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Ruben will mithilfe eines Flugzeugs Flüchtlinge retten

Foto: Ruben Neugebauer

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Ruben Neugebauer, 26, arbeitet als Seenotretter für Bootsflüchtlinge bei „Sea-Watch“, einer zivilen Rettungsflotte, die in der Ägäis und im Mittelmeer im Einsatz ist (hier gibt es ein Protokoll aus dem vergangenen Jahr mit einem von Rubens Kollegen). Seit einigen Monaten plant er ein neues Projekt, „Sea-Watch Air“: Er will von einem Flugzeug aus das Meer überblicken, um so Schiffbrüchige schneller entdecken zu können. Doch das Flugzeug steht in Djerba, Tunesien, und darf derzeit nicht starten. Warum und wie das erste Jahr für „Sea Watch“ verlaufen ist, darüber wollten wir mit ihm sprechen. Aber Ruben kann gerade nicht telefonieren – er ist auf dem Schiff im Einsatz und die Telefonleitung muss frei bleiben, falls ein Notruf eingeht. Für ein Skype-Telefonat ist das Datennetz zu schwach. Aber ein Skype-Chat, das geht. Irgendwann am Donnerstagnachmittag, sagt Ruben. Wir sagen ihm: „Melde dich einfach, wenn es gerade passt.“ Und das macht er dann, gegen 16:30 Uhr:

Ruben: Es würde im Prinzip jetzt gehen, kann nur sein dass ich spontan weg muss, falls es der Einsatz hier erfordert – haben gerade noch ca. 130 Menschen an Bord.

jetzt: Okay. Wo bist du gerade?

Ruben: Moment.

Ruben: 33°09N, 12°28E

jetzt: Google Maps sagt: Das ist vor der libyschen Küste.

Ruben: Genau. Im Moment fahren wir einem Schiff der italienischen Küstenwache entgegen, um die Leute, die bei uns an Bord sind, zu übergeben. 

jetzt: Wann habt ihr sie aufgegriffen?

 

Ruben: Heute Morgen, da gab es eine Menge Schlauchboote, weil das Wetter zum ersten Mal seit Tagen eine Überfahrt zugelassen hat. Zwischen zehn und 20 Boote an einem Schönwettertag sind völlig normal.

 

jetzt: Wer ist grade bei euch? Junge Männer? Auch Familien?

 

Ruben: Wir stellen hier tatsächlich eine Veränderung im Vergleich zum letzten Jahr fest: Es gibt mehr Frauen und auch sehr häufig kleine Kinder. Die Mehrheit sind aber nach wie vor Männer.

 

jetzt: Nutzen diese Route jetzt auch wieder Flüchtende aus dem Nahen Osten? Oder sind es hauptsächlich Menschen aus dem Subsahara-Gebiet?

 

Ruben: Es sind nach wie vor Überwiegend Leute aus Subsahara-Afrika, allerdings gibt es auch wieder Menschen aus Nahost.

 

Ruben: So eine Verschiebung dauert ja immer. Und Erdogan hat gerade seine Grenzsoldaten abgezogen – ich denke viele aus Syrien/Irak warten, dass der Türkeideal platzt, da die Ägäisroute ungleich sicherer ist als die über das Mittelmeer.

 

jetzt: Zwischenfrage, die ich am Anfang hätte stellen sollen: Wie geht es dir?

 

Ruben: Ganz gut eigentlich. Wir sind jetzt die zweite Woche auf See, das hat sich ganz praktisch ergeben. In Djerba sind wir ja mit dem Flieger gegroundet, bei der Sea-Watch ist aber ein Crew-Mitglied ausgefallen, drum bin ich da eingesprungen. Natürlich sind die Einsatztage hier anstrengend, aber ich glaube, wir sind hier genau richtig.

 

jetzt: Apropos Flieger: Was habt ihr damit genau vor?

 

Ruben: Wir hatten letztes Jahr einen Einsatz, bei dem die Crew der Sea-Watch 1 fünf Boote auf einmal gefunden hat, unter anderem eines, das bereits mehrere Tage auf dem Wasser trieb. Zwei Leute auf dem Boot haben es leider nicht geschafft, sie sind an Dehydrierung und Entkräftung gestorben.

 

Ruben: Damals haben wir gesagt: Es kann doch nicht sein, dass ein Boot da mehrere Tage auf dem Wasser treibt, ohne gefunden zu werden. Deshalb dachten wir uns, dass es sinnvoll wäre, auch aus der Luft zu suchen. Das Problem ist, dass das im Normalfall sehr teuer ist, denn über dem Meer braucht man aus Sicherheitsgründen eigentlich eine zweimotorige Maschine. Wir haben also erst mal alle Möglichkeiten ausgelotet.

 

jetzt: Welche waren das?

 

Ruben: Zuerst haben wir im ganzen Mittelmeerraum nach bezahlbaren Maschinen gesucht. Wir hatten auch eine gefunden, die wollte uns das entsprechende Unternehmen aber nicht verchartern, weil es für den libyschen Luftraum eine Warnung gibt, da Libyen ein Krisengebiet ist.

 

Ruben: Wir haben uns auch intensiv mit Satellitenbildern auseinandergesetzt. Die sind aber auch recht teuer und vor allem unflexibler. Dann haben wir über Drohnen nachgedacht, aber da war das Problem die Reichweite für den Video-Livestream. Die Drohnen-Systeme, die in Frage gekommen wären, hätten alle im Millionenbereich gekostet.

 

Ruben: Dann kamen wir darauf, ein UL (Ultraleichtflugzeug) zu nutzen. 

 

jetzt: Was ist das?

 

Ruben: Ein Flieger, der zwar auch nur eine Maschine hat, aber so leicht ist, dass es komplett Rettungssysteme dafür gibt: Wenn der Motor ausfällt, zieht man an einem Hebel und dann hängt der ganze Flieger an einem Fallschirm, sodass man ganz entspannt unten aufsetzt.

 

Ruben: Und vom Preis her ist so ein UL halt unschlagbar! Der Flieger selbst hat uns gebraucht 42.500 € gekostet und dann nochmal ca 5000 für Sicherheits- und sonstige 

Zusatzausrüstung.

flugzeug

Das Ultraleichtflugzeug in der Luft. Fünf Tage hat es gedauert, es von Deutschland nach Tunesien zu überführen.

Foto: Ruben Neugebauer

jetzt: Wer kann ein UL fliegen?

 

Ruben: Jeder der eine Lizenz dafür hat – also, das ist schon ein richtiges Flugzeug, das muss man schon lernen. Ich habe schon länger einen Schein für ULs und fliege seit Jahren Gleitschirm, ich fühle mich in der Luft also recht wohl, habe aber die Erweiterung für diesen Typ Flugzeug extra dafür gemacht.

 

jetzt: Und dann musste der Flieger nach Tunesien, oder?

 

Ruben: Genau. Wir hatten zuvor bei den Behörden angefragt, ob wir dort fliegen können, und auch, ob wir von dort in den internationalen Luftraum und wieder zurück fliegen können. Nachdem das gut aussah, haben wir im April einen Flieger gekauft, da noch einige Dinge dran ausgebaut, und sind Mitte Juni los.

 

jetzt: Wenn ihr die Vorab-Zusage hattet, wieso könnt ihr dann jetzt trotzdem nicht starten?

 

Ruben: Wir können problemlos von Djerba nach Malta oder Lampedusa fliegen – nur den Flug von Djerba ins Suchgebiet und zurück genehmigen sie uns nicht bzw. behaupten sie, dafür bräuchten wir eine Sondergenehmigung.

 

Ruben: Die habe ich in Tunis beantragt. Ich habe da jetzt in einigen Büros, sowohl bei der Luftfahrtbehörde als auch beim Militär vorgesprochen. Wir haben ein sehr detailliertes Sicherheitskonzept vorgelegt. Und es heißt bis heute "tout est en ordre". 

 

jetzt: Klingt ja eigentlich positiv?

 

Ruben: Trotzdem warten wir jetzt auch schon bald vier Wochen, dass wir die Genehmigung wirklich kriegen. Ich kann im Moment nicht einschätzen, ob es stimmt, dass die zuständige Person nur im Urlaub ist, oder ob das die bürokratische Art ist uns zu sagen: Ihr kriegt die Genehmigung nicht.

 

jetzt: Warum sollten sie euch die verweigern wollen?

 

Ruben: Offiziell geht es um Sicherheit. Inoffiziell vermuten wir, dass das tunesische Militär sich querstellt, weil man aus der Luft natürlich alles sieht, also ggf. auch jegliche Aktivitäten, die auf See zwischen Libyen und Tunesien ablaufen. Es gibt dort ein recht ausgeprägtes Schmuggelbusiness für Sprit aus Libyen.

 

jetzt: Hast du bei dem vielen Behörden-Hickhack mittlerweile eine hohe Frustrations-Toleranz?

 

Ruben: Ja. Auch mit der Sea-Watch 1 hatten wir am Anfang jede Menge Probleme und Hürden zu nehmen. Aber wir haben es versucht und es hat geklappt. Und jetzt sind wir mit einem deutlich größeren und geeigneterem Schiff hier draußen im Einsatz und konnten allein in der vergangenen Woche mehr als 1000 Menschen aus Seenot retten.

 

jetzt: Es lohnt sich also, sich durchzukämpfen?

 

Ruben: Ja. Und wir finden unsere Mission wichtig. Spätere Generationen werden mich vielleicht fragen, was ich getan habe, als die EU wissentlich und willentlich tausende Menschen auf dem Mittelmeer ertrinken ließ – da will ich nicht sagen müssen „Ich habe mit meinem Smartphone Pokémons gejagt“.

 

jetzt: Welche Aufgabe übernimmst du aktuell auf dem Boot?

 

Ruben: Ich bin in der Schnellboot-Crew. Wir fahren auf die Flüchtlingsboote zu, verteilen Schwimmwesten und nehmen die Leute anschließend mit an Bord. Vergangene Woche kamen wir zu einem großen Holzboot, mit knapp 500 Leuten an Bord.

 

Ruben: 15 sind an den Motorabgasen erstickt.

 

jetzt: Wie geht es den Menschen, die gerade bei euch auf dem Boot sind?

 

Ruben: Die bekommen gleich erst mal Essen.

 

jetzt: Und dann übergebt ihr sie an die Küstenwache, sagtest du. Wieso bringt ihr die Menschen nicht bis nach Lampedusa?

 

Ruben: Uns ist wichtig, dass die Leute rechtzeitig entdeckt und gerettet werden – aber dann geben wir sie an die Küstenwache, Militärschiffe oder andere zivile Retter weiter. Das Problem ist nämlich, dass wir hier sonst einfach nur staatliche Aufgaben übernehmen würden. Die EU könnte dann einfach weniger Schiffe schicken und sich freuen, dass der von der EU verursachte Bedarf an Seenotrettung von Spendengeldern gedeckt wird. 

 

Ruben: Es ist wichtig, den Druck auf die EU aufrecht zu erhalten. Gerade der Fall mit dem Holzboot vergangene Woche hat gezeigt, dass auch eine effiziente Seenotrettung nicht verhindern kann, dass es hier draußen Tote gibt. Aus diesem Grund muss es endlich legale und sichere Wege geben, damit die Leute gar nicht erst auf die Boote gezwungen werden.

 

jetzt: Du schriebst eben „andere zivile Helfer“ – das heißt, es gibt noch mehr Schiffe wie eures?

 

Ruben: Ja, die zivile Flotte ist seit letztem Jahr sehr stark gewachsen, alleine aus Deutschland sind mittlerweile fünf Organisationen mit Schiffen vor Ort. Wir haben mit der Sea-Watch 1 letztes Jahr gezeigt, dass es geht. Und es ist total toll zu sehen, wie die Kooperation klappt. Hier ziehen alle an einem Strang.

 

jetzt: Danke dir, Ruben, für deine Zeit.

 

jetzt: Und viel Glück beim weiteren Einsatz.

 

Ruben: Danke! Morgen ist wieder Refugee-Wetter.

 

jetzt: Sonne und ruhig?

 

Ruben: Genau – kein Wind, keine Welle.

 

jetzt: Dann umso mehr alles Gute!

 

Ruben: Danke :)

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