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So funktioniert die unkomplizierteste Party der Welt

Unsere Autorin feiert gern mal alleine eine Party. Ihr geht es um Genuss, nicht um sinnloses Saufen.
Illustration: Federico Delfrati

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Die Alkolumne handelt vom Trinken. Von den schönen und schlechten Seiten dieses Zeitvertreibs und den kleinen Beobachtungen und Phänomenen an der Bar. Aber egal, worum es grade geht, liebe Leser*innen – bitte immer dran denken: Ist ungesund und kann gefährlich sein, dieser Alkohol.

Ich trinke gern allein. Aber weil Alkoholiker*innen auch gern allein trinken, klingt das immer gleich verdächtig. Man sollte das, haha, nüchterner sehen: Wer allein trinkt, trinkt nicht automatisch heimlich, nicht automatisch jeden Tag und nicht automatisch gleich bis ins Delirium. Sondern erst einmal nur allein. Wahrscheinlich ist es vor allem Typ-Sache. Ich koche auch gern allein, ich gehe gern allein ins Restaurant, ich gehe gern allein spazieren, ins Kino, auf Reisen. Ich wohne gern allein. Man hat dabei einfach so schön seine Ruhe. 

Man kann auf die verschiedensten Weisen allein trinken, alle Varianten sind von ganz spezifischer Qualität: Allein trinken in der Hotelbar. Allein trinken beim Kochen. Allein trinken beim Essen, zuhause oder auswärts, allein trinken im Zug oder Flugzeug oder gar im Nachtzug, sehr romantisch! Auch romantisch: Ganz allein auf der Straße ein Bier aus dem, sagen wir: 7 Eleven in Tokyo trinken. Oder einen Negroni in einer schönen Bar in Mailand. Alles sehr, sehr romantisch, aber eben auf ganz unterschiedliche Art. Ich liebe jede davon! Immer! Selbst, wenn sie einen traurigen Anlass hat. Sagen wir, es hat einen jemand in einer Bar sitzengelassen. Dann trotzdem allein weiter trinken hat eine bezaubernde Melancholie, in der man sich voll und ganz versenken kann. 

Alkohol aber ist natürlich für das Leben in Gesellschaft gedacht. Man sagt, es sei „ein soziales Schmiermittel“. Man wird davon redselig und entspannt. Umso lustiger ist es deshalb, ihn allein zu trinken. Man wird ja auch nach innen redselig. Er wird dann zum Schmiermittel zu sich selbst, zur Bewusstseinserweiterung. 

Das Schöne ist: Man hat beim Alleintrinken nur die positiven Effekte des Rausches. Die Stimmung steigt, die Ängste verschwinden, aber man geht niemandem mit philosophisch-emotionalen Ausschweifungen, taktlosen Kommentaren oder intimen Geständnissen auf den Sack. Höchstens dem eigenen Notizbuch oder irgendwelchen Word-Dokumenten. Sowas lässt sich am nächsten Tag löschen. Unangebrachtes Verhalten wildfremden Menschen gegenüber nicht.

Es gibt deshalb natürlich ein paar Regeln beim Alleinetrinken, damit es ideal gelingt. Keine Mails schreiben, keine Leute anrufen, generell niemanden kontaktieren. Gut, das gilt auch für das Trinken in Gesellschaft. Aber jemand, der allein trinkt und dann wirre Nachrichten verschickt oder seltsame Anrufe tätigt, wird besonders schnell als psychischer Problemfall verkannt.

Wenn es ein Schlafanzug ist, muss es ein besonders schöner sein, der zum Weinglas gut aussieht

Wenn ich zuhause allein trinke, fängt es mit dem Einfüllen des Getränks an. Nehmen wir einen schönen Wein. Ich mache es ganz rituell, ich überlege mir, wo er herkommt, stelle mir das Jahr vor, aus dem er kommt, was da los war, ich rieche am Korken, ich fülle ihn in ein Glas, ich koste ihn, und dann genieße ich, wie er in meine Venen strömt. In Gesellschaft kann man sich auf ein schönes Getränk nicht halb so gut konzentrieren wie allein, da geschieht der Rausch immer nebenbei. Ich lege ich mich zum Beispiel auf meinen Teppich und gucke an die Wand und freue mich. Musik ist natürlich gut dabei. Das Glücksgefühl setzt eigentlich sofort ein. Manchmal ist es ein echtes, pures Glücksgefühl, Dur, manchmal ein sehr verzweifeltes, romantisches, Moll. Zum Heulen schön.

Und dann beginnt ein kleines, schönes Fest, auf dem nur eine einzige Person anwesend ist. Aber dafür ist sie sehr willkommen. Das Schönste an diesem Fest ist, dass es so unkompliziert ist. Man muss dafür nirgends hin. Man muss sich, wenn man zwischendurch keine Lust mehr hat, überhaupt nicht festlich verhalten. Man muss keine Konversation pflegen, man muss sich nicht anständig hinsetzen, man kann, wenn man will, einfach zwischendurch duschen gehen und im Bademantel weiterfeiern, man kann das Putzen anfangen, den Kleiderschrank aufräumen, sich einmal durchs komplette Bücherregal blättern oder auch nur durch belanglose Werbeheftchen. Man kann sich alte Konzertaufnahmen auf Youtube ansehen oder einzelne Filmszenen und die ganze Zeit über völlig hingerissen sein. Man kann im Schlafanzug auf dieses Fest kommen, oder im Abendkleid.

Es kommt eben darauf an, sich den Alkohol zum Untertan zu machen und nicht andersherum

Wenn es ein Schlafanzug ist, muss es ein besonders schöner sein, der zum Weinglas gut aussieht.  Man kann auch mehrere Outfits tragen auf diesem Fest. Man kann sich ja zwischendurch so oft umziehen, wie man will. Man kann Sachen anziehen, die man nie anziehen würde, und so tun, als wäre man jemand anders. Man kann das gesamte Repertoire an Make-up einmal durchprobieren und sich selbst dabei die erstaunlichsten Dinge erzählen. 

Die Zeit auf diesem Fest beginnt, sich aufs Angenehmste zu dehnen. Es tritt ein Alice im Wunderland-Gefühl ein: „Dieser Schacht war nun entweder wirklich überaus tief, oder sie fiel ihn sehr langsam hinunter, denn sie konnte sich während des Sturzes in aller Ruhe umsehen und überlegen, was mit ihr jetzt wohl geschehen sollte.“

Allein trinken ist eine sehr spirituelle Erfahrung. Andere beten oder meditieren, ich trinke allein. Eine teufelsnahe Religion, sehr antichristlich, überhaupt nicht im Sinne der Askese. Die Gefahr zur Abhängigkeit ist groß, und Abhängigkeiten sind nicht schön. Aber es kommt eben darauf an, sich den Alkohol zum Untertan zu machen und nicht andersherum. Es geht darum, bewusst zu trinken. Sich nicht die Lichter auszugießen, sondern sie anzuschalten. Man muss das Getränk beim Alleintrinken als Elixier sehen, als Genussmittel, nicht als Schmerzmittel.

Wobei das natürlich verlogen ist. Alkohol ist immer auch ein bisschen Schmerzmittel, dazu muss man schon stehen, wenn man trinkt.

Es gilt halt, was die BzgA sagt: Kenn dein Limit. 

Hinweis: Dieser Text wurde erstmals am 9. Juni 2017 veröffentlicht und am 3. Februar 2021 nochmals publiziert. 

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