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Diese Studenten bauen ihr eigenes Wohnheim

Foto: Peter Krauch

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Mittwochabend in Heidelberg. Es ist einer der letzten richtig heißen Sommertage im August und beim Anblick des vollen Terminplans kann man zusätzlich ins Schwitzen kommen. Hier trifft sich in einem Raum der Heidelberger Universität die Planungsgruppe des studentischen Vereins „Collegium Academicum“ (CA).

Seit 2013 verfolgt die Gruppe ein hochidealistisches Ziel: ein Studentenwohnheim in Eigenregie. Basisdemokratisch soll das sein, von der Planung her, aber auch im Betrieb. Und mit den Bewohnern interagieren. Und ein bisschen die studentische Welt verbessern soll es auch. Da in Heidelberg, wie in vielen Studentenstädten, die Situation auf dem Wohnungsmarkt extrem angespannt ist – Schätzungen des Statistischen Landesamtes zufolge fehlen bis 2030 11.000 Wohnungen in der Stadt – eigentlich eine gute Idee. Aber ist das auch realisierbar?

Nicolai ist 29 und eigentlich schon mit seinem Geographie- Studium fertig. Er selbst wird also nie ins Collegium Academicum einziehen. Trotzdem leitet er an diesem Abend gemeinsam mit Margarete, 24 Jahre alt und Studentin der Psychologie, die Sitzung der Planungsgruppe. Weil die Nachhaltigkeit bei dem Projekt vor allem anderen steht – die kommenden Generationen sollen davon profitieren. Dafür organisieren Nicolai, Margarete und die anderen Mitglieder ihrer Gruppe seit Jahren Infostände, Bürgerforen, Gespräche mit Sponsoren, Partnern, Behörden. So auch an diesem Abend. Was eben notwendig ist, wenn man ein eigenes Wohnheim bauen will. Und die Zeit drängt.

Bis 2019 sollen auf einer ehemaligen Militärfläche über 170 Wohnplätze entstehen. Die Finanzierung erfolgt durch Fördermittel vom Staat und der KfW und Direktkrediten von Privatpersonen. Brandschutz, Statik, gesetzliche Vorgaben und letztendlich auch die abhängige Finanzierung beschränken die Möglichkeiten allerdings. „Es ist eine ganze einfache Vorgabe durch das Förderprogramm gesetzt: 300 Euro Warmmiete pro möbliertem Wohnheimplatz. Aus diesen zukünftigen Einnahmen muss die Finanzierung des Projekts entstehen, das ist eine relativ einfache Rückwärtsrechnung“, erklärt Architekt Hans Drexler. Er hat das Wohnheim primär mit Holz als Hauptbaumittel geplant – und denkt auch damit weit in die Zukunft: „Am Ende des Lebenszyklus des Gebäudes ist es so deutlich besser zu recyceln.“

Ansonsten ist das neue Wohnheim vor allem praktisch: Die Einzelzimmer in den WGs bestehen jeweils aus einer Kernzone von 7 Quadratmetern und einer gleichgroßen flexiblen Zone. Somit stehen jedem Bewohner erst einmal 14 Quadratmeter zur Verfügung, die man nach Belieben mithilfe der flexiblen Wände verringern kann – zum Beispiel, wenn ein neuer Bewohner einzieht oder man einen neuen großen Gemeinschaftsraum braucht. Dafür verzichten die Bewohner dann auf Privatsphäre - und müssen sich irgendwie auf ein Konzept einigen können – basisdemokratisch eben. Außerdem soll in dem Wohnheim eine Werkstatt realisiert werden, in der sich die Bewohner im Rahmen von Open-Source-Architecture selbst mit einer Fräse Möbel bauen können. Und für das Studium soll es ein Propädeutikum geben, Tutorien, Seminare – alles selbst organisiert. Für Planerin Franziska, die 28 ist und in Geschichte promoviert, sind diese Interaktionen besonders wichtig: „Es geht beim CA genau um den Mehrwert über das Wohnen hinaus. Es entsteht in freier Trägerschaft und das gibt viel mehr Freiheiten. Die Bewohnerinnen und Bewohner können selbst mitbestimmen, was in und mit dem Gebäude passiert, in dem sie leben.“ So die Theorie.

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So soll das Wohnheim mal aussehen.

Illustration: Maurice Frank

Zurück in der Sitzung der Planungsgruppe im Hier und Jetzt gibt es hingegen ganz praktische Probleme. Momentan arbeiten hier circa 20 Menschen mit, an diesem Mittwoch in der vorlesungsfreien Zeit sind dann doch nur acht anwesend. Bestimmt geht die Gruppe ihre Tagesordnung durch. Heute geht es beispielsweise um einen Termin in Berlin. Das Budget sieht keine Erstattung von Fahrtkosten vor, wer kann da also einen Mitfahrtgutschein von der Bahn organisieren? Oder wer hat noch eine Freifahrt auf seinem Sommerticket? Aber auch das Wohnprojekt braucht noch mehr Geld. Wo kann man noch Fördermittel beantragen? Wie kann der Verein bekannter werden, wer kann als Unterstützer oder Partner akquiriert werden? Ein großes Wohnheim bedeutet zunächst mal viel Kleinklein.

"Man kann sich selbst seine Umwelt und sein Arbeitsumfeld erschaffen"

An sich könnten die Mitglieder der Planungsgruppe auch Vollzeit an ihrem Wohnheim arbeiten; so professionell und durchgetaktet wirken sie. Aber Margarete findet, dass es eben genau die Mischung macht: „Man kann diesen Prozess und diese Zeit des Studierens entzerren und sich fragen: Was will ich und wie kann ich mich entfalten? Man kann sich selbst seine Umwelt und sein Arbeitsumfeld erschaffen – das wird später sicherlich auch sehr wertvoll sein.“

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Bei der Projektgruppen-Sitzung: (v.l.) Nico, Franziska und Hannah.

Foto: Peter Krauch

Trotzdem soll nicht alles heute im Planungsausschuss entschieden werden. Welche Veranstaltungen im Wohnheim abgehalten werden, welche Regeln gelten, ja letztendlich wie man zusammenleben möchte, sollen die Bewohner in Zukunft basisdemokratisch selbst entscheiden. „Es wird ja auch immer kleinteiliger mit der Zeit. Am Anfang haben wir über die verschiedenen Entwürfe geredet, da waren wir auch nicht immer einer Meinung, aber wir haben dazu gelernt – was ist realistisch, was ist finanzierbar – und man nähert sich langsam an“, sagt Studentin Margarete. Dafür hat die Projektgruppe eine Beschlussform gefunden, die sie selbst basisdemokratisch nennt, die aber durchaus Züge einer parlamentarischen Ausschussarbeit hat. Nicolai beschreibt das so: „In der großen Runde sprechen wir nicht über alle Details. Wir gliedern das dann aus in unsere AGs.“ Soll heißen: Mit Detailfragen wie dem Regenwasser oder Lüftungsanlagen befassen sich dann doch nicht alle. Am Ende einer Sitzung darf jedoch wieder die Gruppe über „relevante Punkte“ entscheiden. Nicolai erklärt: „Wir wissen alle, dass wir am Ende auch pragmatisch sein müssen und uns nicht mit den kleinsten Geschmacksfragen aufhalten können.“ Und im Pragmatismus findet jeder Idealismus bekanntlich seine Grenzen.

Basisdemokratie und Selbstverwaltung sind idealistische Ziele und aufwendig. Die Planer des Collegium Academicum haben sich dank ihrer gemeinsamen Wertebasis für die Idee aufgeopfert. Die große Frage ist und bleibt aber: Wie viele Studierenden wollen das? Will ein Student nicht einfach „nur“ wohnen, auch wenn es dann etwas teurer ist? Wer findet in seinem Studium genug Zeit, um sich einen Schreibtisch zu fräsen oder ein Tutorium in der Aula des Collegium Academicum zu planen?

Eine Antwort darauf gibt Architekt Hans Drexler, der seine Studienzeit schon lange hinter sich hat. Er hofft, dass das Wohnheim in Heidelberg Inspiration für andere sein kann: „Ich glaube, die Welt steht einem offen, wenn man eine gute Idee hat und bereit ist, Mut und Zeit zu investieren.“ Wenn.

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