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Das Internet wehrt sich gegen Hass-Kommentare

Illustration: Katharina Bitzl

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Wenn etwas immer wieder passiert, gewöhnt man sich daran. Das heißt dann manchmal Routine und manchmal Abstumpfung. Wenn zum Beispiel ein Artikel über irgendwas mit Flüchtlingen auf Facebook gepostet wird, ist man mittlerweile schon daran gewöhnt, dass irgendjemand unten drunter zu einem Hass-Kommentar ansetzt: „Diese verdammten asylanten. erst kriegen sie 5sterne hotels zur verfügung gestellt, iphone geschenkt, müssen keine steuern zahlen...“ und so weiter. Same, same.

Vergangene Woche tauchte unter einem Post der SZ-Kollegen (es ging um Flüchtlinge, die Hochwasser-Opfern in Simbach am Inn geholfen haben) auch so ein Kommentar auf. Sogar in genau diesem Wortlaut. Er ging aber noch weiter und zwar so: „...dürfen kleine kinder lebendig essen und jetzt nehmen sie uns den deutschen auch noch die möglichkeit selber zu helfen.“ Und noch weiter und zwar so: „unmöglich sowas. merkel muss weg!!!1elfeins!!! und boateng ist nicht mein nachbar!!!!1!!elf“ 523 Personen gefiel dieser Kommentar. Kein anderer Kommentar unter diesem Artikel hat mehr Likes bekommen.  

Der Verfasser, ein Nutzer namens Aydoğan Gün (Profilbild: Muhammad Ali) hat das natürlich nicht ernst gemeint. Er hat einen typischen Hass-und-Hetzer-Kommentar parodiert. Und zwar so gut, dass man beim ersten Drittel noch denkt, es sei ernst gemeint, beim zweiten die Satire bemerkt und beim dritten lachen muss, weil er es da eindeutig übertreibt. So gut, dass sogar einige den Witz trotz Übertreibung nicht verstanden haben – die meisten Antworten auf den Kommentar sind Beschwerden über Herrn Gün oder erklären den Beschwerdeführern den Witz.

Wenn es um "Flüchtlinge" geht, werden viele schon beim Gedanken an die folgende Diskussion müde

Weil das mit den Hass-Kommentaren gegen Flüchtlinge Routine geworden ist, und jedem die Kombination aus Rechtschreibfehlern, Verschwörungstheorien, Flüchen und Ausrufezeichen mittlerweile nur allzu bekannt ist, gibt es jetzt immer häufiger diese Mini-Parodien.

Ich möchte sie, weil ich durch Herrn Güns Wortmeldung darüber nachgedacht habe, „Gün-Kommentare“ nennen. Unter dem Simbach-Artikel der SZ gab es noch weitere Gün-Kommentare von anderen Nutzern: „Die Flüchtlinge sind natürlich für das Unwetter und die Überflutung verantwortlich. Wer sonst? Jeder weiß dass die regentänze aufführen“; „Diese kriminellen Asylanten klauen den Wutbürgern den braunen Schlamm und wahrscheinlich vergewaltigen sie auch den Schlamm ...SAUEREI!“; „Jetzt wagen diese Flüchtlinge UNS zu helfen!!! DANKE MERKEL!!!!!111!!“

Unter einem Artikel der Welt zum gleichen Thema gab es ebenfalls Gün-Kommentare: „LÜGENKRESSE, äh PRESE !!11!!!1!!!1! Alles von oben gesteuert und gelügt!!!1!“ Unter dem SZ-Text über eine Syrerin, die in Trier zur Weinkönigin ernannt wurde, tauchte auch einer auf: „Jetzt nehmen die Flüchtlinge uns deutschen auch noch den Wein weg!!!!!!“ Das Social-Media-Team von Spiegel Online gestaltet sogar ab und zu die eigenen Posts in Form eines Gün-Kommentars, um Hetze vorwegzunehmen. Über einem Bericht über ein gesunkenes Flüchtlingsboot stand zum Beispiel: „Ja, wir haben uns das nur ausgedacht weil wegen linksgrünversiffte Propaganda 11einself (...) Nur, weil etwas mit ‚Und es ist Fakt, dass’ beginnt, ist es nicht Fakt, dass FAKT IST; DASS MAN IMMER RECHT HAT, WENN MAN SACHEN IN CAPSLOCK SCHREIBT und mit !1111111!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!“

Die Gün-Kommentare sind witzig. Und dass es sie gibt, ist gleichzeitig eine schlechte und eine gute Nachricht. Eine schlechte, weil sie zeigen, wie gewöhnlich der Hass mittlerweile ist. So sehr, dass viele Leser (und Social-Media-Redakteure) eben schon vorher wissen, was kommen wird, wenn ein Beitrag zum Thema Flüchtlinge auftaucht. Sie seufzen im Voraus und werden beim Gedanken an die folgende Diskussion aus dem Stand müde. Die Gün-Kommentare zeigen, dass manche es aufgegeben haben, rational zu argumentieren und rational dagegen zu halten, weil es ja doch nichts bringt. Weil sich die Hetzer nicht aufhalten lassen, weil sie ihre eigenen, einseitigen Wahrheiten haben und andere nicht gelten lassen.

Im vergangenen Sommer habe ich einen Text darüber geschrieben, dass wir im Zuge der sogenannten Flüchtlings-Krise unsere Ironie verloren haben. Dass aus den Ironikern hierzulande Menschen geworden sind, die sich von anderen Menschen, die Hilfe brauchen, haben rühren lassen. Doch dann ist die Stimmung im Land langsam und Anfang 2016 endgültig gekippt. Gegen Flüchtlinge und Zuwanderung. Die AfD ist aus unserer Öffentlichkeit mittlerweile nicht mehr wegzudenken, ebenso wenig wie offener Rassismus und rechte Hetze in den Kommentarspalten. Mit dem Hass ist auch die Ironie zurückgekehrt, die sich jetzt in den Gün-Kommentaren niederschlägt. Denn Ironie, das bedeutet ja, dass der Sprecher etwas behauptet, „das seiner wahren Einstellung oder Überzeugung nicht entspricht, diese jedoch für ein bestimmtes Publikum ganz oder teilweise durchscheinen lässt. Sie kann dazu dienen, sich von den zitierten Haltungen zu distanzieren oder sie in polemischer Absicht gegen angesprochene Personen zu wenden.“ 

Die Güns nehmen den Hetzern den Wind aus den Segeln, bevor sie die überhaupt gehisst haben

Das machen sie, die Güns. Denn ebenso, wie sie wissen, welche Kommentare unweigerlich unter einem Artikel über irgendwas mit Flüchtlingen auftauchen werden, wissen sie, welche Kommentare folgen würden, würden sie eine echte Auseinandersetzung mit den Hetzern suchen. Die Diskussion dreht sich ja seit Monaten im Kreis: Die einen hetzen, die anderen halten mit positiven Beispielen, Empathie und Pathos dagegen, die Hetzer finden wieder ein Gegenbeispiel oder eine Verschwörungstheorie und immer so weiter. Die Güns versuchen also jetzt beinahe verzweifelt, die Hetzer mit ihren eigenen Waffen beziehungsweise ihren eigenen Kommentaren zu schlagen. Weil sie keine andere Möglichkeit mehr haben.

Einerseits. Andererseits – und das ist die gute Nachricht – ist diese Möglichkeit eben immer noch eine Möglichkeit. Die Güns sagen eben immer noch etwas. Sie spielen mit der typischen Form der Hass-Kommentare, um den Hetzern den Wind aus den Segeln zu nehmen, bevor sie die überhaupt gehisst haben. Denn die Güns tauchen oft auf, bevor einer, der ernsthaft hetzen will, dazu kommt. So erfüllen sie eine Grundaufgabe der Satire: Sie halten gewissen Menschen – wie es immer so phrasig heißt – „einen Spiegel vor“.

Das ändert vermutlich deren Gesinnung nicht. Das verhindert nicht, dass anderswo im Internet ohne Widerstand gehetzt wird, und dass außerhalb des Internets Flüchtlingswohnheime angezündet werden. Aber die Güns leisten trotzdem einen gewaltfreien, humorvollen und wichtigen Widerstand. Und sie geben uns das Gefühl, wenigstens noch ein bisschen kontrollieren zu können, was gerade passiert. Denn indem sie die Form der Hetz-Kommentare so eindeutig offenlegen, sich zu eigen machen und für das Gegenteil nutzen, zeigen sie, dass die Hetze zumindest teilweise berechenbar ist. Dass es ein Muster gibt. Und mit Mustern – oder eben gegen Muster – kann man arbeiten.

Herr Gün hat in den Antworten unter seinem Kommentar übrigens kräftig mitgeantwortet. Und auch die nicht verschont, die sich vermutlich auf der guten Seite wähnen, seinen Witz aber nicht verstanden haben und ihn deswegen beschimpfen. Das ist sehr konsequent von ihm. Und lustig ist es auch: „ihr seid doch selber alle dähmlich...und bestimmt tätowiert!!!1elf!!“, schreibt er, „nur tattofierte kriminelle beleidigen so im facebook. vol assozial. ihr werdet alle schon sehen. wenn die asülanten sich erst tättuvieten lassen dann wars das mit deutschland. TETTOOWIERTE ASÜLANTEN SIND UNSER UNTERGANG. SIEHE BOATENG. DER NICHT MEIN NACHBAR IST!!!1!!“

Noch mehr über Hass im Internet und was man dagegen tun kann:

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