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"Rebellion ist rechts!"

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Als er auf die Bühne geht, sieht Sven Tritschler sehr glücklich aus. Vor ihm sitzen 600 Besucher in Saal 1 der Düsseldorfer Messe. In der ersten Reihe AfD-Chefin Frauke Petry und ihr Lebensgefährte, der AfD-Europaabgeordnete Marcus Pretzell. Das Königspaar der AfD. Daneben, als Stargast, Heinz-Christian Strache, Vorsitzender der österreichischen FPÖ. Einer der erfolgreichsten rechtspopulistischen Politiker Europas.

Tritschler, dunkler Anzug mit blauer Krawatte, stellt sich ans Rednerpult. Über seinem massigen Körper schwebt ein Gesicht wie ein freundlicher Mond. „Die Altparteien einschließlich des Oberbürgermeisters“, beginnt er, „stehen vor der Tür und heißen uns herzlich willkommen!“ Gelächter. Diese rhetorische Mischung aus Außenseitertum und Überheblichkeit, die lieben sie. Sie ist der Soundtrack der AfD, einer Partei unter politischem Sperrfeuer.

Denn draußen, da protestieren die Antifa, die SPD, die Grünen und der ganze Rest. Sogar zwei AfD-kritische Karnevalswagen wurden aufgefahren. Und drinnen, das ist wichtig, fühlt man sich davon zu gleichen Teilen geadelt und drangsaliert. Dabei trifft sich hier, rein äußerlich, die Mitte der Gesellschaft: weiß, deutsch, ordentlich. Studenten in Steppjacken, viele Krawatten und Fliegen, überwiegend Männer. So wie laut einer Erhebung 72 Prozent der AfD-Wähler. Nur wenige Ehefrauen scheinen mitgekommen zu sein. Obwohl Tritschlers Junge Alternative das alles organisiert, liegt der Altersdurchschnitt eher bei 50. Wutbürger? Rechtsextreme? Freaks? Fehlanzeige. Jedes Mario-Barth-Publikum sieht gefährlicher aus.

„Und jetzt kommt das Beste,“ sagt Tritschler, „Die Messe wird sämtliche Einnahmen dieser Veranstaltung an notleidende Flüchtlinge spenden.“ Lauter Applaus. Und noch lauteres Gelächter. Das klingt wie Hohn und Hass, Trotz und Triumph zugleich.

Die AfD ist in Umfragen und Medienpräsenz so stark wie noch nie. Ihre Jugendorganisation namens „Junge Alternative“ (JA) hilft dabei. Im Wahlkampf. Auf Facebook. Und sichert so zum Beispiel in Sachsen-Anhalt an die 30 Prozent der Stimmen der Unter-30-Jährigen. Geführt wird die JA von Sven Tritschler, 31 Jahre alt, abgebrochenes Jura-Studium, Mitarbeiter der AfD-Fraktion im Europaparlament. Und schwul. Man hat das Gefühl, das hervorheben zu müssen, als lege man damit einen unauflöslichen Widerspruch offen. Geht das denn? Ein homosexueller AfD-Funktionär? Klischees auf allen Seiten. Dabei geht das selbstverständlich. Wie so vieles bei den Rechten inzwischen geht, was nicht in alte Bilder passen will. Deshalb sind sie schwerer greifbar als früher. Vielleicht auch gefährlicher. Und deshalb muss man Menschen wie Tritschler verstehen, wenn man die neue Rechte verstehen will.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"Merkel muss weg!" rufen sie

Tritschler kündigt jetzt in Düsseldorf die Redner an: „Leute, die die Zukunft unseres Kontinents maßgeblich beeinflussen werden, und zwar zum besseren.“ Er meint Petry und Strache und Marcus Pretzell, für den er in Brüssel arbeitet. „Als verbaler Dampfhammer der AfD ist seine Waffe eher der Säbel als das Florett“, sagt Tritschler. Er meint das anerkennend. „Er hat vier Kinder und ist frisch verliebt, in eine tolle Frau, ich kenne sie persönlich. Sein Politikstil lässt sich am besten mit Franz Josef Strauß beschreiben: Everybody´s darling is everbody´s depp.“

Pretzell entert die Bühne, nicht seitlich über die Treppe außen, sondern frontal, mit einem zackigen Sprung. Dann spricht er über ein Europa, in dem Völker für sich gleichberechtigt nebeneinander leben, statt sich zu vermischen. Das hört man gerne hier. Aber erst Ehrengast HC Strache reißt die Leute mit frontalen Attacken auf die Eliten von den Sitzen.

„Sind Ihre Regierenden bösartig oder verrückt?“ fragt er in den Saal.

„Beides“, ruft einer zurück.

„Psychopathen!“, ruft ein älterer Herr in den wilden Applaus. 

Ein Ruf kommt auf, Hunderte stimmen ein: „Merkel muss weg!“

„Das ist auch mein Wunsch!“ antwortet Strache dröhnend.

Die Menge tobt. In der ersten Reihe klatschen Petry und Pretzell. Neben ihnen schmunzelt Sven Tritschler. Doch dann will der ältere Herr, laut Anstecker ein Vertreter des Verschwörungstheoretiker-Magazins „Compact“, ein Spruchband entrollen. Sven Tritschler ist sofort bei ihm. Eine Hand auf seiner Schulter maßregelt er ihn mit deutlichen Worten. Das Publikum fängt sich, setzt sich wieder. Tritschler hat hier alles unter Kontrolle. Bis das letzte Selfie der Fans mit Petry und Pretzell gemacht ist. Und alle JAler wissen, wie der Abend weitergeht.

Denn nach der Politik kommt der Durst. Also trifft sich die JA zur „exklusiven After-Show Party“ im Brauhaus „Zum Schiffchen“ in der Düsseldorfer Altstadt. Der Ort wird nur mündlich weitergegeben, die Tische sind auf Privatnamen reserviert, damit kein „unerwünschter Besuch“ von Links kommt. Um neun Uhr sitzen 40 junge Männer in Hemden und Sakkos an langen Holztischen vor Bier, Schnitzeln, Bratkartoffeln. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen streichen draußen die Autonomen vor den dicken Kachelfenstern herum wie böse Geister. Schauen herein. Filmen mit ihren Handys. Bis die Polizei sie vertreibt. „Die schon wieder“, stöhnen die JAler. Man gibt sich abgeklärt. Aber manch Jüngerer hätte schon Lust, rauszugehen. Rote Wangen, blitzende Augen, Fäuste auf dem Tisch: „Warum immer gegen uns?“. Es klingt nicht wie eine rhetorische Frage. Doch die Chefs bremsen. „Wir können nur verlieren“, sagt Tritschler über solche Spielchen.

Derweil veröffentlichen die Autonomen die private Adresse seines Co-Vorsitzenden Markus Frohnmaiers in einer Facebook-Gruppe namens „AfDerlecken“, nicht zum ersten Mal. Frohnmaier rechnet mit Farbbeuteln, zerstochenen Reifen. „Ich kann mir jetzt eine neue Wohnung suchen. Aber uns nennen sie Faschisten,“ beklagt er sich. „Dabei unterdrücken die doch eine demokratische Partei wie uns.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ist die Junge Alternative die bessere AfD?

 

Markus Frohnmaier ist 24 Jahre alt,  1,70 groß, raucht Zigarillo und schießt schwäbelnde Sätze raus wie diesen: „Wir müssen Politik machen, wie die Bild schreibt. Einfach. Verständlich. Für die Leute.“ Oder: „Die Junge Alternative ist die bessere AfD.“ Wenn Tritschler der Stratege ist, ist Frohnmaier der Cowboy. Ein rauchender Colt auf zwei Beinen. Mit einem Jahr wurde er aus Rumänien adoptiert. Als Außenseiter fühlt er sich auch im Jura-Studium, weil er von der Hauptschule kommt, sich hochgearbeitet hat. Ohne Akademiker-Hintergrund, „ohne Zucker im Arsch“. Frohnmaier hält den umstrittenen AfD-Lautsprecher Björn Höcke für einen „coolen, netten Typen“, beinahe ein Vorbild, mit dem er gerne auftritt. Nur 250 Stimmen fehlten ihm letztlich, um für die AfD in den baden-württembergischen Landtag einzuziehen.

 

Frohnmaier hatte es nicht immer leicht, Tritschler hatte es nicht immer leicht. Dessen Mutter bekommt ihn mit 18, beide Eltern gehen arbeiten. Sie lassen sich scheiden, als Tritschler neun ist. Der neue Freund der Mutter betreibt eine Kneipe, die in Waldkirch, der Kleinstadt, aus der er stammt, als rechts verschrien ist. „Das waren so Bodybuilder-Typen“, wiegelt Tritschler ab. Er sitzt im Jugendgemeinderat, der damalige Bürgermeister erinnert sich, dass „der schon rechts war, damals“.  

Nach dem Abitur auf einem Wirtschaftsgymnasium geht Tritschler zum Bund, dann nach Tübingen, Jura studieren. Viele der Lebenswege hier gehen ähnlich: Abitur, dienen, dann Jura oder BWL. Es sind keine Spinner, die sich jetzt im Schiffchen heiß reden. Vielleicht eher die Nerds, die zu schlau sind für dumpfe Burschenschaftlichkeit, auch wenn es Überschneidungen gibt, manche später noch im Verbindungs-Jargon „aufs Haus zur Kneipe“ ziehen. In der JA können sie gemeinsam etwas bewegen, hier können sie Politik machen, zur Not halt wie die Bild. Dabei sind sie alle gut erzogen, geben jedem artig die Hand, drücken sich gewählt aus. „Bei der AfD gibt es auch schlichtere Typen. Wir sind die wahre Akademikertruppe. Wir haben mehr Qualität“, sagt Frohnmaier. „Politisch schlagkräftiger, weil kompromissbereiter“, nennt Marcus Pretzell sie respektvoll.

 

Lange lagen Tritschler (ex-FDP) und Frohnmaier (ex-Junge Union) über Kreuz, als Köpfe zweier verfeindeter Lager. Dann trafen sie sich zum Kochen, führten "richtige Koalitionsgespräche", rauften sich zusammen. „Heute sind wir Freunde“, sagt „Frontmaier“, wie ihn die Kollegen nennen. Als in Donezk 2014 schon die Granaten einschlugen, fuhr er auf eigene Faust hin, „schauen, wie es eigentlich den Menschen dort geht.“ Er reist gerne durch Osteuropa. Kontakte halten. Ein Netzwerk aufbauen. „Die anderen Jugendorganisationen haben Angst vor uns, weil wir noch schocken können, wo ihre linken Inhalte längst Mainstream sind.“ Sagt Frohnmaier. „Die haben doch alle einen Stock im Arsch! Die wissen, dass sie keine eigene Meinung haben dürfen, wenn sie Karriere machen wollen.“

 

Zusammen haben er und Tritschler schnell erreicht, was die Mutterpartei lange nicht hatte: Einigkeit. Deswegen können sie sich auch Anfängerfehler erlauben, wie neulich, als Frohnmaier in einem Beitrag des NDR-Satiremagazins „extradrei“ eine extrem schlechte Figur machte, sich zu Aussagen verstieg wie: „Das sind keine Flüchtlinge, das sind Wanderer.“ Niemand hatte Frohnmaier gesagt, dass der Beitrag Satire wird, behauptet er. „Die Journalistin meinte, sie wolle ein Porträt über mich machen“. Wieder mal war er von Journalisten hopsgenommen worden. „Die denken jetzt wahrscheinlich: Dem rechten Wichser haben wir’s gegeben“. Damit kann er leben, die Partei auch. Die Jungs nennen ihn jetzt den „Wanderer“, zusammen lachen sie über eine weitere Demütigung. Etwas anderes erwartet hier niemand mehr von „den Medien“.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Links ist der Feind

Von der Antifa verfolgt, von den Medien verlacht, und neulich auch noch die Torte ins Gesicht der AfD-Politikerin Beatrix von Storch –  fühlt man sich da als Opfer?

 

„Nein“, sagt Tritschler, „ich will nicht wegen jedem abgerissenen Plakat rumjammern. Aber der Druck nimmt spürbar zu. In Göttingen hatten wir mal 40 Polizisten um unseren Stand, sonst wäre es übel ausgegangen. Und wir haben wirklich Probleme, Lokale zu finden. Neulich sagte mir ein Wirt, ein Jugoslawe: Macht euch keine Sorgen, ich habe den Bürgerkrieg überstanden, ich werde mit ein paar Spinnern fertig. Einen Tag später sagte er uns doch ab. Man habe ihn bedroht, man werde sein Haus und seine Kinder anzünden.“

 

Die Feindseligkeit, die ihnen entgegenschlägt, ist das große Thema. Je später der Abend, desto größer wird es. Jedes Gespräch landet im dritten Satz bei: „Aber die anderen!“ Dass sie als Faschisten, Rassisten, Sexisten bezeichnet werden, empört sie. „Ich habe noch nie jemanden so beschimpft“, sagt Frohnmaier. „Aber SPDler nennen mich in einem Atemzug mit Goebbels.“ Keiner von ihnen versteht, wie andere darauf kommen. Sagen sie. Für sie sei das alles ganz normale Politik. Sagen sie auch. Und dann sagen sie, dass sie HC Strache, der Moslems pauschal kriminalisiert und eben noch die bürgerlichen Gegendemonstranten als „linksextremistische Chaoten“ bezeichnet hatte, für dessen „gelungene Inszenierung“ bewundern. Es scheinen allen, rechts wie links, die Worte zu fehlen, um politische Feinde zu betiteln, ohne einander pauschal zu verdammen. Eine Unsicherheit, die letztlich in eine Verrohung mündet. Die jungen Männer hier sind Täter und Opfer zugleich. Beleidigen und werden beleidigt. Und ziehen daraus Energie.

 

„Mich spornt der Widerstand an“, sagt einer. Frohnmaier ist begeistert: „Wer heute rebellieren will, ist rechts. Wir sind die Anti-68er, die Sex Pistols unserer Generation.“ Als Schwabe hat er die „Freiburger Bionade-Bourgeoisie“ als Feinde ausgemacht. Alle Eliten, die Lehrer, Journalisten, Politiker seien heute links. „Die halten sich für was Besseres und wollen uns vorschreiben, wie man zu leben hat.“ So redet fast jeder, der hier im Schiffchen sein Bier trinkt. Alles, was links oder grün scheint, jeder, der moralisch argumentiert, gehört zum Feind. Jedes „man sollte besser“ wird nicht als Vorschlag, sondern als aggressiver Zwang aufgefasst. Und mit verbaler Gegengewalt überkompensiert.

 

Dass sie selbst ebenso Werte wie Familie oder Tradition schätzen, und diese zu Politik machen wollen, verstehen sie nicht. „Wir wollen ja nur den Status Quo an Freiheit bewahren“, sagt Frohnmaier. Rauchen in Gaststätten, Auto fahren, Fleisch essen. Also alles, was „die Grünen“ verboten haben oder angeblich verbieten wollen. Dazu glauben die meisten hier an einen möglichst freien Markt, auf dem sie – mit ihrer guten Ausbildung – zurechtkommen. Mit „Status Quo“ meinen sie also meistens das, was ihnen persönlich gut in den Kram passt. Die anderen sollen die Finger davon lassen.

"Nur Empörung funktioniert"

 

Sven Tritschler, immer einen Gang tiefer geschaltet, schaut über sein Bier Frohnmaier und den anderen beim Empören zu. Es war ein langer Tag, aber auch er hat noch Themen. Ihn widern „Berufsschwule“ wie der Grüne Volker Beck an. „Das muss man doch nicht immer so vor sich hertragen. Von dem fühle ich mich nicht vertreten.“ Vor fast zehn Jahren, nach der Bundeswehr, hat er sich geoutet. Viele Schwule hätten eher Probleme mit muslimischen Jugendlichen, die sie bedrohen, sagt Tritschler, als mit mangelnder deutscher Toleranz. Aber darüber rede niemand. Seine Sexualität sei weder Problem noch Thema. Im Alltag nicht, in der Partei nicht. Die AfD sei offener, als man denke. „Nur wenn Schwulsein als die einzig richtige Lebenseinstellung propagiert wird, wehren wir uns“, sagt Frohnmaier. Als Volker Beck einige Tage später wegen Drogenbesitz aus allen fraktionellen Ämtern zurücktritt, postet Tritschler eine Fotomontage auf Facebook und Twitter. Beck ist da mit einem kleinen Jungen am Sandkasten zu sehen. „Max geht nicht mit Volker mit“, steht darüber. Mit dieser völlig fehlplatzierten Pädophilie-Anspielung verteidigen die eloquenten Tritschlers und Frohnmaiers in den sozialen Netzwerken ihre „Meinungsfreiheit“.

 

„Die Leute klicken halt besser, wenn es eine zugespitzte Grafik ist“, sagt Tritschler. Er weiß, dass sie damit Grenzen überschreiten, „aber so ist Politik an sich nun mal. Wenn man nicht provoziert, wird man nicht gehört.“ Und ohne Facebook gäbe es die AfD nicht, sagt Tritschler. 

 

Beim nächsten Bier beschweren sich die beiden wieder: Dass Frohnmaier auf Veranstaltungen „differenzierte Positionen“ beispielsweise zur Migration vertrete, dass er durchaus eine deutsche Mitschuld am syrischen Bürgerkrieg und damit eine Pflicht zur Aufnahme der Flüchtlinge sehe, dass er deswegen eine Obergrenze für verfassungswidrig halte, dass er Wirtschaftsflüchtlinge verstehen könne, dass er manchmal mit einem syrischen Flüchtling auftritt, der vom „beschissenen Leben“ in den Lagern erzählt – all das kommt selten an. „Sachlich wird man nicht gehört“, folgert Frohnmaier. „Nur Empörung funktioniert.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein kaputter ethischer Kompass

 

So scheinen die JAler gefangen in der Ökonomie der Aufmerksamkeit. Sie wollen und müssen auffallen, um jeden Preis. Und stellen sich blind für die Wirkung ihrer Worte. Für den Hass, den sie anfachen. Eigentlich seien sie ganz anders, sagen sie. Aber sie kämen so selten dazu. „Erstmal müssen wir die Leute für uns gewinnen. Danach kann man immer noch erklären, was wir wirklich wollen,“ sagt Frohnmaier. Und Tritschler: „Ich kann keine Verantwortung übernehmen für die dummen Leute, die meine Zuspitzungen nicht einordnen können.“ Besser kann man Populismus nicht definieren.

 

Und weil der Mainstream ihnen das nicht durchgehen lässt, idealisieren die jungen Rechten ihr Außenseitertum zu einem kollektiven David-Komplex. Sie alle, die hier in einem gutbürgerlichen Gasthaus zusammensitzen, feiern sich als politische Underdogs, Märtyrer, Helden. Sie klingen dann, als hätten sie zu viel „Star Wars“ geschaut: Die übermächtige Bedrohung des Imperiums zwingt eine kleine Schar tapferer Rebellen zu Widerstand. Und wer ihnen länger zuhört, kann das Gefühl nicht abstellen, dass viele von ihnen, wie ihr Vorsitzender Tritschler, diese Position der Schwäche besser kennen, als ihnen lieb ist. Und jetzt etwas verändern wollen.

 

Denn: Man kann dieser rechten Jugend vieles vorwerfen, aber zweifellos haben sie politische Energie und wagen sich an die Themen, die eine Gesellschaft prägen. „Wir erreichen die Jugend, nicht obwohl, sondern weil wir die großen Fragen stellen,“ sagt Marcus Pretzell. Man könnte ihnen die große Klappe fast verzeihen. Wären da nicht Sätze wie: „Die Migranten werden in Deutschland den Bodensatz der Gesellschaft bilden“ (Tritschler). Wäre da nicht dieser verdammte blinde Fleck, dieser kaputte ethische Kompass, kurz: der Mangel an Empathie. Die sie durchaus können. Aber eben mehr für Deutsche als für andere. Eine entsprechende Politik, „die erst mal an die eigenen Leute denkt“, nennt Tritschler „nicht rechts, sondern nur guten Menschenverstand.“ Rassismus? Auf keinen Fall. „Es geht ja nicht um Rassen, sondern eher um Kulturen.“ Und: „Wenn ich vor einem Unrechtsregime geflohen wäre, würde ich mich hier besser benehmen.“

 

Wer immer weiter zuspitzt, muss irgendwann jemanden stechen. Aber das ist Tritschler, Frohnmaier und allen anderen hier egal. Sie trinken noch ein Bier, dann ist Aufbruchstimmung im Schiffchen. „Passt auf“, warnen sie einander. Doch alle kommen sicher heim in dieser Nacht. Die Antifa ist längst abgezogen. Als er sich auf den Weg macht, sieht Sven Tritschler sehr glücklich aus. Dieses Wochenende scheint ein voller Erfolg zu werden. Und bald sind endlich Wahlen.

 

Anmerkung: Einige Angaben zu den kurz nach der Recherche stattfindenden Landtagswahlen 2016 wurden entsprechen aktualisiert.

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