieren zu können, ja vielleicht wissen, was kommt, falls M 94.5 tatsächlich ginge. Inhaltlich. Dass es eigentlich um finanzielle Fragen geht, steht unter anderem hier.

Beim Einschalten kommt tatsächlich direkt: „Eye of the Tiger“. Das mag Pech sein. Ich will nämlich eigentlich gerade nicht tun, was man jetzt erwarten würde: voreingenommen an die Sache rangehen. Mit Klischee-Hirn hören. Aber die Rock-Antenne macht einem das nicht eben leicht. Weil, wenn einer sagt: „Ich höre gerade einen Rock-Sender mit regionalem Einschlag“, an welchen Song denkt man da mit Klischee-Hirn sofort (oder zumindest nach „Final Countdown“)? Eben.

Sender wie Rock-Antenne sind also das, was man eine low-hanging fruit nennen würde. Ein einfaches Ziel. Es ist sehr, sehr leicht, da draufzuhauen und sich überlegen zu fühlen, wenn man nicht 1994 aufgehört hat, neue Musik zu entdecken. Und das will ich nicht.

"666 Dinge, die ein Rockfan im Leben gemacht haben muss"

Deshalb deutlich vorweggeschickt: Die Rock-Antenne macht das, was sie machen will (oder glaubt, machen zu müssen), gut. Manchmal sogar sehr gut. Die Musikauswahl ist, für einen Sender ihres Namens, eher breitgestreut und eher geschmackvoll. Die Moderationen befassen sich in der Hauptsache möglicherweise ein bisschen weniger mit dem Wetter und dem nahenden Feierabend als zum Beispiel die bei Bayern 3 (wenn auch nicht sehr). Mit Wohlwollen lässt sich vielleicht sogar erspüren, dass die Redaktion gerne ein etwas jüngeres und überraschenderes Programm spielen würde, als sie es tut.

Man könnte das Ganze also auf nischige Art charmant finden und der Fall wäre erledigt. Aber ganz so leicht ist es dann eben doch nicht.

Etwas in diesem engen Segment gut zu machen, heißt schließlich, es mit möglichst maximalem Fokus zu machen. Und wer eine Auswahl, eigentlich egal wo, mit maximalem Fokus trifft, der verengt und verdichtet. Er wird eindimensional. Zwangsläufig. Das kann als Konzept auch große Kraft haben. In jedem Fall ist es aber mal eine Richtungsentscheidung.

Nach „Eye of the Tiger“ kommen in loser Folge: „Jesus He Knows Me“ von Genesis. „Wünsch dir was“ von den Toten Hosen. „Zähneputzen, Pullern und ab ins Bett“ von Knorrkator. „Narcotic“ von Liquido. „Drops of Jupiter“ von Train. „Rebell Yell“ von Billy Idol. "Enter Sandman" von Metallica. Und vieles mehr, was das Gehirn beim Nebenbeihören herausfiltert – vielleicht auch, weil es ihm so bekannt und alltäglich erscheint wie der Verkehrslärm, wenn man an einer großen Straße wohnt. Insgesamt habe ich in sieben Stunden Rock-Antenne jedenfalls genau zwei Songs gehört, die ich nicht gekannt habe.

Und viele Ankündigungen. Vor „Give it Away“ läuft zum Beispiel ein kurzer Einspieler, der „666 Dinge, die ein Rockfan im Leben machen muss“ heißt (vermutlich eine Serie). Was der Rockfan in diesem Fall sinngemäß machen muss: Beim Kochen mal die Mengenangaben und Zutatenlisten ignorieren – und einfach nur Red Hot Chili Peppers nehmen.

Maximaler Fokus. Verdichtung. Richtungsentscheidung.

Und die Richtung heißt – das ist Konzept und darin stimmig, aber eben auch eindeutig: rückwärts. Und das nicht, das sei noch mal ganz laut gesagt, weil ein bestimmtes Klientel bedient wird, oder ein besonderer Geschmack, sondern weil dahinter ein völlig veraltetes Verständnis von Musik und Pop-Kultur steht. Rock-Antenne ist ein Format aus einer Zeit, in der Pop-Kultur in seiner monothematischsten Form noch zur Abgrenzung diente. Rocker gegen Popper. Rap gegen Metal. Wir gegen die. Und in Abstufungen leider auch ein bisschen: Männer gegen Frauen.

Auch das hat mit dem Fokus zu tun. Man kann die Geschichte des Rock mit gar nicht so maximalem Fokus ja auch als die Geschichte der Abgrenzung weißer Männer von ihren Frauen begreifen. Als der Jeep „Renegade“ – der in der „Night Eagle“-Special Edition mit den schwarzen Felgen und dem dunklen, massigen Kühlergrill – verlost wird, erklärt der Moderator das Konzept so: „Bei wem er anspringt, darf ihn behalten. Das ist wie beim Metal-Moser – der hat seine Oide auch angesprungen und dann hat sie ihn behalten.“

Und ich betone noch mal, dass ich an sich jedem quasi jede musikalische Nische auf jedem erdenklichen Empfangsweg gönne – auch auf UKW. Aber bei der Frage, was München zumindest inhaltlich braucht, und zwar dringend auch auf UKW, sage ich – mit maximalem Fokus, verdichtet, als Richtungsentscheidung und mit Angst: Bitte, bitte hier unterschreiben.

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