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2000 bis 3000 Euro netto für den Falafelstand-Besitzer

Foto: privat

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Wael Thib (38) hatte irgendwann keine Lust mehr, sich in Hotels ausbeuten zu lassen. Er hat sich mit seinem Falafel-Wagen selbstständig gemacht – in einer der am meisten umkämpften Straßen Berlins. Trotz der riesigen Konkurrenz gibt es seit sieben Jahren „Falafel Dream 2010“ auf der Müllerstraße in Berlin Wedding.

Der Weg

Ich bin Palästinenser, aber in Jordanien im Flüchtlingslager aufgewachsen. Dort gab es für uns keine Perspektive, deswegen sind wir nach Deutschland gekommen. Mit 17 bin ich dann von zu Hause ausgezogen, habe Ausbildungen zum Restaurant- und Hotelfachmann gemacht und danach in einem Hotel in London gearbeitet. Dann habe ich noch den Hotelbetriebswirt drangehangen. In dieser Branche opferst du sehr viel Zeit, bekommst außer einem guten Zeugnis aber nichts zurück. Du hast da einfach nichts vom Leben.

Deswegen habe ich mich 2010 selbstständig gemacht. Ich wollte nicht mehr ausgebeutet werden. Weil sich aus der Kichererbse so viel machen lässt, habe ich mich für einen Falafel-Wagen entschieden. Ich wollte gutes orientalisches Essen nach Berlin bringen und zeigen, dass es mehr gibt, als Standard-Falafel. Kochen war mir schon immer wichtig und ich denke, dass es mit etwas Fantasie jeder kann. Viele Leute haben mir am Anfang deswegen Tipps gegeben, gesagt, dass ihre Mütter die besten Rezepte hätten. Irgendwann war mein Kopf voll mit fremden Ideen und ich musste einen Cut machen. Jetzt mache ich alle Soßen selber, experimentiere noch immer, und kann sagen: »Das sind meine Falafel.«

Die Realität

Die ersten vier Jahre habe ich sieben Tage die Woche gearbeitet. Nur am Wochenende habe ich mir gegönnt, erst um zwölf Uhr anzufangen und dann bis 22 Uhr durchzuschuften. Das war hart. Ich habe durch den Stress viele graue Haare und eine Zyste bekommen und konnte mich auf den nächsten Tag nie so richtig freuen. Erst seit drei Jahren kann ich es mir erlauben, am Wochenende und an Feiertagen den Stand geschlossen zu lassen. Ich habe damit begonnen, mich auf veganes Essen zu konzentrieren und so kamen immer mehr Leute, das hat sich wohl rumgesprochen.

 

Mittlerweile mache ich auch Catering. Bei Hertha BSC Berlin zum Beispiel oder bei Festivals. Das sind die einzigen Momente, in denen ich mir Hilfe hole. Manchmal gebe ich zusätzlich noch Falafel-Kurse am Wochenende. Trotzdem arbeite ich noch für die Bank und zahle die Raten für meinen Wagen ab. Abends säubere ich den Wagen gegen 20.30 Uhr, am nächsten Morgen kaufe ich Zutaten ein, bereite alles vor und öffne um 11.30 Uhr wieder. Im Winter ist es hier in der Ecke aber sehr windig und die Leute wollen nicht draußen essen. Es ist schwer in diesen Monaten genug umzusetzen. Darum mache ich über Weihnachten zwei bis drei Wochen zu: mein einziger Urlaub.

 

Außerdem nehme ich es mir heraus, dreimal in der Arbeitszeit eine Gebetspause einzulegen. Lustigerweise ist mein Wagen sogar nach Mekka ausgerichtet. Außerdem schließe ich eine Stunde für das Freitagsgebet. Die Leute akzeptieren das und es ist ja so: Genau wie der Körper braucht auch die Seele Nahrung.

 

 

Die Enge

Ich wollte eigentlich gar nicht an diesen Ort zwischen dem S-Bahnhof und einem großen Neubau, in dem sich das Arbeitsamt befindet, doch meinen Wunschstellplatz habe ich nicht bekommen. Mittlerweile bin ich glücklich darüber, hier ist es bunt. Aber ich koche und verkaufe in meinem Wagen auf nur drei Quadratmetern. Die Enge ist schon eine psychische Belastung für mich. Ich kann mir auch nicht vorstellen, mein Leben lang hier Falafel zu verkaufen und Menschen danach zu fragen, welche Soße sie haben wollen. Deswegen spare ich gerade auf einen Doppeldeckerbus, um nicht mehr so beengt arbeiten zu müssen. Dann will ich auch Personal einstellen, mich mehr auf neue Kreationen konzentrieren und nicht mehr so viel verkaufen: Einfach, um ein bisschen raus zu kommen. Momentan ist es so, dass sich mein Leben auf diesen drei Quadratmetern, meiner Wohnung auf der anderen Straßenseite und dem Laden um die Ecke, in dem ich die Zutaten kaufe, abspielt. Nur am Wochenende bin ich etwas freier, wenn ich Glück habe.

 

Der Reiz

Ich habe in den ersten Jahren oft daran gedacht, aufzugeben. Das Einzige, was mich anfangs motiviert hat, waren die Kosten für den Wagen. Die Bank hat Druck gemacht und ein Freund hatte für mich gebürgt. Ich wollte ihm nicht in den Rücken fallen. Am Anfang habe ich das alles also nicht aus Liebe zur Sache, sondern aus Geldgründen durchgezogen. Aber jetzt ist diese Last abgefallen. Jetzt kann ich mich endlich ganz der Falafel widmen!

 

Die Konkurrenz

Auf der Straße gibt es viele andere Imbisse. 2015 hat genau gegenüber sogar ein anderer Falafel-Laden eröffnet. Am Anfang hatte ich Angst, dass mich das in den Ruin treibt. Aber die Leute kommen trotzdem. Ich habe ein anderes Brot, nicht die Standardsoßen. Das hebt mich ab. Genau dadurch kann ich es mir leisten, schon um 20 Uhr zu schließen - im Gegensatz zu den anderen 500 Läden auf der Straße, die oft bis spät in die Nacht geöffnet haben. Viele Künstler kommen her, aber auch viele Menschen aus der Umgebung. Außerdem wurde ich in einige Vegan-Apps und Restaurantführer aufgenommen. Damit hätte ich nicht gerechnet. Mittlerweile kommen sogar Kunden aus dem Ausland.

 

Das Geld

Wenn die Schulden endlich weg sind, verdiene ich recht gut. Gerade zahle ich einen Kredit ab mit monatlich mehr als 1000 Euro.

Mir haben Investoren angeboten, mich mit 300 000 Euro zu unterstützen, damit ich mehr Wagen eröffnen kann. Die wollten allerdings 45 Prozent des Unternehmens dafür und ich hätte mich um alles kümmern müssen. Darum habe ich das lieber abgelehnt. Mir reicht das, was ich verdiene.

Ich kann die Miete bezahlen und meine Frau, die gerade ein Kind bekommen hat, kann es sich auch leisten, eine Zeit lang zu Hause zu bleiben. Momentan zahle ich mir 2000 bis 3000 Euro netto im Monat aus, bei ungefähr zehn Stunden Arbeit am Tag.

 

 

 

Und was verdient eine Stewardess?

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