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Der Moment, in dem man ein Geschenk auspackt – und es furchtbar findet

Illustration: Daniela Rudolf

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Lebensaufgabe Sozialkompetenz! So wichtig wie Wasser und Brot, so kompliziert wie eine Operation am offenen Herzen. In der Serie "Hilfe, Menschen!" berichten wir ab sofort von unseren Sozialphobien. Heute: die Angst vor dem Geschenk.

Es fängt schon beim Geburtstagslied an: Alle singen und gucken mich an. Am liebsten würde ich einstimmen, um nicht stumm dazusitzen. Aber was singe ich dann? „Viel Glück und viel Segen auf all meinen Wegen?“ „Wie schön, dass ich geboren bin?“ Mich selbst in Du-Form zu besingen fände ich auch komisch. Also schaue ich reihum in die strahlenden Gesichter und versuche, fröhlich und dankbar auszusehen – auch wenn ich mich in diesem Moment auf meiner eigenen Geburtstagsfeier als Außenseiterin fühle.

Ich gehöre zu den Menschen, die im Winter sagen, dass sie ihren Geburtstag im Sommer nachfeiern wollen und es dann doch nicht tun. Der Grund dafür ist: Geburtstag feiern bedeutet Stress. Ich stehe die ganze Zeit im Mittelpunkt, muss mich freuen. Und habe Angst, es nicht genug zu tun. 

Beim Gratulieren zum Beispiel. Da bin ich auch außen vor und doch mitten drin. Wenn ich in meinen Geburtstag reinfeiere, kommt irgendwann der Countdown-Moment. Die Uhr auf einem Handybildschirm leuchtet, alle haben ein Sektglas in der Hand und zählen die letzten Sekunden herunter. Dann ist es plötzlich zwölf. Die ersten Menschen umarmen mich und am Anfang fühlt sich das noch individuell und schön an. Bald wird die Bewegung aber automatisch und roboterhaft. Dahinter stehen schon die nächsten in der Reihe, wie auf einem Fließband.

Manche legen entschuldigend den Kopf zur Seite, als fänden sie die Situation genauso absurd wie ich. Aber natürlich möchte keiner derjenige sein, der gar nicht gratuliert. Und ich muss jeden fröhlich anlächeln, den Fünfzehnten genauso wie die Erste. Niemand soll denken, ich würde mich nicht freuen. Ich muss sehr auf meine Gesichtszüge aufpassen.

Bei den Geschenken erreicht dieses Freude-Problem seinen Höhepunkt. Gerade haben sich noch alle gemütlich unterhalten, dann tritt eine nervöse Stille ein. Mit einem unsicheren Lächeln kramen meine Freunde Päckchen aus ihren Jutebeuteln. Und ich weiß genau, was dem vorausgegangen ist: stundenlanges Kopfzerbrechen. Gründung einer Whatsapp Gruppe. Ideensammeln, Verwerfen, Entscheiden. Geschenk kaufen. Karte schreiben. 

Sie haben sich viel Mühe gegeben und ich muss das mit der gebotenen Begeisterung wertschätzen. Es gibt dann zwei Möglichkeiten: Entweder freue ich mich wirklich und muss das glaubhaft versichern. Oder ich freue mich nicht und darf mir das nicht anmerken lassen. Da ich keine gute Schauspielerin bin, wappne ich mich besonders für den zweiten Fall. 

Ich bin mir sicher: Die Freude – ob falsch oder echt – nimmt mir keiner ab

Schon bevor ich anfange, die Tesastreifen zu lösen, setze ich ein Lächeln auf. Spätestens wenn ich das Geschenk herausnehme, schmerzt mein Mund und mein Gesicht fühlt sich an wie eingefroren. Aus Angst, dass mir gleich die Gesichtszüge entgleiten, lächle ich noch breiter und das Ergebnis ist niederschmetternd: Plötzlich macht es gar keinen Unterschied mehr, ob ich mich freue oder nicht. Mein Lächeln fühlt sich so verkrampft an, dass ich sicher bin: Die Freude – ob falsch oder echt – nimmt mir keiner ab. 

Ich versuche, von diesem Umstand abzulenken, indem ich das Geschenk genauer ansehe. Bei einem Buch funktioniert das gut. Ich lese den Klappentext, entspanne mich und sage: „Cool, klingt interessant!“ Bei einem Kleidungsstück renne ich aus dem Raum und rufe, das müsse ich sofort anprobieren. Schwieriger wird es bei einem Windlicht, einer Schreibtischlampe, einem Wok. Selbst wenn ich mir nichts sehnlicher gewünscht habe, als diesen Wok, kann ich nur sagen: „Toll, ein Wok.“ Punkt. Stille. Gequältes Grinsen. Noch mal bedanken.

Überhaupt wird sich an Geburtstagen ständig bedankt. Die Gäste bedanken sich für die Einladung, das Essen, die Wohnungsführung. Und ich mich als Gastgeberin für ihr Kommen, das Geburtstagsständchen, die guten Wünsche, das Geschenk. Irgendwann fühlt sich das überschwänglich und angestrengt an. 

Im November habe ich wieder Geburtstag. Eigentlich würde ich gerne Mal ein Grillfest machen, doch dafür ist es dann schon zu kalt. Aber im Sommer lade ich ganz bestimmt alle ein. 

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