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"Jetzt gehen bitte alle nochmal aufs Klo"

Illustration: Lucia Götz

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Ich lebe nun seit über zwei Monaten mit Sonja und ihren beiden Söhnen Dante (11) und Paul (8) zusammen, und ich habe gemerkt: Kinder tun mir gut. Außer, wenn sie mir am Sonntagmorgen ins Rückgrad springen, während ich noch im Bett liege. Dann nicht. Aber sonst schon.

Es ist viel schwieriger geworden, mich aus der Ruhe zu bringen. Schreibblockade? Ein unnötiger Facebook-Kommentar unter einem meiner Texte? Pillepalle. Früher hätte ich mir daraufhin erstmal eine Zigarette anzünden müssen, um mich zu beruhigen. Heute zucke ich nur mit den Schultern und denke mir: Scheiß drauf. Hauptsache, Paul muss nicht wieder mitten in der Stadt aufs Klo.

Kinderblasen sind nämlich wie das Wetter auf dem Mount Everest: unberechenbar. Die Situation kann von einer auf die nächste Sekunde umschlagen – und auf jeden Fall wird’s dann hektisch, weshalb ich immer, bevor ich einen Ort verlasse, alle nochmal auffordere: „Jetzt gehen bitte alle nochmal aufs Klo.“ Das ist mittlerweile so tief in mir verankert, dass ich neulich sogar Sonja aus Versehen zum Klogang aufgefordert habe, als wir ohne die Kinder ausgegangen sind. Aber lieber sag ichs einmal zu viel als zu wenig.

Sonst passiert es wie neulich, als wir am Stachus bei den U-Bahn-Gleisen auf dem Heimweg waren, und Paul plötzlich aufs Klo musste. Natürlich dringend. Kinder kennen nur „Nö, ich muss nicht“ und „Ich mach mir gleich in die Hose.“ Dazwischen gibt’s nichts. Kinderblasen sind auch wie Donald Trump, die können nichts für sich behalten. Während ich es noch locker 45 Minuten bis zu einer Fußball-Halbzeitpause zurückhalten kann, schaffen es Kinder nichtmal bis zum nächsten Querpass.

Also hab ich Paul an der Hand genommen und durch das komplette Untergeschoss des Stachus geschliffen. Der Angstschweiß tropfte mir aus den Poren, während ich zu den einzelnen Geschäften eilte und mich abwechselnd sagen hörte:

„Entschuldigung, haben Sie ein Klo?“

„Hältst du's noch aus, Paul?“

„Bitte lieber Gott, lass ihn nicht in die Hose pinkeln.“

 

Der Kleine ist noch jung. Der braucht solche Nahtoderfahrungen zum Wachsen

Als wir endlich ein Klo gefunden haben, war die Herrenkabine besetzt.

„Dann geh bei den Damen“, habe ich gesagt. Ich hätte aber auch genauso gut sagen können: „Mach deine Hausaufgaben doch schon am Freitagnachmittag statt am Sonntag.“ Beides wäre für Paul gleichermaßen absurd.

„Ich kann doch nicht aufs Frauenklo gehen“, protestierte er.  

„Ich flehe dich an Paul, mach's einfach.“

„Neee“, jammerte er.

„Los jetzt“.

„Nein“.

Zum Glück sprang in dem Moment eine Tür im Herrenbereich auf und ein dicker Mann in Rocker-Kluft kam heraus. So viel Klopapier kannst du auf eine Klobrille gar nicht legen, dass ich mich da draufgesetzt hätte. Aber das sag ich dem Kind natürlich nicht. „Klasse Paul, jetzt nichts wie drauf“, habe ich gerufen und den Würgereiz unterdrückt. Der Kleine ist noch jung. Der braucht solche Nahtoderfahrungen zum Wachsen.

Apropos Nahtod: Heute Nachmittag gehen wir alle zusammen schwimmen. Paul muss im Schul-Schwimmunterricht nächste Woche tauchen, aber steckt den Kopf nicht so gerne unter Wasser. Ich soll ihm die Angst nehmen. Irgendwie habe ich das Gefühl, das wird meine Geduld wieder auf die Probe stellen, bis ich ihn dazu überreden kann. Naja, zumindest das Pinkeln ist in einem Schwimmbad kein Problem –  wobei: dann tauchen...?

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