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Böhmermanns Gedicht ist rassistisch

Foto: Ben Knabe / ZDF

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Reden wir über Jan Böhmermann. Reden wir bitte nicht darüber, was Satire darf und was nicht. Eine theoretische Diskussion für Philosophiestudenten, die mir persönlich scheißegal ist. "Satire darf alles!" Ja, ja, Menschen, die keine Tucholsky-Bücher gelesen haben, können ihn hervorragend auf ein Zitat reduzieren.

    

Für die, die nicht wissen, worum es geht. Böhmermann hat in seiner Sendung ein Gedicht vorgetragen. In diesem Gedicht geht es um Recep Tayyip Erdoğan, den türkischen Präsidenten. Den kann man mögen (ein Großteil der türkischen Bevölkerung tut das) oder nicht (ich finde ihn gefährlich). Das Gedicht, das Böhmermann vorträgt, enthält folgende Zeilen:

"Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner,

selbst ein Schweinefurz riecht schöner.

Er ist der Mann der Mädchen schlägt,

und dabei Gummimasken trägt.

Am liebsten mag er Ziegen ficken,

und Minderheiten unterdrücken,

Kurden treten, Christen hauen,

und dabei Kinderpornos schauen.

Ja, Erdogan ist voll und ganz,

ein Präsident mit kleinem Schwanz."

Ich habe das Video gesehen, nicht aber die gesamte Sendung. Offenbar hat Böhmermann sein Gedicht mit einer Einschränkung eingeleitet, nämlich, dass er es jetzt eigentlich gar nicht vortragen dürfte.

Aber die Frage sei ja, ob der türkische Staatschef den Unterschied zwischen Kunstfreiheit, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und eben Schmähkritik verstanden habe. Letztere ist auch in Deutschland nicht erlaubt. "Vielleicht erklären wir es an einem praktischen Beispiel mal ganz kurz. Ich habe ein Gedicht, das heißt ‚Schmähkritik‘ […] Und das, was jetzt kommt, das darf man NICHT machen. Wenn das öffentlich aufgeführt wird – das wäre in Deutschland verboten.“

Das ZDF, sehr konsequent, hat das Video am ersten April dann auch aus der Mediathek entfernt. Ein April-Scherz von Böhmermann also, der gleichzeitig zeigt, wo die (selbstauferlegten) Grenzen der Satire liegen sollen. Wie gesagt, nicht meine Diskussion.

Das Problem ist, dass dieses Gedicht rassistisch ist

Zuerst der Teil, den ich gut finde: Böhmermann schafft eine WTF-Situation im Stile des Varoufake-Videos, bei der sich alle in den ersten Stunden gefragt haben: Was genau passiert hier eigentlich gerade? Ich habe mit ein paar Kollegen von jetzt diskutiert und hier ein paar Reaktionen:

 

"Das ist doch fake, oder?"

"Ich glaube nicht, dass er dieses Gedicht vorgelesen hat."

"Alleine die Tatsache, dass ich mir nicht sicher bin, finde ich bemerkenswert."

"Ich wäre da echt vorsichtig mit voreiligen Schlüssen … Könnte ein Lehrstück über Meinungsfreiheit sein."

 

Das waren so die ersten paar Stunden, vor der Rechtfertigung und vor dem Löschen. All diese Fragen habe ich mir beim Anschauen des Videoclips auch gestellt. Das ist dope. Der Typ hat das alles so gedeichselt, dass ich eine Handvoll Fragen durchackern muss, während ich gleichzeitig mit sehr vielen Emotionen kämpfe. Kann ich feiern.

 

Jetzt, der Teil, den ich scheiße finde. Lassen wir außenvor, dass Böhmermann in dieser ganzen Sache wirkt wie ein schlechter Verlierer, der sauer ist, weil die Satire-Sendung Extra3 Erdoğan blamiert hat (Botschafter einbestellt, Streisand-Effekt, all der krasse Kram) und nicht etwa er.

 

Das Problem ist, dass dieses Gedicht rassistisch ist. Auf mich wirkt es so, als ob die Redaktion eine Kiste voller Klischees über Kanaken aufgestellt hätte, dann durfte jeder Mitarbeiter ein Vorurteil ziehen und das wurde als Reim verarbeitet.

 

Denn, und das ist das Problem, die "Schmähkritik" geht eben nicht gegen Erdoğan. Mit einem Großteil der Beschimpfungen, die Erdoğan treffen sollen, werden Türken seit Jahrzehnten beleidigt. Und, seien wir ehrlich, "Türke" ist ein Codewort für Muslime und ja, wenn ihr mir nicht glaubt, dann lest einfach mal nach, mit welchen Argumenten über den EU-Beitritt der Türkei diskutiert wird.

 

Oder, noch besser: Lest das Gedicht. Der türkische Mann riecht nach Döner. Ein Schweinefurz riecht schöner. Warum ein Schweinefurz? Weil das Tier im Islam als unrein gilt. Es ist also die Beleidigung des Mannes über dessen Religion. Sogar das Tier, das er zu Hassen verdammt ist, riecht in dem Augenblick noch besser, wenn es bestialisch stinkt.

 

Es geht um ein Verständnis dessen, was diese Worte auslösen

 

Ansonsten schlägt der türkische Mann Frauen, fickt Ziegen, und hat "Fellatio mit Schafen". Auf der langen Liste der Türken-Beleidigungen sind das alles Begriffe, die ich bei einer Runde Bingo "So sprechen Deutsche über Kanaken" auf mein Zettelchen schreiben würde.

 

Oder, wie es Merve Gül auf Facebook schreibt: "Irgendwie schon krass, was passiert, wenn man das Wort "Erdoğan" durch "Migrant" oder "Muslim" in Jan Böhmermanns aktuellem Gedicht ersetzt. Dann hört sich das Ganze wie ein braunes Gedicht vom AfD- und Pegida-Clan an."

Es ist mir unverständlich, wieso sich eine Person hinstellt und Worte verwendet, deren Tragweite sie nicht verstehen kann oder will. Damit es euch aus den Ohren herauskommt, ein letztes Mal: Es geht nicht darum, ob "man" das darf oder nicht. Es geht um ein Verständnis dessen, was diese Worte auslösen.

 

Wenn du dich vor einen Türken stellst und ihn Kanake nennst, kannst du damit rechnen, dass er dich für einen Rassisten hält. Wenn du ihn Kümmeltürke nennst, ebenfalls. Böhmermann hat diese beiden Worte nicht benutzt, aber Worte, die ähnlich ätzend,  ähnlich aufgeladen sind.

 

Es ist mir unverständlich, wie niemand in der Redaktion aufsteht und sagt: Sorry, das ist Bullshit. Aber klar, wussten natürlich alle, dass das gut laufen wird. Scheißen wir halt einfach auf die Türken und ob das die aufregt oder nicht. Noch besser: Bringt ja alles Aufmerksamkeit, zum Beispiel diesen Text, der die Diskussion im Endeffekt weiter fortführt und Böhmermann füttert.

 

Ich kann verstehen, wenn Leute denken: Wieso reagierst du denn über? Wenn ein Gedicht über Angela Merkel vorgetragen würde, in dem diese als Kartoffel bezeichnet wird, wäre das ja auch kein Angriff auf Deutsche.

 

Andererseits gibt es keine Geschichte des jahrzehntelangen Deutschenhasses, der medial über Funk, Fernsehen, Zeitungen und Internet vermittelt worden wäre. Wenn dich ein Türke "Kartoffel" nennt, passiert das in einem Umfeld, in dem der Typ strukturell dennoch in aller Regel beschissener dasteht. Finanziell, was Bildung, gesellschaftliche Achtung, seine Chancen, eine Wohnung oder einen Kredit zu bekommen angeht. Es ist also überhaupt nicht vergleichbar damit, wenn du sagt, dass ein Türke stinkt.  Du greifst zurück auf ein bereits in den Köpfen verankertes Klischee vom "Knoblauch-Kanaken", es gibt kein vergleichbar etabliertes Bild über Deutsche, das diese (mit)definieren würde. 

 

Über Italiener, Polen oder Griechen, heute vor allem über Geflüchtete und Türken, gibt es all diese Pauschal-Vorwürfe: Muslime seien zoophil, Türken stänken und so weiter.

 

Für Böhmermann mag es neu sein, all diese Worte zu verwenden und - uuuh, ein Skandal. Die Realität ist: Es ist gelebter Alltag und  schlicht ermüdend.

 

Es ist erbärmlich, wie sehr Böhmermann sich der Verantwortung entzieht

 

Wenn Böhmermann also im Anschluss an das Löschen des Videos schreibt, dass nur "lupenreine Demokraten" verletzt worden wären, ist er wie ein Stück Seife, das man nicht zu fassen kriegen soll. Nach einem Gedicht, das vorgibt, sich mit einem ernsten Thema auseinanderzusetzen, scheißt er auf jede ernsthafte Kritik und erklärt sie von vornherein als illegitim, mit einem ironischen Kommentar. Es ist erbärmlich, wie sehr er sich der Verantwortung entzieht, nachdem er sich ungefragt als Ritter der Aufklärung vor die Kameras gestellt hat.

 

Aber Böhmermann ist in den Schlagzeilen. Hat ja dann doch noch alles geklappt. Herzlichen Glückwunsch!

 

P.S.: Mir ist klar, dass Böhmermann Erdoğan auch "schwul" nennt und spätestens das der Punkt ist, an dem er für alle klar macht, das der konkrete Inhalt zweitrangig ist und es ihm nur um die Form geht.

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