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Hört auf mit euren „Warum es toll ist, Single zu sein“-Listen!

Foto: .marqs / photocase.de

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Sich in Ruhe anziehen. Essen, worauf man Lust hat. In der Wohnung rauchen. Im Bett lesen. Sich was Neues zum Anziehen kaufen. Alleine ein Gurkenglas aufmachen. Wer das alles machen kann, der hat schon viel erreicht. Er führt ein gutes, ruhiges Leben. Vielleicht allein, vielleicht zu zweit, vielleicht zu dritt, vielleicht mit Familie, vielleicht ohne. Sollte man meinen. 

In der großen, weiten Ratgeber-Mutmacher-Welt meint man allerdings was anderes. Da werden diese alltäglichen Handlungen nämlich als Vorteile des Single-Lebens angeführt. Das Internet und Frauenzeitschriften sind voll mit Texten und Listen, die das Allein-Sein preisen: „Tipps fürs schöne Single-Leben“ (Glamour), „Wie Frauen ihr Solo-Leben genießen“ (Gofeminin), „23 Gründe, warum es geiler ist, Single zu sein“ (Zeitjung), „50 Gründe, Single zu sein“ (Welt), „10 Gründe, warum Single sein einfach geil ist“ (Ajouré), „20 Dinge, die ich am Single-Sein vermisse“ (Cosmopolitan). Es gibt sogar ein Buch: „111 Gründe, Single zu sein“. Und immer wieder tauchen die sieben Illustrationen einer mexikanischen Künstlerin auf, die ebenfalls erklären, was so schön daran ist, alleine zu leben.

Das Gute am Single-Sein ist in diesen Listen ausschließlich: die Abwesenheit einer Beziehung

Ein wenig kann man die Existenz dieser Listen ja verstehen: Beziehungsdiktatur undsoweiter, es ist nicht leicht, in unserer Gesellschaft Single zu sein etcetera, das große „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben“-Gefühl, wenn der Sommer bald vorbeigeht und alle anderen wieder zu zweit auf dem Sofa kuscheln. Da kann so ein bisschen Single-Empowerment nicht schaden. 

Aber: Man schaue sich doch bitte mal an, was in diesen Listen drinsteht! Allein die paar Beispiele oben in diesem Text! Weitere bescheuerte Pseudo-Gründe für ein Leben ohne Partner: Man kann Schokoladenkekse im Bett essen, ohne, dass sich jemand über die Krümel beschwert. Man muss sich zwischen zwei Waxing-Terminen nicht für die Haarstoppel an den Beinen schämen. Und: Man muss nicht mehr die Pille nehmen (bitte was?!?!)! Und falls sich bis hierher jemand gefragt hat, wie eigentlich die Sache mit dem Gurkenglas in diesen Text geraten ist: Ja, auch dieses Argument kann man so finden. Das hat Barbara, 23 und glücklicher Single, angeblich Gofeminin erzählt: „Ich lerne, alleine zurechtzukommen und die kleinen Alltagsprobleme selbst zu lösen: Glühbirne auswechseln, Gurkenglas öffnen, Spinnen entfernen…“

Das Schlimme an diesen Listen ist nicht, dass sie Vorteile des Single-Lebens auflisten, die gibt es schließlich wirklich. Ja, man ist oft flexibler, und ja, es kann tatsächlich schön sein, ein ganzes Bett für sich alleine zu haben. Aber die meisten Dinge, die dort als Vorteile bejubelt werden, benennen nur angebliche Nachteile von Beziehungen. Und stellen Beziehungen als Gefängnisse dar (als Single, heißt es immer, sei man „frei“). Das Gute am Single-Sein ist dann einzig und allein: die Abwesenheit einer Beziehung. Die Abwesenheit eines anderen Menschen, der anscheinend immer ein ewig meckernder, bevormundender, schlecht gelaunter Idiot ist, oder eine krittelnde, miesepetrige, genauso schlecht gelaunte Idiotin. Als ob eine Beziehung wirklich bedeutet, dass man sich nicht mehr in Ruhe anziehen kann und nur noch Sachen isst, auf die man keine Lust hat. Weil einem der Partner immer die Socke wieder vom Fuß zieht, während man grade versucht, die andere anzuziehen? Und einem danach das Marmeladenbrot vom Teller nimmt und es durch ein Käsebrot ersetzt?

Die Listen richten sich besonders oft an Frauen – als seien sie in Beziehungen automatisch unterdrückte Weibchen

Das Single-Empowerment funktioniert hier immer nur ex negativo. „Single sein“ ist nicht einfach eine Art zu leben, mit Vor- und Nachteilen, sondern ausschließlich das Gegenteil von „in einer Beziehung sein“. Sonst nichts. Und um damit klarzukommen, muss man Beziehungen schlecht reden. Und zwar so, als sei ein normales Leben in einer Beziehung gar nicht mehr möglich. Als könne man gar nichts mehr alleine machen und müsse sich komplett selbst aufgeben. In einer der Listen steht das tatsächlich so drin: „Einer der wichtigsten Gründe überhaupt: Weil du so sein kannst, wie du wirklich bist!“ 

Und ja, klar muss man in einer Beziehung Kompromisse eingehen. Das muss man als Single allerdings auch. Denn – Überraschung! – auch als Single ist man nicht alleine auf der Welt.

Was an den Listen außerdem auffällt: Sie richten sich besonders oft an Frauen. Und das macht alles nur noch schlimmer. Weil Frauen darin als Menschen dargestellt werden, die in einer Beziehungen keine sein können. Die mit Partner automatisch zu komplett unterdrückten, unfähigen und abhängigen Weibchen werden, die erst als Single wieder in den Genuss kommen, sich auf der Bettkante in Ruhe die Riemen ihrer Pumps zuzumachen und danach in der Küche eine zu rauchen. Diese endlich befreiten Frauen wurden in den Beziehungen, die in den Single-Listen abgelehnt werden, übrigens immer von Männern unterjocht. 

Wäre also noch die Frage offen, ob in lesbischen Beziehungen keine das Gurkenglas aufkriegt oder eine Glühbirne wechseln kann – und dann sitzen die zwei heulend und verschwitzt (das Anziehen war so anstrengend!) im Dunkeln vor einem Tisch voller zugeschraubter Gläser, beschimpfen sich gegenseitig für die Stoppeln an ihren Beinen und nagen an trockenem Brot. Wirklich scheiße, so eine Beziehung!

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