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Der schönste Tag der Woche

Foto: flickr.com / Porsche Brosseau / CC BY 2.0

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Der Sonntag, so dachte ich bis vor kurzem, ist eigentlich totlangweilig. Keine Geschäfte offen, kein Feiern gehen am Abend, vermutlich ist man sowieso verkatert und verplempert den zweiten Wochenendtag missmutig vorm Fernseher. Scheiße ist es auch, wenn der Sonntag der Trennungstag ist: Wenn man eine Fernbeziehung hat und abends wieder in den Zug steigen und für weitere fünf Tage Abschied nehmen muss.

Seit jedoch mit dem Frühling auch wieder die Baustellenlust meiner Nachbarn eingezogen ist, merke ich: Wie herrlich ist der Sonntag! Denn am Sonntag arbeitet niemand an der absolut unnötigen, neuen Gartenanlage gegenüber meines Wohnhauses. Die Stille des Sonntags ist unersetzlich – vor allem eben dann, wenn man von Montag bis Samstag um Punkt 7 Uhr im Rhythmus des Presslufthammers aus dem Bett gerüttelt wird. Am siebten Tag der Woche von allein aufwachen zu dürfen ist einer der vielen Pluspunkte des Sonntags, der eigentlich als der schönste Tag der Woche gelten sollte.

Das Opfer der Fünf-Tage-Woche

Der Sonntag leidet an einem Imageproblem. Unter der Woche schaffen wir es oft nicht, all die unspaßigen Sachen zu erledigen, die auf unserer Liste stehen. Arzttermine, neue Passfotos machen lassen, Kühlschrank auffüllen. Wenn man am Samstag noch die Folgen vom Freitag Abend zu überwinden hat, bleibt für so etwas schließlich nur noch der Sonntag übrig – und da steht man vor verschlossenen Ladentüren. Was ihn in unseren Augen zum Übeltäter, Spießbürger und Spaßverderber in einem macht. Er hindert uns daran, unseren Verpflichtungen und Zerstreuungen bis zur letzten Wochenminute nachrennen zu können.

Hätte man jedoch einen zusätzlich freien Tag unter der Woche, könnte man an diesem alles erledigen, was nebenbei noch anfällt. Ein zweiter Samstag sozusagen (der jedoch nicht kollektiv festgelegt werden dürfte,  weil ja sonst ein Zwilling des Sonntags entstehen würde). Der die Möglichkeit bietet, To-Do-Listen kürzer werden zu lassen. Was wiederum dazu führen würde, dass wir nach dem Acht-Stunden-Freitag entspannter in den Wochenendmodus umschalten könnten. Der Außenseiterstatus des Sonntags wäre dann wohl auch vorbei.

Dass dies nur Sonntagsträumereien sind, ist mir bewusst. Und trotzdem ist es schade, dass der Sonntag ein Opfer unserer Fünf-Tage-Woche ist und bleibt. Die Abneigung, die wir gegen die sonntägliche Zwangspause verspüren, ist ungerecht. 144 von 168 Stunden befinden wir uns im Stress. Und weil wir so an diesen Zustand gewöhnt sind, nehmen wir dem Sonntag übel, dass er uns eine Pause aufzwingt. Wir empfinden diesen momentanen Stillstand als Last und Zeitverschwendung und merken gar nicht, dass er uns etwas gibt, was uns eigentlich fehlt.

Der Sonntag ist der Tag des Kuchens

Am Sonntag kann man Sachen machen, die an den restlichen Wochentagen Fehl am Platz zu sein scheinen. Gerade das macht den Sonntag zu einer so wunderbaren Erfindung. Die Griechen und Römer nannten ihn "Tag der Sonne", die Christen verpassten ihm den Beinamen "Tag des Herrn" – und heute könnte man eine weitere Bedeutung hinzufügen: Der Sonntag ist der Tag des Kuchens. Die Tradition des sonntäglichen Kaffeeklatsches scheint leider weitestgehend in Vergessenheit geraten zu sein. Dabei eignet sich doch kein anderer Tag so gut wie dieser, bei Oma und Opa (die man eh viel öfter besuchen sollte) auf der Matte zu stehen und den Selbstoptimierungsdrang für ein paar Stunden abzulegen. Oder man verbringt den Nachmittag auf dem Balkon, mit Freunden, Erdbeerkuchen und einem Klacks von dem Tratsch, der sich im Laufe der Woche angesammelt hat. Klar, man könnte das auch an jedem anderen Tag machen. Aber am Sonntag! Da lässt sich am besten zusammen der Prokrastination frönen, weil es ja eh nichts anderes zu tun gibt.

Und dann das Flanieren – ebenfalls ein fast verloren gegangener Schatz. Müsste man den Sonntag pantomimisch darstellen, es müsste wohl mithilfe dieser Gangart geschehen. Denn nur an diesem Tag lassen sich auf diese Art die Gassen der Stadt und das grüne Umland würdig durchschreiten. Dass der Sonntag und das Flanieren besonders gut zusammen passen, sehen auch einige Städte so: In Rothenburg ob der Tauber oder Paris etwa gibt es autofreie Sonntage, die somit das freie Dahinschreiten fördern. In erster Linie gibt es die natürlich um Abgase zu reduzieren. Aber sie ermöglichen es auch, dass die Einwohner die Straßen ihrer Stadt wieder ungestört zu Fuß erobern können. Ganz ruhig und ohne Hektik, eben ganz im Sinne des Sonntags.

Das Faultier unter den Wochentagen

Die schönste Tätigkeit jedoch, der man am Sonntag nachgehen kann, ist das Ausschlafen. Hätte der Sonntag ein Lieblingstier, er würde wohl das Faultier wählen. Dieses nämlich schläft sechzehn Stunden am Tag. Es hängt kopfüber an einem Ast, träumt vor sich hin und tut so gut wie gar nichts. Jedoch - das Faultier ist leider vom Aussterben bedroht. Genau wie das Ausschlafen. Denn unter der Woche quängelt der Wecker (oder der Presslufthammer) und reißt uns vorzeitig aus dem Bett. Wir müssen zur Arbeit oder in Vorlesungen und unsere To-Do-Listen abhaken. Ausschlafen – dafür haben wir wirklich nur am Sonntag Zeit. An diesem Tag können wir auf technische Aufwachhilfen verzichten, uns noch einmal unter die Bettdecke kuscheln und dem Regen zuhören, wie dieser gegen die Fensterscheibe prasselt.

Schon allein um des Ausschlafens willen, um das Faultier in uns zu retten, wäre es doch nur recht, wenn wir den Sonntag um genau diese Möglichkeit wertschätzen. Denn am Sonntag herrscht Ruhe, es gibt einfach kaum Termine oder externe Vergnügungsmöglichkeiten. Wir haben Zeit, den Tag dann zu beginnen, wann wir wollen. Wir können uns eine Auszeit nehmen von dem Wirbel des Alltags, der einen früh genug wieder am Montag erfassen wird.

Im Volksmund gilt der Sonntag übrigens als Glückstag. Kinder, die an diesem Tag geboren wurden, werden vom Leben angeblich besonders begünstigt. Auch ich bin ein Sonntagskind. Zugegeben: Mit der Baustelle direkt vor meinem Fenster habe ich wenig Glück. Aber es gibt ja immer noch den presslufthammerfreien Sonntag. Den ich erst durch den Baulärm wieder zu schätzen und zu nutzen weiß. Und das könnte man doch durchaus als Glück bezeichnen. 

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