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Eine Liebeserklärung an die Tram

Illustration: Federico Delfrati

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Vor einigen Monate habe ich jedem, der es hören wollte (oder auch nicht) davon erzählt, wie absolut toll es ist, dass es jetzt eine neue Tramstrecke gibt, die meine Wohnung mit meinem Arbeitsplatz verbindet. Wie herrlich, endlich eine vernünftige Alternative zum Fahrrad! Endlich bei schlechtem Wetter nicht mehr mit der stickigen U-Bahn und dann mit dem im Stau steckenden Bus fahren müssen! Vor lauter Freude habe ich gleich zwei Mal an der Fahrgastbefragung in der neuen Tram teilgenommen und beide Mal angegeben, ich sei „sehr zufrieden“.  

Dabei bin ich nicht nur mit der neuen, für mich sehr bequemen Tram-Strecke sehr zufrieden, sondern mit der generellen Existenz von Trams! Ich liebe Tramfahren, ich halte die Tram für das beste öffentliche Verkehrsmittel der Welt, und es ist mir völlig egal, dass das Wort „Tram“ im diesem Text bisher schon mindestens drei Mal zu oft vorgekommen ist, denn ich liebe auch das Wort! Tram, Tram, Tram, Tram, Tram!  

Meine Liebe zur Tram kann ich zum einen ex negativo definieren – denn die Tram ist keine U-Bahn, keine S-Bahn und kein Bus und sie ist besser als jedes dieser drei Verkehrsmittel. In der U-Bahn ist es dunkel und die Luft ist schlecht, S-Bahnen fallen dauernd aus und fahren oft langweilige Strecken, und Busse sind sowieso eine Unverschämtheit! Sie sind klein und eng, stecken in jedem Autostau fest, den man mit dem ÖPNV doch gerade vermeiden will, ruckeln und brummen fürchterlich und können theoretisch jederzeit falsch abbiegen, weil sie nicht auf Schienen fahren, die ihre Strecke vorgeben.

Ich kann die Liebe zur Tram aber auch andersherum definieren. Über das, was daran so schön ist. Schon wenn sie angefahren kommt, freue ich mich, weil sie ein so ästhetisches Verkehrsmittel ist, schlank und mit großen Fenstern, vor allem hinten. Hinten ist auch der schönste Platz in der Tram. Nicht weil da die Coolen sitzen, wie früher im Schulbus, sondern weil man dort beobachten kann, was die Tram hinter sich lässt. Es gibt fast nichts Schöneres als an einem sonnigen Morgen hinten in der Tram zu sitzen und rauszuschauen, besonders auf den langen, geraden Strecken, wenn sie Tempo macht, egal, wie viel Autoverkehr rechts und links ist. Denn die Tram fährt auf ihrer eigenen Bahn und sie hat immer Vorfahrt und darum lässt sie all die doofen, langsamen, sich gegenseitig blockierenden Autos hinter sich. Klar, machen U- und S-Bahn theoretisch auch – aber wenn ich da drinsitze, sehe ich die Autos meistens gar nicht und kann mich darum nicht so sehr über sie erhaben fühlen. 

Wenn der Tram doch mal jemand im Weg ist, macht sie etwas, was sonst kein Verkehrsteilnehmer macht (außer, er hat eine besonders schöne Fahrradklingel): Sie bimmelt! Das ist so besonders, dass man sie in Wien sogar danach benannt hat: „die Bim“. Sie bimmelt so freundlich und unaufgeregt, dass ich mich jedes Mal frage, warum Autos nicht auch einfach eine Bimmel statt einer Hupe haben, denn dann wäre der ganze Verkehr doch viel netter und weniger aggressiv. Wenn die Tram bimmelt, dann klingt das zwar schon nach „Aus dem Weg da, bitte sehr!“, aber eben auch nach „Dies ist eine schöne Stadt, wir leben hier gemeinsam und passen auf, einander nicht gegenseitig zu überfahren!“ Hupen hingegen klingt wie „Platz da oder platt da!“

Die Tram kann noch ein Geräusch, das besser ist als andere Verkehrs-Geräusche, und zwar, wenn sie anfährt. Da macht sie einen Ton wie Musik, der langsam an- und dann über der Straße aufsteigt. Die Tram klingt dabei wie ein ICE in klein, in entschleunigt. Überhaupt ist Tram-Fahren entschleunigend: Sie kann zwar sehr schnell fahren – aber rasen kann sie nicht. Tram-Fahren fühlt sich immer ein bisschen gemütlicher an als anderes Fahren, altmodischer irgendwie.

Die Tram gehört in die Stadt, sie ist Teil von ihr wie ihre Häuser und Parks

Am allerschönsten ist aber die Tatsache, dass ich fast nirgends ein so gutes Gefühl für eine Stadt bekomme und mich so sehr in der Stadt angekommen fühle, wie in einer Tram. U-Bahnen brausen unter der Stadt hindurch, S-Bahnen schlagen ihre Schneisen in schnurgeraden Tunneln oder auf Hochschienen, und Busse stecken zwar mitten in der Stadt, aber eigentlich ist man davon ja bloß immer genervt. Sie sind wie ein Fremdkörper in den Straßen, der da jetzt irgendwie durch muss. Die Tram hingegen gehört in die Stadt, sie ist Teil von ihr wie ihre Häuser und Parks. Sie ist in die Stadt hineingeschrieben, durch die Schienen, die in die Straßen eingelassen sind, als hätte jemand mit dem Bleistift Bögen in das Pflaster gemalt.

Eigentlich gehört die Tram nicht nur in die Stadt, sondern der Tram gehört die Stadt, so wie auch den Menschen die Stadt gehört. Denn sie bewegen sich durch sie hindurch, und genau das macht auch die Tram, und zwar auf Wegen, auf denen man niemals Busse oder S-Bahnen wird sehen können. Trams schlängeln sich durch schmalste Kopfsteinpflaster-Gassen, durch Fußgängerzonen, durch Parkanlagen. Sie fahren ganz dicht an alten Häusern vorbei, so nah, dass man jedes Mal Angst hat, sie könnten dagegen stoßen, aber das passiert natürlich nie, weil die Tram auf ihren Schienen und die Häuser, die sie säumen, ja perfekt aufeinander abgestimmt sind. 

Und so schwingt die Tram sich perfekt choreographiert durch die Kurven wie ein (freundlicher!) Lindwurm, vorbei an Wohnhäusern und einem Laden für Küchenbedarf und einem Laden für Stoff und einem für Elektrogeräte und einem Supermarkt, vorbei an Fußgängern mit Schirm oder Eis oder der Hand eines anderen Menschen in der Hand, und wenn ich in der Tram sitze und rausschaue, fühle ich mich wohl und aufgehoben, im Herzen der Stadt. Und wenn jemand zur Fahrgastbefragung vorbeikommt, werde ich angeben, ich sei „sehr zufrieden“, denn das ist nun mal das Gefühl, das ich in der Tram habe: ganz, ganz tiefe Zufriedenheit. 

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