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Warum die Coolness uns davon abhält, das zu tun, was wir wirklich möchten

Foto:Adam Berry/Getty Images

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Arme Coolness. Sie ist wie ein schlecht gealterter, zur Unkenntlichkeit schönheitsoperierter Hollywoodstar: Keiner weiß mehr so recht, wer sie einst war. Und doch terrorisiert sie bis heute die Gemüter. Jeder will irgendwie cool sein. Coolness, so viel ahnt man trotz der Vagheit des Begriffs doch, verspricht die beste Form von sozialem Prestige. Bekommt man von seinen Mitmenschen den Titel „cool“ verliehen, qualifiziert einen das nicht nur als in Ordnung, sondern auch als mutig, interessant, aufregend. Aber warum nochmal? 

Die Zeiten, in denen Coolness noch ein Begriff für echten Charakter war, sind längst vorbei: „Keep cool“ lautete im frühen 20. Jahrhundert die Devise wütender Nachfahren afroamerikanischer Sklaven. Coolsein war ihre Strategie mit der täglichen Diskriminierung fertig zu werden. Die Coolness als defensive Lebenshaltung aller Außenseiter und Unterdrückten: Cool war, wer cool bleiben musste, um den Schmerz auszuhalten und sich jenseits des Schmerzes weiterzuentwickeln. Coolsein, um Würde zu bewahren. Coolsein als lebensweises Statement.

Doch spätestens seit Hollywood und die Werbeindustrie das Coolsein entdeckten und ihm die rebellische Seele austrieben, wurde aus der ehemals würdevollen Coolness die sinnleere Lifestyle-Pose eines jungen Mainstreams, dessen Hauptproblem sein wählerisches Konsumverhalten ist.

Coolness vermittelt die Illusion, ein schönes Leben sei billig zu haben, während draußen alles beim Alten bleiben kann

In einem Aufsatz der „Zeitschrift für Ideengeschichte“ schreibt der Philosoph Andreas Urs Sommer, das Coole unserer Tage sei umso cooler, je mehr es sich der völligen Ideologie- und Überzeugungsabstinenz annähere. Aus dem Veränderungswillen und den Idealen früherer Generationen seien spöttische Ironie und distanzierte, pseudoüberlegene Gleichgültigkeit geworden. Die reine Pose des Distanziertseins erwecke immerhin noch den Anschein, sie habe eine innere Glut im Zaum zu halten. In Wahrheit fehle sie dem Coolen ebenso wie seinen „lauen Bewunderern“.

Dazu passt gut, dass noch immer eine Sache ganz und gar nicht als cool gilt, sondern vom coolen Mainstream als irgendwas zwischen „todlangweilig“ und „verstrahlt“ belächelt wird: politisches Engagement. Immer wieder, wenn dieser Tage sich jemand laut und deutlich zu einem Vorhaben jenseits des Sneakerkaufs bekennt – sagen wir: zum Beispiel zum feministischen Aktivismus oder zum Vorhaben, sich politisch zu engagieren – wird hinter vorgehaltener Hand gespottet, gewitzelt, hämisch gelacht. Naiv! Idealistisch! Lächerlich! Hysterisch! Und vor allem: Wie uncool. Coolsein also auch als Pose, die man echtem Engagement und echter Involviertheit nur allzu gern vorzieht. Weil sie die Illusion vermittelt, ein schönes Leben sei billig zu haben, während draußen alles beim Alten bleiben kann.

Aber auch jenseits des politischen Engagements ist der Anspruch cool zu sein zum panischem Tanz auf sehr dünnem Eis verkommen: der Post-Hipster, sowieso schwer identitätsbeschädigt, da er ja schon als Hipster nicht sein wollte, wer er war, lebt nach der selbstverachtenden Devise, dass im Grunde alles menschliche Handeln unerträglich peinlich ist. Seine Coolness besteht in der ewig krittelnden, ewig spöttelnden Arroganz, die sich über alles, was ihm gefährlich nah kommt, witzelnd drüberstellt. Diese Art der Coolness ist eine Angst vor der Leidenschaft, die einen, wenn man nicht aufpasst, innerlich schnell zum frustrierten Wutbürger macht. Mit einem unübertroffenen Geiz an Begeisterungsfähigkeit kann der Coole nichts mehr genießen, sondern muss alles verspotten. Zeichnete man eine Karikatur seiner Seele, säße sie allein im abgedunkelten Raum: Ihre Welt ist klein und ihre Jalousien bleiben geschlossen. Rausgehen? Uncool!

Der Coolste von allen kann eigentlich nichts mehr richtig gut finden

Will sagen: Der Coolste von allen kann eigentlich nichts mehr ehrlich gut finden. Sei es Nordic Walking oder Yoga, sei es zu McDonalds gehen oder selbstgekochtes Essen fotografieren, seien es grüne Smoothies, Biomarkt oder Aldi-Fleisch, irgendwie ist ihm alles unangenehm. Er hasst das Silicon Valley so sehr wie er verblendete Aussteiger hasst - was er aufrichtig liebt, weiß er nicht, ist da überhaupt was? Er traut sich schon kaum mehr nachzuspüren. Er könnte ja dafür verlacht werden.

Leandra Medine, eine der sympathischsten Modebloggerinnen der englischsprachigen Blogosphäre, verkündete das Ende ihrer persönlichen Suche nach Coolness. Ihre gesamten 20er, schrieb sie, habe sie sich unaufhörlich darüber den Kopf zerbrochen, wie sie möglichst cool werden könnte. Aber: „Is cool the best we’ve got?“ fragte sie jetzt und gestand sich ein, dass sie einfach nie cool sein würde. Sie sei nun einmal das Gegenteil: verkrampft, neurotisch, hypochondrisch (lässig Rauchen z.B nicht denkbar), außerdem begeisterte Anhängerin bunter, heller, knalliger Farben und alberner Aufzüge (daher der Name ihres Blogs „Man repeller“ – Medine hat die Angewohnheit, sich so zu kleiden, dass Männer es selten cool oder sexy finden). Natürlich bleibt auch dieses Sinnieren über Coolness zum Großteil an der modischen Oberfläche und macht sich vorrangig an Konsumentscheidungen fest. Und doch spricht Medine dabei etwas Wahres aus: Es bringt nichts, einem irgendwo aufgeschnappten Ideal von Cool hinterherzurennen, wenn es einem nicht mal entspricht.

Eigentlich ist es also ganz einfach mit der Coolness. Es gibt ihrer genau zwei Arten. Die erste ist die kalkulierte Coolness, die darauf abzielt, von anderen cool gefunden zu werden. Ihre Anwärter müssen aufpassen, was sie tun, was sie anziehen, wie sie sprechen, wohin sie in den Urlaub fahren. Sie dürfen dabei nie einen angestrengten oder ungelenken Eindruck machen. Eine relativ hohle Abgrenzungs-Attitüde, die einem das Leben zur Hölle machen kann. Wer sie anstrebt, macht nie unbekümmert das, was er grad einfach gern mal täte. Leider entlarvt ihn niemand in seinem Kampf, denn seine Attitüde glänzt blendend und findet viele Claqueure. So wähnt sich der Anhänger dieser Form der Coolness permanent auf der richtigen Seite. Und verzweifelt gleichzeitig daran, dass es ihm innerlich doch kein echtes Selbstbewusstsein beschert. Seine Coolness hat ihn gelehrt, nur dann glücklich sein, wenn andere ihm applaudieren. Tun sie es nicht, stürzt er in die Depression.

Der Post-Hipster verwechselt Würde mit Selbstverachtung

Die zweite Art von Coolness ist die leisere, aber dafür die echte, ein später, bescheidener Nachfahre der Ursprungscoolness. Man sieht diese Coolness selten auf der Straße, sie geht nicht auf jede Party, dafür gern in die Badewanne. Sie hält sich im Hintergrund. Sie lässt sich von den Urteilen der anderen nicht aus der Ruhe bringen. Sie zuckt mit den Achseln,  hat Spaß, sie lässt sich begeistern, ergießt sich in romantischer Poesie, steigert sich in idealistische Thesen hinein, glaubt an etwas, grübelt nicht alles tot. Sie geht das Risiko ein, dass jemand sie peinlich findet, naiv oder idealistisch oder spießig. Es ist ihr egal. Sie steht drüber. Sie weiß, ihre Coolness dient am Ende bloß einer Sache: Würde zu bewahren. Die Würde, die der Post-Hipster noch immer mit Selbstverachtung verwechselt.

Nur leider wird die echte Coolness viel zu selten erkannt neben ihrem Rampensau-Zwilling. Aber so ist das eben mit Rampensäuen. Sie drängen sich immer in den Vordergrund.

Dieser Text erschien erstmals am 28.2.2017  und wurde am 11.02.2021 nochmals aktualisiert. 

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