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An Heiligabend mit Freunden saufen gehen oder daheimbleiben?

Illustration: Daniela Rudolf

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Die (Vor-)Weihnachtszeit ist voll von kleinen Ritualen und großen Traditionen. An ihnen scheiden sich jährlich die Geister: Die einen hassen den Trubel rund um das Fest, die anderen genießen nichts mehr. Folge acht der großen Streitfragen rund um Weihnachten: nach der Bescherung noch Party machen oder lieber unterm Baum sitzenbleiben?

Für Krsto ist der Heilige Abend im Suff der perfekte Ausgleich zum Familienstress:

Weihnachten ist Saufzeit. Ich verbringe die Feiertage in einer kleinen schwäbischen Großstadt, in der es üblich ist, sich nicht nur nach dem Fest mit der Familie einen hinter die Binde zu kippen, sondern auch davor. Das eingeschlafene Städtchen und seine Bewohner sind das gesamte Jahr über nicht so voll wie am heiligen Morgen. Oder wie ein Berliner es mal ausdrückte: „Bei der guten Parkplatzsituation im Prenzlauer Berg muss in Schwaben die Hölle los sein.“  

Die verlorenen Töchter und Söhne kehren in die alte Heimat zurück und versuchen aus ihren prekären Jobs und ihrem Rumgetindere eine Geschichte zu kreieren, die für ihre Eltern irgendwie bürgerlich und erstrebenswert klingt. 

Man freut sich wochenlang auf das Wiedersehen mit der Familie und stellt fest, dass man eigentlich nichts miteinander zu tun. Und dann ist da noch der AfD-Onkel, der über „die Asylanten“ und ihre teuren Smartphones schimpft. Darauf muss man natürlich was entgegnen und schon fliegt Omas selbstgemachter Kartoffelbrei durch die Luft. Die Vorfreude auf die Familie endet alle Jahre wieder in völliger Ernüchterung, die nüchtern nicht auszuhalten ist. 

Sehr viel angenehmer ist da schon das Zusammentreffen mit Freunden. Nach dem Familienfest. Hier wird die Vorfreude nicht enttäuscht und man fühlt sich wieder angekommen. Wenigstens für einen Abend. Ein weiteres Jahr ist vergangen, man trinkt gemeinsam und freut sich, dass alles noch so ist wie damals. 

Es ist ein Abend der Regression und der Suff hilft dabei, sich wie der dumme Teenager zu benehmen, der man schon seit langem nicht mehr ist. Die Wahrheit ist nämlich, dass wir erwachsen geworden sind, aber diesen einen Abend müssen und wollen wir es nicht sein. 

Bevor wir uns mit der Steuererklärung für das kommende Jahr befassen, nehmen wir uns in den Arm, kippen den Wodka leer und tun so, als sei das Leben noch so unbeschwert wie damals. Wer weiß schon, ob und wann man sich wiedersieht und wer nächstes Jahr nicht mehr da ist, weil man den Heiligen Abend bei den Schwiegereltern in einer anderen Stadt verbringt oder keinen Babysitter findet. 

Und der Suff am heiligen Abend hat noch einen weiteren Vorteil: Die darauffolgenden Tage ist das verkaterte Gehirn voll und ganz damit beschäftigt, den Vitamin- und Mineralienhaushalt zu koordinieren, wodurch familiäre Diskrepanzen leichter zu ertragen sind. 

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Max findet, dass Feiern gehen am Heiligabend eine ziemlich blöde Anti-Haltung ist:

Ich finde Traditionen nicht grundsätzlich toll. Lederhosen erinnern mich immer an vollgemachte Windeln und sonntags schlafe ich lieber aus, als in die Kirche zu gehen. 

Sobald aber jemand das magische Wort „Weihnachten“ in den Mund nimmt, schwebe ich im lichterkettenüberfluteten Traditionshimmel. Denn Weihnachten umfasst ein herzerwärmender Grundgedanke: Es ist das private Fest unserer engsten Freunde und Verwandten. Das Zuhause-Bleiben an Heiligabend ist dabei die Krönung dieser Vorstellung. Nichts symbolisiert mehr Liebe und Verbundenheit als das gemeinsame Essen, das gemeinsame Schwelgen in Vergangenem, das gemeinsame Liedersingen und, und, und. Die Vorstellung, den 24. im Club oder einer Bar zu feiern – und ich nenne das im Folgenden nur noch „Saufnachten“– finde ich dagegen blöd. Dabei geht es mir vor allem um die Einstellung, die sich  hinter den beiden Varianten verbirgt.

Auf der einen Seite ist da der klassische Heiligabend, der seit Jahrhunderten im engsten Kreis gefeiert wird. Heiligabend ist DAS Fest der Liebe – zu Menschen, die man bei sich haben will.

 

Auf der anderen Seite hat sich ein anarchistischer Gegentrend entwickelt: Saufnachten atmet den modernen Zeitgeist, alles Traditionelle zu boykottieren. Beim Saufnachten-Trend wird dieser Effekt dadurch erreicht, dass in Elektroclubs oder Bars das allnächtliche Feierhamsterrad weitergedreht wird.

 

Saufnachten ergibt also nur über die Abgrenzung zum ursprünglichen Heiligabend Sinn. Man findet es geil, dass die Ruhe durch lautes, besoffenes Feiern gebrochen wird. Man ist gegen die Weihnachtstradition, aber voll auf Linie der rastlosen Moderne. Warum? Schwer zu sagen, denn jeder fände wohl Familienmitglieder oder Freunde, mit denen es sich gemütlich zu Hause aushalten ließe.

 

Der Eigenwert von Saufnachten beschränkt sich somit auf eine schwer greifbare „Grinchhaltung“ und würde der gemütliche Weihnachtsabend irgendwann komplett verschwinden, würde auch Saufnachten die weiße Flagge hissen. Es gäbe ja nichts mehr zum Dagegen-Sein. Der 24. wäre ein Tag wie jeder andere. Niemand würde dann auf die Idee kommen, ausgerechnet an diesem Tag feiern zu gehen.

 

Das Weihnachtsfest zu Hause aber braucht kein „Dagegen“. Es hat einen Eigenwert. Geschenke, gemeinsames Kochen und Plätzchen backen sind Rituale der Liebe. Nicht nur das!  Weil wir diese Rituale schon seit Kindertagen kennen, kann nur zu Hause diese spezielle Weihnachtsgemütlichkeit entstehen. Und keine Sorge: Wenn Heiligabend in deiner Erinnerung immer scheiße war, weil du nie das ersehnte Playmobilpiratenschiff bekommen hast oder deine Eltern sich ständig gestritten haben, dann helfen eben die besten Freunden, den Schmerz von früher zu verarbeiten. Man sitzt zusammen, erinnert sich an traurige Weihnachtsfeste und tröstet sich, denn heute macht man es ja besser. Im intimen Beisammensein liegt das Potenzial, gemeinsam Freude in der Traurigkeit zu empfinden.

 

Wem das jetzt zu unkonkret ist, dem will ich abschließend helfen. Es geht, vereinfacht gesagt, um Lichter am Baum vs. sich alle Lichter ausknipsen, stille Nacht vs. Atemlos durch die Nacht, Plätzchen vs. Kotzen und besonderes Fest vs. „derselbe Feiermist wie das restliche Jahr“. Jetzt sollte die Entscheidung doch leicht fallen, oder? 

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