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Warum ich nicht um Prince trauere

Foto: Reuters

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Prince ist gestorben. Die Polizei gab an, dass er tot im Aufzug seines Hauses lag. Ein unwürdiges Ende. Nach Lemmy Kilmister und David Bowie ist der 57-Jährige der dritte große Musiker, der seit Ende Dezember aufgehört hat zu atmen.

Bei Kilmister, Bowie und Prince war die weltweit zu beobachtende Reaktion die gleiche: Immer und überall war davon die Rede, eine Legende sei viel zu früh verstorben, ein die ganze Menschheit inspirierender Künstler von uns gegangen und die Musik-Welt werde nie wieder, wie sie war. Das mag alles sein. Kilmister, Bowie und Prince sind Legenden. Sie waren inspirierende Künstler und offensichtlich wird die Musik-Welt ohne sie anders sein – sie wird ja nicht mehr von den dreien beeinflusst. Aber: Das alles trifft mich dann doch nicht so richtig.

Ich bin Ende 20, die meisten meiner Kumpels sind es auch. Wenn ich mit ihnen rede, kann ich ebenfalls eine immer gleiche Reaktion beobachten. Sie, ich, wir sagen über das Sterben der drei: „Schon krass. Aber waren die jetzt wirklich sooo wichtig?“

Ein großer Rocker bin ich nicht, deswegen beschränkt sich mein Wissen über Motörhead darauf, dass Kilmisters Band mit ö geschrieben wird. Von Bowie kenne ich die großen Songs genau wie von Prince. Aber ich verbinde nichts mit ihnen. Kein „Purple Rain“ auf meinen selbstgebrannten CDs, keine Abschlussfeier zu „Heroes“. Ich muss zugeben, dass die Nachricht vom Tod aller drei mich nicht viel länger als den „Schon krass“-Moment beschäftigt hat. Ich will nicht sagen, diese Nachrichten wären mir egal gewesen. Aber ich habe mich von keinem der drei inspiriert, berührt oder erleuchtet gefühlt. Hätte man mich eine Woche vor ihrem Tod gefragt, was aus ihnen geworden ist, wann ihre letzte Platte rauskam und wie sie klang – ich hätte keine Ahnung gehabt. Meine Musik-Welt besteht nun auch ohne sie weiter.

Gibt es eigentlich Künstler, deren Tod mir vergleichsweise nahegehen würde?

Vielleicht bin ich, vielleicht sind meine Freunde und unsere Generation zu jung, um die Bedeutung von Leuten zu erkennen, die in den 70er und 80er Jahren große Stars waren. Wir waren nicht auf ihren Konzerten, haben nicht erlebt, wie sie sich entwickelt und mit ihrem Auftreten, ihren Songs und ihren Aussagen Zuhörer beeinflusst haben. Vielleicht geht es meinen Eltern da ganz anders. Aber ich frage mich, wie soll ich mit diesen Todesmeldungen umgehen, die ja offensichtlich viele viele Menschen weltweit zu Trauer verleiten? Muss man in den „Oh mein Gott, die Welt steht still“-Hype einstimmen, oder kann man ihn getrost ignorieren? Und: Gibt es eigentlich Künstler, deren Tod mir vergleichsweise nahegehen würde?

Die Musiker, von denen ich behaupten würde, sie haben meine Jugend beeinflusst, sind die Absoluten (dieser Zusatz war damals noch wichtig) Beginner, Freundeskreis, die Ärzte, die Toten Hosen und die Backstreet Boys (das wird man ja wohl noch zugeben dürfen). Die sind schon noch alle relevant, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ihr Ruhm so unendlich wirkt, wie er bei Lemmy Kilmister, David Bowie und Prince zu wirken scheint.

Auch wenn ich in der heutigen Popwelt herumsuche, finde ich da niemanden, von dem ich mir sicher sein kann, dass in 30 oder 40 Jahren, wenn er oder sie stirbt, in ähnlichen Tönen getrauert wird. Gibt es so jemanden überhaupt noch? Jemanden, der einen so großen und prägenden Einfluss hat, dass er den Status der gestorbenen Legenden erreicht?

Justin Bieber? Hat zwar schon eine ganze Weile Erfolg, beeinflusst seine Hörer aber höchstens darin, welche Tattoos sie sich stechen lassen oder wie sie sich die Haare schneiden. Kanye West? Sein Größenwahn färbt hoffentlich auf nicht allzu viele Menschen ab. Adele? Liebeskummer ist vergänglich, das wird auch sie irgendwann hoffentlich feststellen. Jay-Z? Beyonce? Maximo Park? MGMT? Justin Timberlake, Franz Ferdinand, Mumford & Sons? Alles krasse Nummern. Aber, man merkt es, wenn man diese Namen liest: im Vergleich zu Bowie und Co. Sind sie auf einer ganz anderen Ebene.

Heute steht keiner mehr monatelang auf Platz 1 der Charts und läuft ebenso lange im Radio auf Dauer-Repeat

Unser musikalischer Alltag heute ist kurzlebig. Klingt wie eine hohle Phrase, ist aber doch wahr, finde ich. Dank des Internets wird man ständig mit neuen Künstlern konfrontiert. Heute steht keiner mehr monatelang auf Platz 1 der Charts und läuft ebenso lange im Radio auf Dauer-Repeat. Niemand bleibt über ein Jahrzehnt (oder gleich mehrere) prägend und spannend, weil in dieser Zeitspanne schon siebzehn Mal die nächste neue Superband ausgerufen wurde. Und wieder mit einem zweiten, weniger spannenden Album egal wurde. 

Mit diversen Streaming-Diensten kann sich jeder seine Playlists jeden Tag aufs Neue unendlich oft anders zusammenstellen. Medien prägen den Musikgeschmack und dessen Entwicklung nicht mehr so krass wie früher. Damals zählten Plattenverkäufe, heute Facebook- und Instagram-Likes und YouTube-Clicks. Wer nicht geklickt wird, ist nach einem Song wieder raus aus dem Geschäft.

 

Vielleicht liegt es auch an der Verästelung der Musikstile, die wir heute haben. In den Siebzigern gab es Hip-Hop noch nicht. Es gab keinen Techno, keinen Indie-Electro-Pop, keine Unterarten von Dubstep oder Wasauchimmer-Step. Musikliebhaber sind heute Spezialisten. Sie kennen ihr Genre, vielleicht auch ihre zwei bis drei Genres. Aber sie können nicht alles kennen, und im Umkehrschluss kann vielleicht niemand mehr der Star oder die prägende Legende für alle Musikliebhaber und die Musik sein.

 

Prince, Kilmister und Bowie waren anders als die heutigen Künstler – das steht in jedem ihrer Nachrufe. Sie schrieben ihre Texte, machten ihre Melodien selbst. Sie waren Rebellen, die öffentlich für Kontroversen sorgten, keine weichgebügelten Kommerz-Musiker. Die wiederum seien ja eigentlich alle von Leuten wie Prince beeinflusst worden. Steht auch in jedem Nachruf. Wirklich aufgefallen wäre mir das nie.

 

Prince ist gestorben. Möge er in Frieden und Würde ruhen. 

 

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