Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

“Was, euch gibt’s immer noch?”

Foto: Paul Armbrusch

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Die Tür geht auf und nichts passiert.

Das Café Jasmin, ein Wiener Kaffeehaus mitten in München, ist gut gefüllt, Leute sitzen auf dem Boden, stehen im Gang, drängen sich an der Theke. Dann kommen sie rein. Fabian Halbig umarmt einen Bekannten und setzt sich ans Schlagzeug. Maximilian Schlichter hängt sich eine Gitarre um, Johannes Halbig setzt sich ans Klavier. Und nichts passiert: kein Kreischen, kein Jubel, keine Pfiffe, kein Applaus. Klar, das Konzert fängt ja gerade erst an. Warum vor dem ersten Ton schon jubeln? Das erleben schließlich höchstens die ganz großen Popstars. Und das ist der Punkt.

Halbig, Schlichter und Halbig waren mal große Popstars. Sie waren Fabi, Mäx und Jo von den Killerpilzen. Es gab Zeiten als diese Band nicht vor die Tür gehen konnte, ohne von kreischenden Mädels umringt zu werden. Sie waren immer mit einem Bodyguard unterwegs, der ihnen einen Weg bahnen musste zwischen Konzerthalle und Tourbus. Manche Fans kamen zu ihnen nach Hause in die bayerische Kleinstadt Dillingen, warteten vor dem Wohnzimmer der Eltern, bis die Mutter die ausgefrorenen Jugendlichen hereinholte.

Die Killerpilze waren neben Tokio Hotel die größte Teenie-Band Deutschlands. Sie stehen damals in den Top Ten der Charts und auf dem Cover der „Bravo“. Als sich das zweite Album nicht mehr so gut verkauft, lässt ihre Plattenfirma die Killerpilze fallen. Und bei den meisten Bands wäre die Geschichte hier zu Ende. 

bravo 2006 29
Foto: Bravo

Aber die Killerpilze sind einfach dageblieben.

Und wenn einer bleibt, der eigentlich abgeschrieben ist, stellen sich immer sofort zwei Fragen: Warum? Und noch mehr: Wie? 

bravo 2006 23
Foto: Bravo

Beim "Warum" reicht oft die Gegenfrage: Warum, bitteschön, nicht? Beim "Wie" muss man wissen, dass es eigentlich nur zwei Wege gibt, auf denen Bands groß werden können: Den ersten haben Menschen erfunden, die irgendwann ihren Managementseminaren entstiegen sind, als man mit Musik noch viel Geld verdienen konnte. Er beinhaltet Marktanalysen, Zielgruppenbestimmung, gezielte Promo – alles der Einführung eines neuen Fruchtjoghurts nicht unähnlich. Der zweite wäre grob vereinfacht: Die Musiker sind Künstler, machen das, was sie wollen und können, und aus irgendeinem Grund trifft das den Nerv der Zeit.

Die Killerpilze probieren nach dem ersten jetzt den zweiten Weg. Seit 14 Jahren sind sie unterwegs, statt in großen Hallen spielen sie inzwischen wieder in kleinen Clubs. Sie träumen davon, noch einmal ganz nach oben zu kommen – dieses Mal ohne Hilfe der „Bravo“.

Über diese außergewöhnliche Bandgeschichte machen die Killerpilze gerade einen Film. Er soll “Immer noch jung” heißen und geht ziemlich souverän mit dieser Killerpilze-Story um, die den Jungs lange ziemlich lästig war. Weil immer wieder jemand fragte: “Was, euch gibt’s immer noch?”; weil sie nicht wegkamen vom Image der Bravo-Band mit kreischenden Teenie-Fans, die von der Musikindustrie auf die großen Bühnen geschubst wurde. Dabei hat sich die Band viel besser gehalten als die Zeitschrift, mit der sie einst groß geworden ist, und die heute kaum noch ein Kioskbesucher in die Hand nimmt, geschweige denn mit nach Hause. 

killerpilze
Foto: Paul Armbrusch

Drei Tage vor dem Konzert kommen Fabi und Jo zum Gespräch ins Café Jasmin. Das ist praktisch, dann können sie gleich noch ein paar Plakate vorbeibringen. Um solche Dinge kümmern sie sich inzwischen wieder selbst. Aber erst einmal bestellen die Halbig-Brüder Gulaschsuppe und Bier – und erzählen ihre Geschichte.

2002 fragt Johannes, ein damals 13-jähriger Gymnasiast in Dillingen an der Donau, seine beiden Kumpels Maximilian Schlichter und Andreas Schlagenhaft, ob sie eine Band gründen wollen. Mangels besserer Alternative holt Johannes auch seinen kleinen Bruder Fabian dazu, “als Übergangslösung”. Der ist damals neun Jahre alt und hat das Schlagzeug ein paar Monate vorher zu Weihnachten bekommen. Jo fängt mit dem Gitarre spielen erst bei Bandgründung an. Bei der ersten Probe raucht Fabi zum ersten Mal eine Zigarette. Seitdem, sagt er, sei er überzeugter Nichtraucher.

Sie spielen ein paar Konzerte in Jugendzentren. “Wir haben es damals schon geschafft, einen Reisebus mit Fans zu organisieren, der uns hinterher gefahren ist”, sagt Jo. Das hinterlässt Eindruck, sie gewinnen mehrere regionale Bandwettbewerbe.

Nur Scooter war noch öfter bei "The Dome"

Bei einem Konzert im “Chili” in Dillingen steht plötzlich Tom Bohne da, ein Manager bei Universal Music. Einer der wichtigsten. Bei der größten Plattenfirma der Welt. Die Älteren in der Band sind da gerade 16 Jahre alt. Fabi ist zwölf. Ab da geht alles sehr schnell. Jo bestellt noch ein Bier und spricht von “Zeitraffer”:

Single-Release, Videodreh, Autogrammstunden, Touren im Nightliner. “Wir haben uns das allererste Viva-Interview letztens nochmal angeschaut”, sagt er, “du siehst bei allen das Leuchten in den Augen. Das war die Zeit der ersten Male.” Das erste Album “Invasion der Killerpilze” landet auf Platz sieben der deutschen Album-Charts, zwischen The Bosshoss und Rosenstolz. Sie standen auf dem Cover der "Bravo" und in den Fernsehstudios von Viva und TV Total. “Wir waren zwölf- oder dreizehnmal bei ‘The Dome’, nur Scooter waren noch öfter da”, erinnert sich Fabi. Wenn sie das so erzählen, hört man immer noch Staunen und Begeisterung raus, weil sie diese ganzen Dinge erlebt haben. Jeder Dreizehnjährige, der eine Gitarre in die Hand nimmt und eine Band gründet, träumt davon, ein Rockstar zu werden. Nur Ganz wenige schaffen es. Und noch weniger kehren je zurück, um noch mal davon erzählen zu können. 

killeeer
Foto: Marc Reimann

Zwischen Fotoshooting und Vertragsverhandlung sitzen die Killerpilze in Dillingen in der Schule. “Einmal sind wir am Sonntagmittag um 12 aus Paris zurückgekommen, wo wir am Vorabend gespielt haben”, sagt Jo. “Und um eins standen wir bei der B-Jugend auf dem Fußballplatz.”

 

Ein gutes Jahr später erscheint “Mit Pauken und Raketen”, das zweite Album. Es verkauft sich gut, aber nicht ganz so gut wie die erste Platte. In den Charts reicht es nur für Platz 14. Keine Top Ten. Für Universal ein Misserfolg. “Ein Universal-Manager hat sich mit uns in einer runtergerrockten Dönerbude in Friedrichshain getroffen und erst mal angefangen, über die allgemeine Marktsituation zu referieren, und dass es momentan einfach schwierig sei”, sagt Jo. “Sie haben dann noch angeboten, wir könnten uns auflösen und dann wiederkommen." Auch ein Abba-Coveralbum stand zur Diskussion. "Es war klar, die glauben nicht mehr an uns.”

 

Das war’s dann. “Alles, was über Nacht gekommen ist, war über Nacht wieder weg”, sagt Jo. Die Killerpilze diskutieren, wie es weiter geht. “Dann hatten wir einfach voll Bock, es allen zu zeigen”, sagt Fabi. In Patrick Oginski von der kleinen Münchner Plattenfirma Südpolmusic finden sie einen neuen Partner.

 

Vorher schon war Andreas Schlagenhaft, der Bassist, bei der Band ausgestiegen. “Ich habe in sechs Wochen 25.000 oder 26.000 Euro für Party machen ausgegeben”, sagt er heute. Was die Band eine Zeitlang sehr genossen hat, wird dem ruhigen Schlagi bald zu viel, er zieht sich zurück. Heute lebt er als Landwirt auf dem Bauernhof seiner Eltern.

 

Die Killerpilze machen zu dritt weiter, zuerst verstärkt durch einen Live-Bassisten, später wechselt Jo von der zweiten Gitarre an den Bass. Haben sie nie darüber nachgedacht, diesen Bandnamen abzulegen? Fabi bestellt sich einen Espresso. “Ein neuer Name hätte sich für uns nicht logisch angefühlt”, sagt er. “Wir waren immer noch die gleichen Typen. Musikalisch wollten wir uns zwar weiterentwickeln, aber keinen kompletten Neuanfang.” Sie hätten damals allerdings gedacht: “Im dritten Jahr haben wir alles weggespielt, alles weiß gewaschen, sind mit unserer neuen Musik in den Top Ten”. Inzwischen ist der Neustart sieben Jahre her. Und? “Langsam kommen wir an den Punkt.” 

Gehört hat von den Killerpilzen zwar fast jeder mal. Aber bei vielen ist das schon lange her. Vielleicht tauchten sie später mal nochmal kurz auf dem Radar auf, aber dann reichte das nicht, um das Bild der Bravo-Band zu überschreiben. Zumindest bei den Hörern. Musiker zollen den Killerpilzen großen Respekt. Auf ihrer Doku erzählen Jennifer Rostock, Klaas Heufer-Umlauf und, das ist eigentlich der größte Ritterschlag, die Punklegende Gunnar Schröder von Dritte Wahl, was sie an der Band mögen.

 

Dazu gibt es noch den harten Kern an Fans, der sie von Anfang an begleitet. Das sind Leute, die bei der Crowdfunding-Kampagne zur Banddoku 150 Euro dafür bezahlen, einmal mit den Killerpilzen Pizza zu essen oder zehn Euro, um eine Sprachnachricht auf WhatsApp von ihnen zu bekommen.

 

Gerade sind die Killerpilze wieder einmal auf Tour. Ohne Bodyguard, oft nur mit zwei oder drei Helfern fahren sie durchs Land, spielen in Reutlingen, Koblenz, Osnabrück.

 

Anfang November treten sie in Augsburg auf, es ist der am nächsten gelegene Tourstopp zu ihrer alten Heimat Dillingen. Vor der Tür ist eine lange Schlange; die gilt allerdings dem Rapper Karate Andi. Die Killerpilze spielen im kleineren der beiden Säle des Clubs. 200 Leute passen da rein, beinahe so viele sind da. Unter den Gästen sind Freunde von früher und Mama Halbig. Das Publikum ist nicht mehr ganz so jung und ganz so weiblich wie zu Bravo-Zeiten. Aber immer noch ziemlich jung und ziemlich weiblich. Studentinnen Anfang 20, Bachelor Medien und Kommunikation, erzählen vom Killerpilze-Poster, das sie vor zehn Jahren im Kinderzimmer hängen hatten, und dass sie mal sehen wollten, was aus den Jungs geworden ist.

 

Die Killerpilze jagen einem Traum hinterher, in dem sie vorher schon einmal aufgewacht sind

 

Jo steht mit weißem Hemd, schwarzer Lederjacke und großen Ringen an den Händen auf der Bühne und singt sich durch die komplette Bandgeschichte, von “Ich find dich richtig scheiße / auf ne schöne Art und Weise” (2006) bis “Unser Tanz ist noch nicht ausgetanzt / du musst wach bleiben, damit du Träume jagen kannst” (2016). Dazu spielen sie schnellen, sehr melodiösen Rock, der an die Funpunk-Phase der 90er erinnert – an Blink-182, Green Day oder Die Ärzte.

 

Träume jagen. Gutes Motiv. Die Killerpilze jagen ja auch einem Traum hinterher, in dem sie vorher schon einmal aufgewacht sind. Das aktuelle, von ihnen selbst produzierte Album “High” fällt sehr poppig aus. Zum ersten Mal seit fünf Jahren ist die Band damit überhaupt wieder in die Charts gekommen: Platz 82. Es hielt sich dort eine Woche. Für ein Rockstar-Leben reicht das nicht, stattdessen gehen die Killerpilze nebenher noch arbeiten. Mäx gibt Gitarrenunterricht, Jo organisiert Partys in Münchner Clubs, Fabi hat eine Filmproduktionsfirma gegründet.

 

Inzwischen treffen sie sich schon wieder im Studio, um an neuen Songs zu schreiben. Mäx kommt mit einer Idee, spielt sie auf der Gitarre, Jo begleitet ihn am Synthesizer oder singt ein paar Silben dazu. Sie nehmen ein Demo auf, vier, fünf Gitarrenspuren übereinander, programmieren einen Schlagzeugbeat und hören sich an, was sie da in einer halben Stunde zusammengebastelt haben. Sie sitzen auf schwarzen Bürostühlen, wippen mit dem ganzen Oberkörper, trommeln begeistert auf die Oberschenkel. Wird das endlich der Hit, der sie wieder ganz nach oben bringt? “Ich liebe das Feeling, auf der Bühne zu stehen”, sagt Jo. “Und das macht vor 10.000 Leuten manchmal noch ein bisschen mehr Bock als vor 150.”

 

Und damit noch mal zurück ins Café Jasmin, wo die Leute immer noch auf dem Boden sitzen, um den Killerpilzen bei einem Wohnzimmerkonzert zuzuhören. Nach ein paar Songs ist das Publikum dabei, singt in den „Ohohoh“-Parts mit, es gibt Applaus und Zugabe-Rufe. An diesem Abend gelingt es den Killerpilzen, die Leute zu begeistern.

 

Irgendwann wird sich schon herumsprechen, dass diese Band immer noch da ist.

Mehr Musiker-Geschichten:

  • teilen
  • schließen