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Ramona hat sich den Magen verkleinern lassen

Illustration: Katharina Bitzl

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„Früher hieß ich Bettinger mit Nachnamen. In der Schule haben sie vorne ein F draus gemacht: Ich war die ‚Fettinger‘. Die Sprüche und das Mobbing waren manchmal unbewusst: Im Bus wollte oft niemand neben mir sitzen. Anstatt etwas dagegen zu tun, habe ich zu Hause weiter gegessen, vor allem Süßigkeiten. 

Meine Eltern haben sich getrennt, als ich neun Jahre alt war. Damals habe ich angefangen, mir einen Schutzpanzer anzuessen, und kam aus der Spirale irgendwann nicht mehr raus. Mit 17 habe ich 105 Kilo gewogen, bei einer Körpergröße von 1,65 Meter. 

Wenn man übergewichtig ist, bezieht man in der Öffentlichkeit alle Blicke auf sich – und auf das Übergewicht. Ich habe immer gedacht: ‚Die gucken mich nur an, weil ich dick bin. Weil ich komisch aussehe.‘ Es hat schon gereicht, wenn ein Blick nur in meine Richtung ging. Und das hat eben auch wieder dafür gesorgt, dass ich noch mehr gegessen habe, damit ja niemand durch den Schutzpanzer in mich reingucken und den Stress sehen kann, den das alles auslöst.

Nach der Realschule habe ich eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht. Als ich danach Bewerbungen geschrieben habe, wog ich ungefähr 125 Kilo. Es kam überhaupt keine Rückmeldung. Nicht mal Absagen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das auch mit meinem Gewicht und dem Bewerbungsfoto zusammenhing. Denn danach habe ich in relativ kurzer Zeit mit Weight Watchers und Sport 20 Kilo abgenommen und anschließend einen neuen Schwung Bewerbungen rausgeschickt, mit neuem Foto – und plötzlich bekam ich Antworten. Damals habe ich auch meine Stelle gefunden. Dort bin ich bis heute glücklich.

Als ich meinen jetzigen Mann kennengelernt habe, hat er mich von Anfang an so akzeptiert, wie ich bin. Er war auch stark übergewichtig. Das hat mir sehr dabei geholfen, mich selbst zu akzeptieren. Aber leider habe ich dadurch auch weniger darauf geachtet, wie ich mich ernähre, und hatte ruck, zuck wieder zehn bis 15 Kilo mehr drauf. Ich habe dann viel probiert: diverse Zeitschriften-Diäten, regelmäßiger Sport. Kurzfristig hat das funktioniert, aber ich habe immer schnell wieder zugenommen.

2013 sagte meine Mutter: ‚Ich mache mir Sorgen um dich.‘ Das war für mich Anlass, wirklich etwas zu ändern. Mein Mann und ich haben es ein letztes Mal mit einem Ernährungsprogramm versucht. Aber das hat nur etwa fünf Kilo gebracht.

Im Februar 2014 haben wir uns dann operieren und einen Magen-Bypass legen lassen. Dabei wird der Magen abgeteilt, man behält nur einen kleinen Rest. Außerdem wird der Dünndarm direkt an den Restmagen angenäht, der Zwölffingerdarm dadurch ausgeschaltet und erst nach etwa eineinhalb Metern wieder an den Dünndarm angenäht.

Man nimmt einerseits ab, weil man weniger essen kann – in den Magen passt nur ungefähr ein Schnapsglas voll Nahrung. Und andererseits, weil die Verdauung erst später einsetzt, wenn die Säfte aus dem Zwölffingerdarm dazukommen, und der Körper weniger Zeit hat, Fette und Zucker aufzunehmen. Das gilt allerdings auch für die anderen Nährstoffe, deswegen muss ich mein Leben lang extra Vitamine, Calcium und Eiweiß einnehmen. Ich darf auch nicht mehr alle Medikamente nehmen, zum Beispiel keine, die die Magenschleimhaut angreifen. Und ich habe schnell ein sehr starkes Sättigungsgefühl – das kannte ich vor der OP fast gar nicht mehr. Wenn ich zu viel esse, muss ich mich übergeben oder kriege starke Schmerzen. Trotzdem kann ich Essen mehr genießen als früher. Ich habe einen anderen Bezug dazu, gerade weil ich nur wenig zu mir nehmen kann. 

„Klar, meine Haut hängt. Das darf sie: Ich habe 50 Kilo abgenommen.“

Insgesamt habe ich innerhalb von 15 Monaten 50 Kilo abgenommen. Heute wiege ich ungefähr 74 Kilo und mein BMI liegt bei 27 oder 28. Das gilt noch als Übergewicht.

Vor so einer OP muss man mindestens ein halbes Jahr ein Programm aus Sport, Ernährungsberatung und Verhaltenstherapie durchlaufen. In unserer Selbsthilfegruppe habe ich mich zum ersten Mal mit anderen Betroffenen ausgetauscht. Es hat gutgetan zu merken, dass man nicht die Einzige ist, die es nicht schafft, alleine abzunehmen. Zu hinterfragen, woran das liegt und was man falsch macht. Bis dahin war mir noch gar nicht bewusst gewesen, dass alles angefangen hat, als meine Eltern sich getrennt haben. 

Als ich nach der OP angefangen habe, erste Bilder auf Facebook hochzuladen, habe ich viele Kommentare von Freunden bekommen, auch von einigen, die ich lange nicht gesehen habe – aber alle waren positiv. Wenn dann jemand „Mensch, du siehst toll aus“ geschrieben hat, fühlte ich mich noch motivierter. Und ich sehe mich selbst auch viel lieber auf Fotos als früher. Damals habe ich bei fast jedem Schnappschuss gedacht: ‚Das geht gar nicht!‘ Und jetzt kann ich sagen: ‚Das ist okay für mich‘ – oder freue mich sogar darüber.

Ich habe kein einziges Bild von früher gelöscht. Facebook zeigt einem ja ab und zu Erinnerungen an, und wenn da alte Bilder auftauchen, denke ich: ‚Das bin ich definitiv nicht mehr!‘ Und dass ich das eigentlich auch mal löschen könnte. Aber andererseits ist es auch eine Art Motivation: Das Foto erinnert mich daran, dass ich so nie wieder aussehen will. 

Manchmal ärgere ich mich, dass ich nicht früher gehandelt habe. Aber ich kann die Zeit ja nicht zurückdrehen. Und dadurch, dass ich heute selbst eine Selbsthilfegruppe der Adipositas-Hilfe Nord leite, kann ich anderen Menschen helfen. 

Ich bin heute viel beweglicher. Ich kann einfach mal so eine Runde durch den Wald spazieren oder mit den Kindern auf dem Boden rumturnen, und es macht mir nichts aus. Ich bin auch wesentlich seltener krank und habe insgesamt mehr Lebensfreude. Wenn ich früher schwimmen gegangen bin, habe ich mir auf dem Weg zum Becken immer ein Handtuch umgebunden und es auch direkt wieder drumgemacht, wenn ich aus dem Wasser kam. Das ist heute nicht mehr so. Klar, meine Haut hängt – aber das darf sie auch, ich habe immerhin 50 Kilo abgenommen! Wen das stört, der soll halt weggucken. Ich habe jetzt ein viel besseres Selbstwertgefühl. Dadurch nehme ich auch andere Menschen positiver wahr. Früher dachte ich immer, dass jemand mich auslacht – heute kann ich ein Lächeln als Lächeln erkennen.“

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