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Horrormitbewohner: Der 87-jährige Lustmolch

Illustration: Daniela Rudolf/Janina Schmidt

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Wohnsituation: geplante Zweier- und dann doch Dreier-WG in der Wohnung einer Pariser Familie

Geschlecht und Alter des Horror-Mitbewohners: männlich, 87 Jahre

Horror-Stufe: 9 von 10

Als ich für ein Auslandssemester nach Paris ging, fand ich ein Zimmer in einer wunderschönen WG: klassischer Pariser Altbau, 150 Quadratmeter für zwei Personen und Jardin du Luxembourg um die Ecke – es hätte so schön werden können. Mein 19-jähriger Mitbewohner erklärte mir, dass die Wohnung eigentlich seiner Familie gehörte, sein Vater aber für ein paar Monate im Krankenhaus und seine Schwester schon ausgezogen sei. 

Zwei Wochen nach meinem Einzug kündigte mein Mitbewohner an, dass sein Vater früher aus dem Krankenhaus zurückkommen werde. Er sei „verhältnismäßig alt“, genauer gesagt: 87. Der Gedanke, mit einem 87-Jährigen zusammenzuwohnen und auf meine regelmäßigen Vorglühabende mit Freunden zu verzichten, machte mich nicht gerade euphorisch, aber ich hatte natürlich Verständnis für die Situation. Allerdings fragte ich mich, warum mein Mitbewohner so unglücklich darüber schien, dass sein Vater aus dem Krankenhaus zurückkam.

Zu Beginn fand ich den Alten ziemlich lustig. Er erzählte mir Geschichten aus seinem Leben, bot mir an, seine riesige Bücher- und CD-Sammlung mitzubenutzen und brachte die von seinem Sohn ziemlich vernachlässigte Wohnung wieder auf Vordermann. Eines Tages gab er mir seine Memoiren, einen 400-Seiten-Band, mit den Worten: „Du wirst sie verschlingen.“ Die erste Hälfte des Buches verschlang ich tatsächlich: geboren und aufgewachsen im Gebiet des heutigen Israel, im Krieg gekämpft, Spion für den Mossad – er schien ein ziemlich spannendes Leben gehabt zu haben. Doch nach und nach zweifelte ich am Wahrheitsgehalt seiner Geschichten.

Laut der zweiten Hälfte des Buches hatte er in seinem Leben nämlich bestimmt mit 100 Frauen um die 20 geschlafen, egal, wie alt er selbst zu diesem Zeitpunkt war. Jede dieser Frauen soll „von einer seltenen Schönheit“ und „von seiner Intelligenz beeindruckt“ gewesen sein. Hinzu kam, dass die Hälfte seiner Storys klang wie aus einem schlechten Film. Es sei nicht nur ein, sondern zwei Mal vorgekommen, dass ihm auf einem Friedhof eine unbekannte Frau – natürlich auch von seltener Schönheit – um den Hals gefallen sei und ihn leidenschaftlich geküsst habe, einmal davon sogar auf Sartres Beerdigung.

Er schilderte jedes noch so private Detail aus seinem Leben und machte auch vor den Sex-Fantasien mit seiner Schwester, seiner ersten Ejakulation und seinen Magen-Darm-Problemen nicht Halt. Auf gefühlt jeder zweiten Seite erklärte er, dass er ein Faible für Mädchen in meinem Alter habe und dass daran nichts verwerflich sei. Dazu sei angemerkt: Als er die Memoiren schrieb, war er bereits über 70 und hatte eine Tochter Anfang 20. 

Er sagte: „Falls Sie mir den Hof machen wollen, bin ich dafür offen“

Eines Tages rief er mich zu sich ins Wohnzimmer. „Ich finde Sie sehr schön“, erklärte er mir selbstbewusst. Und wenn ich nicht seine Mitbewohnerin wäre, würde er mir gerne den Hof machen, aber unter Mitbewohnern gehöre sich das ja nicht. „Aber falls Sie mir den Hof machen wollen, bin ich dafür offen.“ Beschämt bedankte ich mich für das Kompliment und ging aus dem Zimmer.

Da ich wusste, wie groß seine Leidenschaft für junge Mädchen war und was für eine wichtige Rolle Sex in seinem Leben spielte, ging ich ihm ab diesem Moment aus dem Weg und verließ mein Zimmer nur, wenn die Luft rein war. Ich beschloss, im folgenden Monat zu Freunden meiner Familie zu ziehen. Das erklärte ich meinem jungen Mitbewohner, der ziemlich beschämt auf das Verhalten seine Vaters reagierte. „So was Ähnliches ist schon mal mit einer anderen Mitbewohnerin vorgekommen“, seufzte er. „Wir haben ihm eigentlich gesagt, dass er sich zusammenreißen soll.“ 

Am nächsten Tag kam ich mittags aus der Uni zurück und ging in die Küche, um mir etwas zu kochen. Dort stand der Alte und pinkelte vor der Spüle in eine Schale, die wir eigentlich für Essen benutzten „Entschuldigung, ich war zu müde, um bis zur Toilette zu laufen“, erklärte er. Er hoffe, das sei mir jetzt nicht unangenehm. Nein, natürlich nicht. Passiert halt mal, dass man in Küchenutensilien pinkeln muss. Er hätte wenigstens die Tür zumachen können. 

Versteht sich von selbst, dass ich so schnell wie möglich die Fliege machte. Ich wohnte zwar dann nicht mehr im schönsten Viertel der Stadt und hatte einen doppelt so langen Weg zur Uni – aber um nicht mehr mit einem 87-jährigen, schamlosen Lustmolch zusammenzuwohnen, war es mir das allemal wert.

Bei diesem Text handelt es sich um den Beitrag unserer Leserin Lena Mändlen. 

 

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