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Jugend rettet Flüchtlinge
Nachdem im April 2015 mehr als 800 Menschen vor Libyen ertranken, rief eine Gruppe junger Erwachsener aus Berlin vergangenen Sommer die Hilfsorganisation "Jugend Rettet" ins Leben. Ihr Ziel: Menschen in Seenot vor dem Ertrinken bewahren. Dank viraler Crowdfunding-Kampagne, monatelanger Planung und prominenter Unterstützung konnte im Mai der Kaufvertrag für ein Fischerboot unterschrieben werden. Ende Juni stach es erstmals in See. 14 tage lang wird die Besatzung sich zwischen Libyen und Italien platzieren – die am stärksten frequentierte Route. Der erste Steuermann Arne Dohmes, 29, der seinen bisherigen Job hinschmiss, um auf dem Schiff zu helfen, sprach mit uns über seine persönliche Motivation.
jetzt: Wieso fährst du auf einem alten Fischkutter tausende Kilometer aufs Mittelmeer, um dort Menschen zu helfen?
Arne Dohmes: Die Entscheidung ist in dem Moment gefallen, als ich durch Bekannte von dem Aufruf von "Jugend Rettet" hörte. Zum ersten Mal war da die Möglichkeit, Menschen mit meinen Fähigkeiten und Erfahrungen zu helfen. Ich hatte in Berlin lange nah am LaGeSo gewohnt und kam mit den Sorgen der Menschen dort früh in Berührung. Ich war gerade wieder kurz davor, auf ein neues Frachtschiff zu steigen. Aber diese Welt kam mir plötzlich unwirklich vor. Ich konnte nicht mehr irgendwelche iPhones von Shanghai nach Hamburg fahren. Das sind ja nichtige Dinge im Vergleich zu dem, was wirklich wichtig ist. Menschen müssen heutzutage nicht ertrinken. Ich kann nicht anders, als hier zu sein.
In welchem Zustand ist die Iuventa, euer Schiff?
Man muss sie sich vorstellen wie einen Oldtimer, der viele Jahre in der Garage rumstand und vernachlässigt wurde. Die Substanz ist super, die Elemente, auf die es wirklich ankommt, sind in Ordnung, aber es gibt dennoch sehr viel auszubessern. Die Wartungsarbeiten – Rumpf erneuern, Rost entfernen, neu bemalen – haben sich sehr in die Länge gezogen. Das Schiff lag seit Ende 2014, auf dem Rumpf hat sich viel Bewuchs angesammelt, der musste deshalb trockengelegt und komplett neugemacht werden. Wir haben ein Jahr gebraucht, um das Schiff zu finden. Die Arbeitsstunden, die wir seitdem hineingesteckt haben, sind unzählbar. Wir haben uns in den vergangenen Wochen die Nächte um die Ohren geschlagen und nicht nur das Schiff umgebaut, sondern auch die nächsten Schritte koordiniert, Material beschafft, Akquise betrieben und Leute gesucht, die mit anpacken können.
Wie sieht eure Crew aus?
Um die Iuventa flott zu machen, hatten wir eine Riesentruppe an Freiwilligen aus ganz Deutschland: Schüler, Azubis, die von größeren Firmen geschickt werden, um uns zu helfen, die lange Liste abzuarbeiten. Insgesamt tut hier jeder das, was er am Besten kann. Egal, ob das Elektro-, Maler-, Küchenarbeiten oder die eigentliche Seefahrt ist. Jeder wird gebraucht. Für die Einsätze selbst haben wir eine ehrenamtliche Crew aus Ärzten, Nautikern, Matrosen, Übersetzern und Psychologen. Ohne sie geht es nicht.
Welches Signal willst du an die Politik senden?
Wir wollen im Endeffekt überflüssig sein. Unsere Arbeit ist ehrenamtlich, niemand verdient Geld damit. Wir wollen zeigen, dass mit kleinen Mitteln Großes zustande gebracht werden kann. Das sieht man hier täglich im Team. Jeder Mensch verdient die Rettung aus Seenot. Es ist zweitrangig, warum jemand in Seenot gerät, ob infolge der Flüchtlingspolitik oder etwas anderem. Keiner muss auf dem Meer sterben, das steht für mich im Vordergrund. Über die Politik im Hintergrund kann man diskutieren. Mein oberstes Ziel ist, möglichst viele Menschen zu retten.
Wie bereitet ihr euch psychisch auf den Einsatz im Mittelmeer vor?
Wir haben professionelle psychologische Unterstützung. Zur Vorbereitung mit der gehört auch, dass jemand vielleicht plötzlich merkt: "Ich habe mich übernommen und weiß doch nicht, ob ich mit der Belastung umgehen kann." Fest steht, dass wir rund um die Uhr und von überall auf Hilfe zugreifen können. Bei konkreten Einsätzen arbeiten wir eng mit der Seenotleitstelle Maritime Rescue Coordination Centre (MRCC) in Rom zusammen. Jede Maßnahme wird abgestimmt, genaue Details werden gerade noch geklärt. Was wir schon wissen, ist, dass jeder Einsatz völlig anders aussehen wird, wir aber durch feste Abläufe nichts dem Zufall überlassen. Auch nach dem Einsatz wird niemand allein gelassen. Man ist im Team. Erlebnisse werden besprochen.
Hast du Angst?
Angst würde ich nicht sagen. Aber ich habe Respekt vor dem Einsatz, weil er an die Substanz gehen wird. Genau das sind aber auch die Beweggründe, weshalb wir da sind. Wir begeben uns in brenzlige Situationen, auf die wir vorbereitet sein müssen. Ich habe auf See schon einiges erlebt: Piraten, blinde Passagiere und natürlich extrem herausfordernde Wetterverhältnisse. Da geht man an sein Äußerstes und merkt, dass eine Grenze überschritten wurde, die vorher noch nie so da war. Dann ist die Frage: "Falle ich in eine Schockstarre oder kann ich so reagieren, wie wir es besprochen hatten?"
Was waren die Reaktionen deiner Freunde und Eltern auf die Entscheidung, ab sofort ehrenamtlich, ohne Lohn und unter einer gewissen Gefahr zu arbeiten?
Meine Eltern unterstützen mich voll und ganz. Klar, bei all dem Zuspruch machen sie sich schon auch Gedanken. Ich war schon in vielen Krisen- und Piratengebieten unterwegs, daher sind meine Eltern Sorgen gewohnt. Ein Kollege, mit dem ich oft unterwegs war, war zwar nicht überrascht, aber doch etwas traurig, weil wir ein sehr eingespieltes Team waren. Mittlerweile überlegt er auch, sich für unsere Missionen bereitzustellen. Was das Finanzielle angeht: Ich habe etwas angespart, und auf See gib man ja nichts aus (lacht).
Wie geht es konkret in den nächsten Tagen und Wochen weiter?
Das Schiff ist jetzt auf dem Weg nach Malta. Vergangene Woche wurde es getauft, die Vorbereitungen sind fast abgeschlossen und ein paar Kleinigkeiten werden unterwegs noch ausgebessert. Der Einsatz dauert 14 Tage auf See, dann wird eine Woche vor- beziehungsweise nachbereitet, die nächste Crew eingewiesen und dann fahren die Nächsten raus.
Für die Organisationen, die jetzt schon draußen sind, hat sich dieses 14-Tage-Schema als gut herausgestellt. Natürlich geht es da auch um die psychische Belastung, aber nach einer langen Zeit an Bord stellt sich auch eine gewisse Monotonie ein. Zudem muss das Schiff gewartet werden. Bei uns ist aber jeder Einsatz natürlich eine Kostenfrage, jede Mission muss einzeln finanziert werden. Deshalb wird es eine Frage der Spenden sein, wie viele Fahrten wir machen können.