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„Das war kein Spam, sondern eine Mail der Grundschule“

Illustration: Federico Delfrati

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Neulich habe ich eine Mail bekommen von einem mir unbekannten Absender. Im Betreff steht, ob ich einen Kuchen backen möchte. Toll, denke ich, jetzt hat also selbst die Spam-Industrie mitbekommen, dass ich eine Familie habe und will mich nicht mehr für Penis-Vergrößerungen begeistern, sondern mir Küchenutensilien andrehen. Seit knapp vier Monaten wohne ich mit Sonja und ihren beiden Söhnen Dante (11) und Paul (8) zusammen, aber erst mit dieser Mail ist es offiziell: Meine Junggesellenzeit ist vorbei. Frustriert habe ich die Nachricht ungelesen in meinen Papierkorb geschoben. 

Als ich nach Hause komme, steht Sonja in der Küche und packt gerade Backzutaten aus einer Einkaufstüte aus. Offenbar war das gar keine Spam-Mail, sondern eine Nachricht von der Grundschule: ein Aufruf für das Maifest am 1. Juni in Pauls Schule. Sonja hatte mich damals bei seiner Anmeldung als Notfallkontakt angegeben und meine Telefonnummer und Mailadresse hinterlegt. Ich muss unbedingt mal mit der Schule über die Definition des Worts „Notfall“ reden. Und bei der Gelegenheit fragen, warum das Maifest eigentlich Maifest heißt, aber im Juni gefeiert wird.

An dieser Stelle möchte ich mal etwas loswerden: Meine Kolumnen erwecken vielleicht den Eindruck, dass ich mich stark in unserer Familie einbringe. Das stimmt leider nicht. Eigentlich bin ich ein schrecklicher Stiefvater und furchtbar faul. Sonja kümmert sich liebevoll um die Kinder und unternimmt viel mit ihnen. Ich bleibe meistens zu Hause, weil ich nicht gerne vor die Tür gehe. Aber einen Kuchen zu backen – das erschien mir eine einfache Möglichkeit, mal ein paar Prozentpunkte gutzumachen bei der Wahl zum Super-Papa. Also habe ich am Abend gesagt: „Schatz, geh du ruhig schlafen, ich mach das schon.“ Sonja hat die Augen weit aufgerissen (für koreanische Verhältnisse) und geguckt, als hätte ich vorgeschlagen, dass ich das nächste Baby austrage.

Ich war mittendrin in der Back-Arbeit, als mein Handy klingelte und den Anruf meines besten Freundes ankündigte, der mal wieder Langeweile hatte und ein bisschen quatschen wollte. Er hat eben noch keine Kinder. Ich schon. Und ich befand mich in folgender Lage: Der erste Kuchen war mir im Backofen erst übergelaufen und anschließend implodiert, weshalb ich noch mal von vorne anfangen musste, während bereits alle anderen in der Wohnung schliefen. Die Küchenablage war eingesaut mit Mehl, überall lagen tropfende Eierschalen und mir lief der Schweiß über die Stirn. „Na, Süßer, was treibst?“ gähnte mein Kumpel ins Telefon. „Muss ne Nachtschicht einlegen“, stöhnte ich.

Weitere Details behielt ich lieber für mich. Es reicht doch, wenn die Porno-Spam-Branche schon weiß, dass ich mittlerweile ein langweiliger Pantoffelheld bin. Zumindest meine Freunde können mich ruhig noch für einen wichtigen Business-Man halten.

„Madig, so viel Arbeit zur Zeit?“

„Kann man so sagen.“ 

Dann legten wir auf und ich klebte Gummibärchen an die Außenwand meines Kuchens. Am Ende streute ich noch Puderzucker darüber. Mit einem Puderzucker-Streuer. Übrigens auch so ein „Werkzeug“, das James Bond sicher nicht in seiner Wohnung hat.

Am nächsten Nachmittag sind wir alle zusammen zum Schulfest marschiert. Ich stolz vorneweg mit meinem Kuchen im Arm. Bei dessen Anblick knurrte mein Magen.

„Klingt, als hättest du Hunger“, sagte Sonja.

„Ich hab den ganzen Tag nichts gegessen, um mich gleich mit Bratwürsten vollzustopfen. Für irgendwas muss sich die Arbeit ja gestern gelohnt haben.“

„Du weißt aber schon, dass jeder für das Essen bezahlen muss, oder?“

Ich blieb auf der Stelle stehen. „Ich hab gedacht, man bringt Essen und dafür kriegt man auch das Essen der anderen … “

„Ne, das wird an Ständen verkauft.“

Ich blickte skeptisch meinen Kuchen an. „Na hoffentlich kriegen wir damit unsere Ausgaben für die Bratwürste wieder rein.“

„Schatz, das Geld kriegt die Schule. Deswegen heißt es ja auch Kuchens-p-e-n-d-e.“

„Ich backe also die halbe Nacht UND zahle noch Geld? Also das Konzept finde ich scheiße.“

„Kannst du ja der Klassenlehrerin gleich persönlich sagen“, hat Sonja gesagt und mir den Kuchen abgenommen, wahrscheinlich aus Angst, ich könnte ihn aufessen, bevor wir beim Fest ankommen und ich für meinen eigenen Kuchen Geld bezahlen muss.

Das Fest an sich war in Ordnung. Man sitzt halt auf Bierbänken und unterhält sich mit fremden Menschen über den kleinsten gemeinsamen Nenner, der in der Nase popelt und in die gleiche Klasse geht. Die Art der Partys, auf die ich gehe, seit ich eine Familie habe, hat sich stark verändert.

 

Als wir – genauer: Sonja und ich – nach Hause gehen wollten, standen Dante und Paul gerade in einer Schlange vor einem Stand, wo die Kinder sich von einer Lehrerin bemalen lassen konnten. Ein Mann vor mir sprach ein kleines Mädchen in der Reihe an: „Mäuschen, komm wir gehen jetzt Heim.“ Das Mäuschen nahm die Hand seines Papas und ging mucksmäuschenstill mit ihm nach Hause. Ich: „Jungs, wir packen's jetzt auch.“

 

Paul schrie: „Waaaaas? Geht's noch?“

Dante gleichzeitig: „Nein, auf keinen Fall, wir waren doch noch nicht dran.“

 

Also trottete ich alleine wieder zurück zu meiner Bierbank und blickte sehnsüchtig dem kleinen Mädchen und seinem Vater hinterher und dachte: Kinderfeste sind wie ein Besuch im Restaurant – man will immer das haben, was der andere hat. In diesem Fall sein Kind. Wenn es einen Gott gibt, dann ist das kleine Mädchen bis zur Pubertät eine Bettnässerin. Das fände ich nur fair.

 

Immerhin: Mein Kuchen wurde komplett verkauft, was mich ein bisschen Stolz gemacht hat. Backbestellungen nehme ich gerne entgegen, unter: Maximilian.Reich@gmx.de

 

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