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Warum der Kampf „gegen“ die AfD oft nichts bringt

Illustration: Katharina Bitzl, Foto: dpa

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Ich bin sauer. In drei Wochen wird die AfD in den Bundestag einziehen. Es ist unbeschreiblich, dass die fremdenfeindliche, rechtspopulistische, in Teilen neonazistische Partei der Höckes und Gaulands, wenn nicht noch ein Wunder geschieht, mehr als fünf Prozent der Stimmen bekommt und Abgeordnete in den Bundestag entsendet. Und dort weiter jene Politik betreibt, mit der sie bereits in 13 Landtagen aufgefallen ist - größtenteils durch Unsinn.  

Für die meisten ist die AfD wie ein Raumschiff

Das ist traurig. Aber was mich sauer macht, ist die Reaktion vieler, die sich als Gegner der AfD bezeichnen. Bis jetzt, kurz bevor es zumindest für die kommende Legislaturperiode zu spät ist, haben weite Teile derjenigen die Rechtspopulismus strikt ablehnen, keinen wirklich wirkungsvollen Umgang damit, geschweige denn eine Strategie dagegen entwickelt.

Egal ob das medienübergreifende Beklagen von Claus Strunz AfD-esken Fragen im Kanzlerduell, Shahak Shapiras jüngste Entlarvung von Facebook-Gruppen oder das generelle Freund-Feind-Denken, das die sozialen Netzwerke bestimmt – nichts davon wird helfen, aus sieben oder acht vielleicht doch noch 4,9 Prozent zu machen. Das liegt nicht daran, dass die AfD unverwundbar wäre. Sondern eher daran, dass an ihrem Vorwurf, ihre Gegner seien selbstgerecht und abgehoben, leider etwas dran ist. 

Denn immer noch behandeln die meisten die AfD wie ein Raumschiff, das bei uns gelandet ist und das man mit genug Kriegsgeheul in die Flucht schlägt. Und nicht wie etwas, das freie Bürger in Zusammenarbeit und mit der Unterstützung von Millionen Menschen auf die Beine gestellt haben. Nicht, weil sie Psychopathen sind. Sondern weil sie an etwas glauben. Was sind ihre Gründe? Warum wählen sie die? Allein diese Fragen werden immer noch zu selten gestellt. 

Es würde sehr helfen, mal mit AfDlern zu reden, nicht immer nur über sie. Dann würde man verstehen, warum vieles „für“ sie arbeitet, was wir „gegen“ sie tun. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder mit AfD-Anhängern und Funktionären gesprochen. Meistens eher mit jüngeren. Nicht mit verwirrten alten Rechtsradikalen, nicht mit Skinheads, nicht mit der ganz harten Sorte (die wählen sowieso eher die NPD). Sondern mit denen, die reden wollen und können. Und klar, das ist anstrengend und nervig und manchmal bringt es auch nichts, weil jemand, der ernsthaft alle Flüchtlinge als Vergewaltiger bezeichnet, auch keine Sekunde meiner Aufmerksamkeit verdient hat.

Was man aber von den anderen lernt: Die allermeisten von ihnen fühlen sich von uns falsch behandelt. Oft waren sie früher in der FDP oder in der CDU. Als sie merkten, dass ihre mitunter fremdenfeindlichen oder sehr konservativen Positionen nicht erwünscht waren, suchten sie sich eine Alternative. Wenn man sie jetzt, weil sie weniger Flüchtlinge aufnehmen wollen, gegen Gleichstellung sind oder die Wehrpflicht wieder einführen wollen, weil sie ihre Privilegien nicht aufgeben wollen und Angst vor dem Abstieg haben, als „Nazis“ bezeichnet oder pauschal als dumm und verloren aufgibt, was macht das dann wohl mit ihnen? Was geht in einem Menschen dann vor? Ganz im Ernst, hat sich das eigentlich irgend jemand mal gefragt? Oder ist das egal, weil sie nunmal rechts sind und damit Pech haben? Diese klare Ablehnung mag stark scheinen, aber was bewirkt sie letztlich? 

Es sind nunmal echte Menschen, die hinter ihren Stimmen stehen

Wenn der gute, kluge, engagierte Jan Böhmermann in seinem Video „Was die sehr gute Partei AfD schon alles für Deutschland geleistet hat" im November 2016 minutiös aufzählte, wie wenig die Partei auf die Reihe bekommt. Aber natürlich machte er sich nebenher auch kolossal lustig über alle ihre Wähler. Und wenn er dann drei Wochen vor der Wahl auf Twitter schreibt, es sei eine „unverzeihliche Schande,“ dass wir nicht verhindert hätten, dass „erstmals seit dem Krieg die Nazis wieder in einem deutschen Parlament“ sitzen, dann klingt das auf den ersten Blick engagiert und selbstkritisch.  Allein die Wortwahl „Nazis“ zeigt schon, dass wir noch nicht einmal in den Begriffen, mit denen wir das Problem behandeln, präzise und klug sind. Wir trommeln uns damit ein wenig verbal auf die Brust, aber bringt es was?

Wenn der Satiriker Shahak Shapira und „Die Partei“ AfD-Facebook-Gruppen kapern und deren Bot-Strategie entlarven, dann ist das eine sehr lustige, investigative Aktion. „Von nun an werden Sie ausschließlich von echten Menschen verarscht“, sagt er in dem Video mit dem Titel „Die Machtübernahme“. Ja, ein Coup. Aber glaubt wirklich jemand, so angesprochen würde auch nur ein frustrierter Arbeitsloser, ein Fremdenfeind, ein Homophober weniger die AfD wählen? Es sind nunmal echte Menschen, keine Bots, die hinter ihren Stimmen stehen. Und die erklären sich sowieso ständig zu Opfern, wann immer sie kritisiert werden. Der Mythos von der vermeintlich bevormundenden Linken, die sie mundtot machen will, eint sie und macht sie stärker. Was bewirkt dann eine „Machtübernahme“?

Wenn man sie „Nazis“ nennt – schauen sie dann betreten zu Boden und gehen die Tierschutzpartei wählen? 

 

So ehrlich muss man sein: Der Großteil der Aktionen und Stimmen „gegen die AfD“ sind keine Aktionen gegen die AfD im Sinne von: um sie politisch zu schwächen. Sondern um die Aktivisten und ihr Publikum klar gegen die Partei zu positionieren. Das ist schon gut so. Es braucht diese Abgrenzung. Wir müssen immer wieder zeigen, wie sehr wir deren Gedankengut verabscheuen. Eine Normalisierung darf nicht stattfinden. Und wir müssen zeigen, dass wir den besseren Humor haben. Nicht zuletzt darf, soll und muss man Witze über die machen, die keinen Spaß verstehen. Das ist unsere Lebensweise, und wir lassen uns davon keinen Zentimeter nehmen.

 

Aber wenn wir wirklich daran interessiert sind, dass diese Partei am 24. September weniger als fünf Prozent wählen, dann sind alle diese Aktionen nicht hilfreich. Im Gegenteil: Die Rechtsextremen bestätigen sie in ihrem Hass. Die Funktionäre werden angespornt, härter zu kämpfen. Und was ist mit den Unentschlossenen? Den sogenannten Protestwählern, den Nichtwählern, die sich von der Politik abgekehrt haben, aber vielleicht mit der AfD sympathisieren, weil sie irgendeine Veränderung wollen? Wenn man sie „Nazis“ nennt, sie bloßstellt – schauen sie dann betreten zu Boden und gehen die Tierschutzpartei wählen? Oder fühlen sie sich mal wieder von den moralisch Bessergestellten beleidigt, abgeurteilt, missverstanden? Und wen wählen sie dann? 

 

Der politische Diskurs der letzten zwei Jahre in diesem Land muss jedem Nachwuchs-Rechtspopulisten als beste Schule dienen. Unsere schlauesten, mutigsten Köpfe scheitern mal mehr, mal weniger unterhaltsam an einer Dilettanten-Truppe und ihren verunsicherten Wählern. Und beschweren sich dabei lauthals darüber, dass nicht endlich mal jemand mit dem moralischen Besen gekommen und diese unverbesserlichen Rechten zurück in das Raumschiff gekehrt hat, aus dem sie gepurzelt sind. 

 

Es gäbe so viel mehr zu versuchen, ganz konkret, um die 4,9 Prozent zu schaffen.

 

Jan Böhmermann hat kürzlich bei der Konferenz „z2x“ sehr klug darüber gesprochen, dass er „Konsens for no reason“ ablehnt. Dass er Kontroversen will, weil ohne sie nichts besser wird. Und dass er es als Satiriker als seine Aufgabe ansieht, eine „Zumutung“ zu sein. Den Konsens, dass die AfD eine Bande von „Nazis" sind und ihre Wähler arme Irre, denen man nur mal ordentlich auf die Finger hauen muss, damit sie zur Besinnung kommen, und die ansonsten in die Ecke gestellt gehören, den könnte man spätestens jetzt brechen.

 

Und die größte Zumutung wären Jan Böhmermann und all die wirkmächtigen AfD-Gegner, wenn sie sich etwas anderes einfallen lassen würden als die jahrelange Häme oder, abwechselnd, das Beklagen, dass die AfD trotz Häme noch da ist. Hat bisher nicht so gut funktioniert. Wird in diesen letzten Tagen vor der Wahl nicht mehr funktionieren. Ist zwar legitim. Und ihr Job. Aber es gäbe so viel mehr zu versuchen, ganz konkret, um die 4,9 Prozent zu schaffen.

 

Nur drei Gedanken: Es gibt sehr viele sporadische Nichtwähler. Die entscheiden relativ spontan, ob und was sie wählen. Man kann immer wieder versuchen, ihnen last minute zu verklickern, dass ihre Stimme bei der AfD verschenkt ist. Zweitens: Je höher die Wahlbeteiligung insgesamt, desto weniger Prozent für die AfD. Jeder, der doch noch wählt, hilft. Drittens: Ehrliche Wahlempfehlungen. Wer weniger Flüchtlinge will, ist bei der CDU momentan wunderbar aufgehoben. Wer eine andere Russlandpolitik will, bei der Linken. Wer eine unsympathische Kleinpartei wählen will, die von unten nach oben verteilt, hat die FDP. Die AfD hat auch so viele Wähler, weil die anderen Parteien diese Leute vernachlässigen, obwohl sie eigentlich deren Politik machen. 

 

Das macht natürlich alles weniger Spaß als der sonstige Kram. Aber vielleicht einen Unterschied. Es sind noch drei Wochen. Da geht noch alles. Aber so nicht.

 

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