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Viktor Orbán will ihre Uni schließen. Was tun die Studenten jetzt?

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Wenn sie von der letzten Woche erzählt, zittert Andrea Kóbors Stimme vor Wut. „Ich habe die letzten Tage kaum geschlafen“, sagt die 27-jährige Studentin. Eigentlich müsste sie gerade lernen; es ist Prüfungsphase an der Central European University (CEU) in Budapest und Andrea steckt im Endspurt ihres Politikmasters. Aber an Lernen ist jetzt nicht zu denken. Denn seit Dienstag fühlt es sich an, als sei die CEU, Ungarns renommierteste Uni, in eine Schockstarre verfallen: „Ich habe wirklich geweint an dem Tag“, erzählt Andrea, „man fühlt die Hilflosigkeit bei den Studierenden, aber auch bei den Profs. Ich habe das Gefühl, bei einer großen Tragödie zuzuschauen und nichts tun zu können. Am wütendsten macht mich diese Machtlosigkeit.“   

Der Grund für dieses Gefühl, das neben Andrea ungefähr 1400 Studierende aus 108 Ländern betrifft, ist eine Änderung im ungarischen Hochschulgesetz, die am Dienstag per Eilverfahren von der Orbán-Regierung verabschiedet wurde. Demnach dürfen Universitäten, die aus dem Ausland finanziert werden, in Ungarn nur weiter existieren, wenn sie im jeweiligen Land eine „Mutteruniversität“ aufweisen können. Die Neuerung betrifft landesweit 28 Unis, wirklich bedroht ist aber nur die CEU. Die ist zwar in den USA registriert, hat dort aber keinen Campus. Nach dem neuen Gesetz muss sie bis Januar 2018 geschlossen werden. 

Dabei zieht die CEU akademische Eliten aus dem Ausland an wie keine andere Uni im Land. Sie stellt die größte akademische Bibliothek, sichert tausende Arbeits- und Ausbildungsplätze und kostet den Staat keinen Cent, weil sie von dem ungarisch-amerikanischen Milliardär George Soros finanziert wird. Mit Logik lässt sich der Angriff auf die CEU nicht erklären. Irgendwie aber doch: Soros, der neben der CEU auch verschiedene liberale NGOs und politischen Aktivismus unterstützt, stellt für den autoritären Führungsstil der Orbán-Regierung eine Bedrohung dar. „Schon seit Wochen lesen wir in den staatlichen Medien eine Hasstirade auf George Soros nach der anderen“, erinnert sich Andrea. „Er wurde offiziell zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt. Eigentlich hätten wir bei dieser aufgeladenen Stimmung schon merken müssen, dass da noch was Größeres kommt. Aber dass der nächste Angriff so krass ausfällt, damit hat niemand gerechnet. Und auch nicht, dass das Gesetz so schnell verabschiedet wird.“ 

Als vergangene Woche klar wurde, dass eine Abstimmung im Parlament bevorsteht, war Andrea noch zuversichtlich. Der Rektor der CEU, Michael Ignatieff, rief zwar in einem internen Treffen mit allen Studierenden dazu auf, zunächst keine Protestaktion im Namen der Universität zu starten, trotzdem gründete Andrea mit anderen Kommilitonen ihre eigene Protestorganisation. Freedom for Education Group nennen sie sich, ein Name, der betonen soll, dass es um mehr als die Uni geht: „Hier geht es nicht nur um unser eigenes Recht auf Bildung und Meinungsfreiheit, sondern um die Freiheit aller Ungarn. Orte wie die Universität, wo kritisches Denken gefördert wird, sind die Basis einer Demokratie. Und die wird gerade gezielt abgebaut. Deshalb versuchen wir, auch Menschen außerhalb der Uni in die Proteste einzubinden.“ Mit Erfolg: Zur Demo am Sonntag, die Andreas Gruppe mit anderen Aktivisten in zwei Tagen organisierte, kamen 10.000 Menschen.  

Auch Johannes Mahr, 30, aus München, war am Sonntag auf der Straße. Vor drei Jahren zog er für seine Promotion in Kognitionswissenschaften an der CEU nach Budapest; das dortige Institut ist weltweit bekannt für seine exzellenten Forschungslabore. „Viele Deutsche und Studierende aus der ganzen Welt kommen hier zusammen. Wegen dieser Diversität bin ich hergekommen“, sagt er. Ein komisches Gefühl, einen Abschluss an einer Uni zu machen, die es bald nicht mehr gibt. Die Perspektive, danach weiter am Institut zu arbeiten, wie es viele Promovierte tun, ist nun geplatzt. „Außerhalb der Uni gibt es in Ungarn keine Perspektive für mich. Das liegt auch an der Politik, die hier betrieben wird. Die Uni ist einer der wenigen Gründe, warum junge Ungarn im Land bleiben – und ich kann sie verstehen“, sagt er. 

Als Johannes Ende 2014 nach Budapest zog, wurde ihm zum ersten Mal bewusst, was für ein Privileg es ist, in einem Land zu leben, das demokratische Werte achtet, meint er heute. „Die Zeit hier hat mich extrem politisiert. Davor war mir nicht klar, was es bedeutet, wenn diese demokratischen Werte ganz unverblümt zum Feindbild erklärt werden.“ Damit meint er nicht nur den neusten Streich der Bildungspolitik, sondern ein politisches Klima, das ihm besonders außerhalb der Unimauern auffällt: „Die Fremdenfeindlichkeit gegenüber Geflüchteten ist unerträglich und wird von Regierungsseite genauso geschürt, wie der Hass auf alles Fortschrittliche und Liberale. Ich habe die CEU als einen der wenigen Orte erlebt, an dem ich offen diskutieren und mich mit Gleichgesinnten vernetzen kann. Deshalb fühle ich mich auch verpflichtet, meine Energie im Kampf um diese Freiheit einzusetzen.“ Er hofft, dass die Proteste rund um die Schließung der CEU kritische Menschen im ganzen Land wieder mehr zusammenrücken lassen.     

Denn weitere Änderungen, die insbesondere Menschenrechts-Organisationen und die Flüchtlingspolitik betreffen, sind bereits in Planung. Auf Steuerkosten verschickt die Regierung schon jetzt Briefe mit Werbung für geplante Reformen in alle Haushalte. Im Gegensatz zu Andrea zieht Johannes große Hoffnung aus den aktuellen Protesten. „Klar sind jetzt erst mal alle erschöpft und enttäuscht, aber es wird weiterhin Demos geben und vielleicht ist jetzt genau dieser Moment gekommen, wo sich eine kritische Masse bildet, die sich auch traut, an anderen Baustellen im Land Kritik zu üben“, glaubt er. 

Andrea klingt weniger euphorisch: „Die Uni ist ein Riesenapparat, der hört so schnell nicht auf zu funktionieren“, aber ihr Satz wirkt eher wie eine Frage als wie eine Feststellung. In den Kursen fühlt sie die Unsicherheit, die jetzt alle betrifft. Wird sie ihren Abschluss überhaupt fertig machen können? Was wird aus Freunden, die gerade erst angefangen haben zu studieren? Und warum positionieren sich die Professoren nicht aktiver? Außer einer offiziellen Presseerklärung, in der es heißt, die Uni fühle sich diskriminiert und akzeptiere die Gesetzesänderung nicht, blieb es auch am Mittwoch, einen Tag nach der Entscheidung, in den Hörsälen, in der Mensa und in den Fluren der CEU ruhig. Die Professoren und Professorinnen sind angehalten, keine Interviews zu geben. „Alle haben Angst“, sagt Andrea. „Wenn 10.000 Menschen, die Solidaritätsbekundungen von Nobelpreisträgern und der Druck internationaler Politiker nichts ausrichten können, dann ist das sehr beunruhigend und man stellt sich selbst die Frage, ob man sich einer Gefahr aussetzt, wenn man zu sehr in die Öffentlichkeit tritt.“

 

Mittlerweile ist ihr das egal. Politisches Engagement dürfe nichts werden, wofür man sich verstecken muss, findet sie. Und obwohl das Ergebnis niederschmetternd ist, konnte Andrea vergangene Nacht zum ersten Mal wieder ruhig schlafen. Vielleicht weil sie insgeheim weiß, dass ihr Engagement nicht umsonst war. Vielleicht weiß ihr Körper auch, dass es jetzt erst richtig losgeht und sie die Ruhe noch brauchen wird. Am gleichen Abend blockierte eine Gruppe von Aktivisten aus Protest gegen die Schließung der CEU eine Zufahrtsbrücke zur Innenstadt. Denn vollends entschieden ist das neue Hochschulgesetz noch nicht. Die Europäische Kommission für Forschung kündigte an, die Gesetzesänderung einer Prüfung zu unterziehen. Und der Präsident muss auch noch unterschreiben. Für das kommende Wochenende sind deshalb wieder mehrere Großdemos angekündigt.

 

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