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Wer Liebeskummer hat, braucht ein Ersatz-Postfach

Illustration: Lucia Götz

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Ein typischer Whatsapp-Dialog zwischen Freundinnen, von denen eine gerade eine Trennung durchmacht, verläuft ungefähr so:

Traurige Freundin: „Ich will ihm unbedingt schreiben!“

Tröstende Freundin: „Tu’s nicht!!!“

Traurige Freundin: „Ja, ich weiß. Wär dumm.“

(eine Stunde Pause)

Traurige Freundin: „Jetzt hab ich ihm natürlich doch geschrieben und die Häkchen sind blau, aber er antwortet nicht…“ 

Wer Liebeskummer hat, braucht Abstand zum Grund des Kummers. Aber den einzuhalten ist sehr, sehr schwer. Um den ewigen „Ich sollte mich nicht melden, aber ich will so dringend – ich bleibe stark – ich halt’s nicht aus, ich schreib jetzt einfach – das war ein Fehler“-Kreislauf zu durchbrechen, habe ich neulich mit einer Freundin, die verlassen wurde, einen Pakt geschlossen: Immer, wenn sie ihrem Ex-Freund schreiben will, schreibt sie stattdessen mir. Ich habe mich ihr als Ersatzpostfach angeboten, weil ich selbst mal eines hatte und es mir sehr geholfen hat: Über Wochen bombardierte ich eine Freundin mit Nachrichten, in denen ich ihr erzählte, was ich eigentlich meinem Ex-Freund hätte sagen wollen (und noch einiges darüber hinaus). Und ich glaube, dass man an dieser Methode sehr gut erkennen kann, wie Liebeskummer im 21. Jahrhundert funktioniert.

Das Handy und der Messenger sind fester Bestandteil vieler Beziehungen. Die Partner haben eine Art Standleitung, sie schreiben sich regelmäßig, mal säuselige, kleine Liebesbotschaften, mal „Kannst du noch eine Packung Milch mitbringen?“, manchmal streiten sie sogar. Man kann sich das so vorstellen, als würde eine feine, goldene Schnur die Smartphones der beiden Partner miteinander verbinden und drumrum steht das große, fest gemauerte Beziehungsgebäude. Wenn eine Beziehung zerbricht, bröckelt und bröselt das Gebäude, es wird immer maroder, schließlich stürzt es ein. Und dann stehen da die zwei Ex-Partner in den Trümmern ihrer Beziehung – und das Letzte, was sie noch zusammenhält, das Letzte, was noch nicht kaputtgegangen ist, ist diese Schnur. Eigentlich müsste jetzt jemand hergehen und sie ganz bewusst durchschneiden. Klarer Schnitt in allen Bereichen: kein Bett mehr teilen, sich nicht mehr sehen und sich auch nicht mehr schreiben. Aber vor allem Letzteres fällt vielen schwer.

Denn plötzlich ist da jemand weggefallen, dem man vorher so gut wie alles erzählt hat. Und gerade jetzt, da man ihm besonders viel zu sagen hätte, darf man nicht mehr. Wohin also mit den vielen Gedanken? Bevor alle ein Smartphone hatten, lautete der Rat in einer solchen Situation: „Schreib ihm einen Brief, schreib alles rein, was du ihm sagen willst – und schick ihn dann nie ab.“ Das war ein guter Rat, denn es hilft meistens, die eigenen Gedanken aufzuschreiben – und es war ziemlich sicher, dass sie denjenigen, an den sie gerichtet waren, wirklich nie erreichen würden. Dass der klare Schnitt ein klarer Schnitt bleiben würde. Denn einen Brief abzuschicken, das ist ja zumindest mit einem kleinen bisschen Aufwand verbunden. Und es hätte auch arg nach Verzweiflungstat ausgesehen, hätte man es wirklich getan. „Ach herrje, so schlimm steht es um ihn/sie“, hätte der Empfänger oder die Empfängerin gedacht, „dass er/sie sogar einen Brief geschrieben hat!“

Aber heute ist die schriftliche Kommunikation sehr leicht und alltäglich. Wir schreiben uns jeden Tag hunderte kleine Briefe. Nach einer Trennung müssen wir uns also eine gewohnte Handlung verbieten, etwas loslassen, das so selbstverständlich war wie der gemeinsame Abend in der Stammbar oder sich nebeneinander am Waschbecken die Zähne zu putzen. Und während eine Wiederaufnahme des Stammbar-Trinkens und des Zähneputzens unmöglich scheint, ist der Schritt, wieder Kontakt aufzunehmen und sich dem anderen mitzuteilen, sehr schnell gemacht. Man muss dafür nirgendwo anrufen, nirgendwo hingehen und klingeln, schon gar keinen Brief schreiben und frankieren. Man muss nur etwas tun, was man sowieso die ganze Zeit tut: auf dem Handy eine Nachricht tippen und sie abschicken.

Statt den Schreibimpuls gewaltsam zu unterdrücken, kann man ihn auch umleiten

Es ist gefährlich, dass das so leicht geht. Denn dadurch kratzt man jeden neuen, feinen Schorf auf der Wunde gleich wieder ab. Jeder, der sich zu oft oder zu früh wieder beim Ex-Partner gemeldet hat, weiß: Danach geht es einem nur sehr kurz besser, weil man sich fühlt, als könnte man das Zurückholen, was vorbei ist. Als könnte man den Normalzustand wieder herstellen, wenn man sich einfach wieder schreibt. Man merkt dann sehr schnell, dass das nicht funktioniert – und muss wieder von vorne losleiden. Wirklich heilen kann man nur mit Abstand. Vielleicht ist eine Trennung im 21. Jahrhundert darum schwerer, als sie es noch in den Neunzigerjahren war. Weil es schwieriger ist, diesen Abstand nicht andauernd wieder zu verringern.

Hier kommt das Ersatzpostfach ins Spiel. Statt den Schreibimpuls gewaltsam zu unterdrücken und dann damit und mit den Gedanken alleine zu bleiben, kann man auch versuchen, ihn umzuleiten. So lange, bis er nachlässt. Als erstes muss man den Chat mit dem oder der Ex aus der Liste löschen – und wenn man ganz stark ist, am besten sogar die Nummer. Und dann schließt man mit einer Freundin oder einem Freund den Ersatzpostfach-Pakt. Der beinhaltet nicht nur, dass der Mensch mit Liebeskummer an das Ersatzpostfach schreiben muss, wenn der Drang nach Kontakt zum Ex-Partner sehr stark ist. Sondern auch, dass es völlig egal ist, ob er das mitten in der Nacht, vorm Einschlafen oder nach dem Aufwachen macht. Und dass es okay ist, wenn es sehr oft passiert, wenn die Nachrichten sehr, sehr lang sind oder wenn er keinen guten Rat, sondern wirklich nur seine Sorgen loswerden will. Hauptsache, er muss die feine, goldene Schnur erstmal nicht durchschneiden. Sondern einfach nur von einem der Telefone trennen und das lose Ende woanders festknoten. Dafür sind Freunde ja da. Beziehungsweise ihre Telefone.

Hier geht's zu wahrer Liebe auf dem Telefon:

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