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Wir sprechen über Serien wie über Menschen

Illustration: Katharina Bitzl

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Achtung, Preisfrage:

Worauf bezieht sich diese Aussage: "Anfangs war’s ein bisschen langweilig, aber nach hinten raus wurde es richtig super und hätte ruhig noch länger gehen können"?

A: Auf die Geburtstagsparty eines Kommilitonen. B: Auf eine neue Serie. C: Auf ein erstes Date.

Lösung: Egal, denn passt auf alles!

Anlass für diese Preisfrage (zu gewinnen gibt es übrigens nichts, sorry…) ist eine aktuelle Netflix-Studie. In der wurde – wie schon 2015 – untersucht, ab welcher Folge Menschen bei Serien hängenbleiben und auch den Rest schauen. Dafür wurden die Daten von Netflix-Kunden in 35 Ländern ausgewertet, darunter zum Beispiel Argentinien, Australien, Deutschland, Südafrika, USA, Indien und Südkorea.

Als "Anfix-Folge" wurde diejenige definiert, ab der mindestens 70 Prozent aller Zuschauer die komplette erste Staffel beendet haben. Sehr oft war das die dritte Folge, zum Beispiel bei "The Get Down", "Love" oder "Narcos". Manchmal passiert es aber auch früher, wie bei "Stranger Things", da schauen die meisten ab Folge zwei weiter. Oder später – bei "Gilmore Girls" ist es erst Folge sieben. Die Studie analysiert auch, was es in den jeweiligen Folgen genau ist, das die Zuschauer bei der Stange hält: eine wichtige Befragung (in Folge vier von "Making a Murderer"), ein erster Kuss (in Folge sieben von "Gilmore Girls"), ein süßer Hund, der dazu kommt (in Folge vier von "Fuller House").

Was in der Studie allerdings nicht analysiert wurde: Wie wir darüber sprechen. Was wir sagen, wenn wir an einer Serie hängenbleiben, was, wenn wir sie abbrechen, und was, wenn wir eine Weile brauchen, um uns an sie zu gewöhnen. Und das, obwohl das so viel darüber sagt, welches Verhältnis wir zu Serien haben!

An der Preisfrage oben hat man’s ja schon gesehen: Eine Serie ist nicht bloß stures Glotzen, sie ist eine Situation, in die wir uns hineinbegeben, ein Ereignis, auf das wir uns freuen und an dem wir teilhaben wollen. An das wir darum bestimmte Erwartungen haben. Oder sie ist sogar wie ein neuer Mensch, der in unser Leben tritt. Wie wir über Serien sprechen, zeigt, wie sehr wir die Geschichten, die uns erzählt werden, als Freunde, als Begleiter, als etwas (oder jemanden), das (oder der) uns Gesellschaft leistet, verstehen. Und von beidem – Serien und Menschen kennenlernen – gibt es drei Kategorien:

Kategorie 1: "So super, mochte ich von Anfang an!"

Das sagen wir über eine Serie, die uns mit der ersten, zweiten oder dritten Folge kriegt, die uns zum Binge-Watching verführt, von der wir vor allen anderen schwärmen, und auf die wir uns morgens beim Aufstehen schon freuen, weil wir sie abends weiterschauen können. Oder wir meinen damit einen Menschen, dem wir sofort verfallen sind, von dem wir allen erzählen, auf den wir uns schon morgens beim Aufstehen freuen, weil wir ihn abends wiedersehen können.

Kategorie 2: "Anfangs war es ein bisschen komisch, aber dann wurde es toll!"

Das sagen wir über eine Serie, die ein bisschen Zeit braucht. Die vielleicht langsamer erzählt wird, sperriger ist. In der man sich erst mal zurechtfinden, an die Atmosphäre und ihren Rhythmus gewöhnen, und in Ruhe die Figuren kennenlernen muss. Man merkt bei dieser Serie, dass da etwas ist, was einem gefällt oder gefallen könnte, aber man weiß noch nicht so Recht, was genau. Man gibt ihr also etwas Zeit– und ab Folge drei, vier oder fünf ist es dann da: das Gefühl, etwas Gutes gefunden zu haben. Oder wir meinen damit einen Menschen, dem man auch etwas Zeit geben muss. Den man interessant findet, aber nicht sofort versteht, nicht direkt knackt, der vielleicht schüchtern ist und erst auftauen muss. Bis man merkt, dass er weniger spröde ist, als man anfangs dachte.  

Kategorie 3: "War irgendwie nicht so meins."

Sagen wir über eine Serie, die uns verliert. Weil ihre Art zu erzählen, ihre Stimmung, oder das, was sie in den Blick nimmt, nicht zu uns passt. Uns einfach nicht interessiert. Wir geben ihr eine Chance – aber wenn sich da nach drei, vier Folgen nicht langsam dieses Kribbeln einstellt, der Wunsch nach mehr, irgendein wohliges Gefühl im Bauch, dann lassen wir’s einfach. Oder wir meinen damit einen Menschen, mit dem es einfach nicht passt. Dessen Interessen zu anders sind, der über andere Witze lacht, mit dem man keine Gemeinsamkeiten findet. Und der einem kein wohliges Gefühl macht. Den man darum einfach irgendwann nicht mehr trifft. Und dann verläuft die Sache eben im Sande.

Klar, man kann jetzt sagen, dass das irgendwie ein bisschen deprimierend klingt. Wenn man Serien nicht als tolle neue Situationen versteht, sondern als bloßes Konsumgut (was die meisten Menschen sicher tun), dann wirkt dieser Vergleich so, als seien Menschen füreinander auch genau das: Konsumgüter. Als beschäftige man sich eine Staffel – also eine Beziehung – lang mit einem von ihnen und wenn er für einen auserzählt ist, geht man einfach zum nächsten über. Wie es der – hier besonders passende! – Begriff „serielle Monogamie“ ja nahelegt.

Aber vielleicht kann man es auch genau andersherum sehen: Wie die erste Folge einer neuen Serie ist jedes Kennenlernen, jedes erste Date, jedes Treffen mit einem neuen Menschen der Beginn einer Geschichte. Manchmal beginnt sie langsam und vorsichtig und manchmal rast sie sofort los und überschlägt sich. Manchmal finden wir sie bloß okay und manchmal macht sie uns ganz verrückt vor Spannung, sodass wir wollen, dass sie schnell weitererzählt wird. Manchmal brechen wir sie ab und manchmal bleiben wir dran. Und um alle die zu trösten, die den Glauben an die große Liebe aufrechterhalten wollen: Manchmal werden solche Geschichten ja sogar für immer weiter erzählt. Ist bei Serien nämlich auch so – die „Simpsons“ zum Beispiel gibt es schon seit 27 Jahren.

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