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Mit Freunden zu verreisen bedeutet, sein Zuhause mitzunehmen

Foto: der-clee / photocase.de

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Es war ziemlich spät, vielleicht drei, vielleicht auch schon vier Uhr nachts. Auf jeden Fall war es so spät, dass keine Busse mehr in die Richtung unserer Ferienwohnung gefahren wären. Und das mitten im Urlaub, mitten im Ich-will-endlich-ins-Bett-Modus, mitten in London.

Es war in der Nacht von Sonntag auf Montag, in der wir – vier Freundinnen und ich – die menschenleeren Straßen irgendeines Viertels entlang irrten; auf der Suche nach einem Taxi oder doch eines Bushaltestellenfahrplans. Erfolglos, natürlich, weil sich keine von uns auskannte und die Akkus unserer Smartphones leer waren. Zunehmend nüchtern und genervt liefen wir weiter durch die Nacht und den einsetzenden Nieselregen, unter den schwachen Lichtkegeln der düster-majestätischen Straßenlaternen hindurch. 

Zu diesem Zeitpunkt war also alles recht beschissen. Und ich verfluchte mich innerlich, mich auf einen Fünf-Tage-Urlaub mit meinen Freunden eingelassen zu haben. "Allein wäre ich bereits im Warmen", dachte ich mir, "denn dann wäre ich bestimmt wieder in einem zentralen Hostel abgestiegen." Keine Odyssee hätte mich von meinem Bett fern gehalten. Keine mürrischen Kommentare würden mich umgeben. Und doch: Ich bereue nicht, mit meinen Freundinnen weggefahren zu sein. Denn trotz der Schieflage, in die wir geraten waren, war es als hätte ich eine Ersatzfamilie eingepackt gehabt. Und nur sie machte die nasskalte Irrfahrt erträglich. Ich finde: Ein Urlaub mit Freunden – das ist eine Form des Reisens, der man eine Chance geben sollte. Denn sonst verpasst man sie, die womöglich schönste Form des Zusammenseins, die man erleben kann.

Das Heimelige beginnt bereits auf der Hinreise

Das viel gepriesene Alleinreisen ist mittlerweile ja zum Pflichtpunkt auf der To-Do-Liste von uns 20./21.-Jahrhundertlingen geworden. Denn nur allein, so finden wir scheinbar, kann man sich selbstverwirklichen, von allem lösen und individuellen Grenzen austesten und überschreiten. Ein Urlaub mit Freunden ist offenbar vor allem eins: gefährlich. Das gemeinsame Verreisen nervt, liest man, und Freundschaften können nach dem Urlaub vorbei sein. Die verschiedensten Medien, vom Reiseblog studentsgoabroad.com über mydays.com bis hin zum Tagesspiegel, zählen deshalb Grundregeln auf, an die man sich im Interesse einer Schadensbegrenzung halten soll. Und vermittelt doch irgendwie das Gefühl, dass man einen Urlaub mit Freunden nicht wagen sollte. Zugegeben: Alleine zu reisen hat viele Vorteile. Schließlich ist der Rucksack die einzige Bürde, die man während des Urlaubs mit sich herumträgt. Es gibt keine Abstimmungen mit anderen bezüglich der Nachmittagsgestaltung, keine festen Kochzeiten. Und man ist niemandem Rechenschaft schuldig, wenn man spontane Planänderungen vornimmt.

Doch das Heimelige, das Geborgensein, das geht beim Egotrip-Backpacking verloren. Das merkt man spätestens dann, wenn man todmüde im Flugzeug sitzt und seinen Kopf nicht auf die Schulter seines Sitznachbarn sinken lassen kann. Während der zwei Stunden Flugzeit nach London konnte ich ganz entspannt die unterbrochene Schlafphase auf der Schulter einer meiner Freundinnen nachholen, während die Sonne langsam hinter den Wolken aufging.

Das Geheimnis des Losens

Auf dem Reiseblog "5vorFlug" wird vor einem Urlaub mit Freunden gewarnt, da man von denen so genervt sein könne, dass man "am Ende der geteilten Ferien ein paar Freunde aus seiner Telefonliste streicht." Kann schon passieren – wenn man nicht offen und ehrlich zueinander ist und nicht kommuniziert, wenn einem was auf die Nerven geht.

Bei unserem Trip nach London haben wir Monate im Voraus an der Ausführung unseres Abenteuers gefeilt. Schon diese Vortreffen waren den Aufwand wert: Zusammen mit dem Laptop, mit Musik und einigen Flaschen Wein verlief die Planung um einiges unterhaltsamer als es das Durchblättern eines Lonely Planets jemals gewesen wäre. Wir haben es auch geschafft, all die unterschiedlichen Interessen von uns fünf Individuen zu berücksichtigen. Von Konzertbesuchen bis Touri-Busfahrten und Fish&Chips-Essen war alles mit dabei, wodurch sich keine übergangen oder unwichtiger fühlte.

Dann tauchten da noch andere Fragen auf wie: Wer sitzt neben wem im Flugzeug? Und wer teilt sich mit wem ein Zimmer? Mögliche Gefühlsverletzungen haben wir dann aber so vermieden: Wir haben gelost. Und die Aufteilung dem Zufall überlassen. Anders jedoch beim Koch- und Abwaschplan: Den haben wir bei unserer Ankunft in unserer Wohnung aufgestellt. Um weitere Freundschafts-Klippen zu umschiffen. Und das Zusammenleben auf Zeit hat uns auf eine Art verknüpft, wie es daheim nie hätte passieren können.

Dass wir gegenseitig auf uns aufpassen wollten, hat sich auch in den Tagen nach der Ankunft in London gezeigt: indem wir immer darauf geachtet haben, dass keine verloren geht. Indem wir alle Bedürfnisse von Trink- bis Zigaretten- und Toilettenpausen beachtet haben. Und indem wir uns auch einfach mal Freiraum gelassen haben, wenn eine von uns keine Lust auf die Besichtigung von Wachsfiguren hatte. Gerade mir, die bis dahin meistens alleine gereist war, kam das entgegen. Denn so hatte ich das Gefühl, zwar in einer Gruppe unterwegs zu sein, aber auch selbstbestimmt handeln zu können.

 

Noch eine Sache, die für das Reisen in Gruppen spricht: Man darf die typischen Touristensachen machen. Die, die man alleine nie macht, weil man sich doof vorkommt und das Ganze eigentlich viel zu uncool ist. Die Touristen-Busfahrt etwa. Wenn man in dieser Peinlichkeit auf vier Rollen sitzt, wird man von Außenstehenden sofort zu einem bauchgürteltragenden Volldeppen abgestempelt. Mit Freunden jedoch kann es dir egal sein, sofort als Ausländer entlarvt zu werden. Denn beim Entdecken der Fremde liegt der Fokus darauf, Spaß zu haben und nicht, sich möglichst wenig touristenmäßig durchs Ausland zu bewegen. Die Erlebnisse, die man während eines Urlaubs mit Freunden sammelt, intensivieren sich mit jeder gemeinsam entdeckten Kuriosität – indem mehr Menschen mitsehen, mitfühlen, mitlachen.

 

Von der Bar um die Ecke und dem entschwundenen Bus

 

Alles war also einfach und glatt verlaufen. Bis zum letzten Abend. Zum Abschied wollten wir noch einmal in die Bar gehen, die erstaunlich schnell zu unserer Stammkneipe in London geworden war. Ums Eck von einem kleinen Theater hatten wir die schummrige Kneipe gefunden, die zur Happy Hour Getränke zu einem traumhaften Preis verschluderte. Nachdem wir ausgiebig auf unseren gelungenen Trip angestoßen hatten, wurden wir zu späterer Stunde höflich auf die Straße befördert – und schafften es irgendwie, den letzten Bus zu verpassen.

 

"Was nun?", fragten wir uns und sahen uns mit der gähnenden Leere der Straßen konfrontiert, die auch nach längerem Warten kein Taxi ausspucken wollte. Wir hatten also die Wahl: entweder unsinnig weiter herumstehen oder uns in Bewegung setzen. Und weil irgendjemand eine Entscheidung treffen musste, habe ich einfach in eine Richtung gedeutet und gesagt: "Da lang?"

 

Also sind wir losmarschiert, durch die Nacht hindurch, an geschlossenen Läden und Bars vorbei, durch immer ruhigere Wohngegenden. Unsere zunächst noch ausgelassene Post-Gin-Tonic-Stimmung hielt eine gute halbe Stunde, bis wir kontinuierlich leiser und nüchterner wurden. Unser begonnener Irrweg hätte uns bestimmt unsere Ferien-Freundschafts-Stimmung kosten können, wenn wir nicht trotzdem weiter zusammengehalten hätten. Leicht stichelnde, aber doch auch ermutigende Kommentare reihten sich ein in Versuche, dem Ganzen etwas Positives  abzugewinnen ("Diesen Teil von London hätten wir sonst bestimmt nie gesehen!").

 

Das Zuhause in der Ferne

 

Wir wanderten also die Straßen entlang, bis uns ein etwas dubios aussehendes Pärchen schließlich den Weg zur Nachtbushaltestelle erklärte. Vierzig Minuten später waren wir zurück in unserer Ferienbehausung.

 

Endlich im Bett kam mir dann der Gedanke: Durch die Straßen Londons zu irren, allein und ohne Freunde, wäre weit weniger witzig gewesen. Auf unserem abenteuerlichen Nachhauseweg in der Gruppe jedoch hätten wir gar nicht verloren gehen können. Denn im Gegensatz zu einem Alleinreisenden hatten wir uns ja schließlich dabei. Eine Ersatzfamilie, die sich gegenseitig ein ständiges Zuhause bietet.

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