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Kollegah: Der Alphamann-Wohltäter?

Foto: Warner

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Kollegah ist inzwischen also eine Mischung aus Donald Trump, Kaiser Nero, Zeus, Don Juan und James Bond (wegen Supercars und Bitches, klar). Das jedenfalls sind die Personen, mit denen er sich auf seinem neuen Album „Imperator“ vergleicht. Bislang war der Rapper, laut Selbstauskunft, ja nur der größte, Schlampen-verprügelnde Zuhälter-Drogen-Dealer. Zumindest in Deutschland. Jetzt eben der logische nächste Schritt: Über ihm, da steht nur noch Gott. Wenn überhaupt.

Und natürlich darf man diesem Kollegah, der eigentlich Felix Blume heißt und in nicht sehr ferner Vergangenheit mal Jura studiert hat, auch hier nicht ganz leichtfertig auf den Leim gehen. Das alles, dieses in den vergangenen zehn Jahren ins Groteske überzeichnete Image, das vom Zuhälterrapper zum Boss zum King und jetzt eben zum allmächtigen „Imperator“ wuchs, ist Teil einer detailliert – und extrem smart – kalkulierten Kunstperson. Kollegah spricht derart überlebensgroß von seiner Lebensrealität und einem unermesslichen, gleichzeitig so gut wie nirgendwo existenten Prunk, dass man ihm, also der Privatperson, das bisher nicht abnehmen konnte – sich aber bestens unterhalten fühlte.

Überzeichnung funktioniert, das ist der Reiz an seiner Musik. Kollegah ist das konstruierte Produkt einer Gedankenwelt, in der „echte Männer“ qua Physis das Sagen (und das Geld) haben, anpacken und zu Legenden werden – eine Musik gewordene Heldensaga ohne Tiefpunkte. Verpackt übrigens in eine Sprachgewalt, die im Deutschrap so noch kaum einer erreichte: “Sieh dein Label ist broke, Spasst/ Was kein Wunder ist, wenn man so'n Müll erzeugt, wie die Eltern von Thomas.” (Müll erzeugen/Müller zeugen). Oder aktuell auf „Nero“: „Medusa-förmiges Piece, von Louboutin sind die Sneaks/Und dein Jahreslohn reicht grade so für mein Kuchengabel-Service“. Der BR stellte in einer statistischen Erhebung sogar fest: Kollegahs Wortschatz (3006 Wörter) ist größer als der Goethes (2913 Wörter).

Was allerding auch zeigt: Man kann mit sehr vielen Wörtern auch sehr wenig Inhalt verpacken. Heruntergebrochen ging es in den Texten am Ende um einen fiktiven, rein männlichen Entwurf von Sex, Drugs & Rock n’ Roll. Mehr nicht. 

Plötzlich Felix 

Jetzt allerdings bröckelt die Fassade. Der Adoniskörper Kollegahs bekommt Risse und der echte, menschliche Felix Blume scheint sich langsam hinter dem selbst kreierten Avatar hervorzukämpfen. Das hat Vor- und leider auch eine Menge Nachteile.

Aber der Reihe nach. Denn erst mal passiert auf „Imperator“ das, was alle erwartet haben: überspitztes Gottes-Geprotze, goldene Paläste, lilafarbene Scheine und Schluss. Dann plötzlich: „[Bin] müde, hier zu leben, aber dann in Texten zu erzähl’n vom dekadenten Lebensstil.“ Oder: „[Bin] müde vom Showbiz, müde, weil immer etwas los ist; müde von Roadtrips.“ Und „Ich hab’ das Pimp-Image auf die Spitze getrieben, Geschichten geschrieben, klar ist der Shit übertrieben.“ 

Das erste Mal weicht auf einem Kollegah-Album die Kunstperson also dem Kopf dahinter, der eben nicht unantastbar ist, dem stattdessen sogar etwas Zerbrechliches anhaftet. Über drei Tracks hinweg spricht, wohl eher Blume als Kollegah, über die nervenaufreibenden Mechanismen des Showbusiness’, die fehlende Zeit für die Familie, die auf ihn einprasselnde Kritik, die eben doch nicht abprallt, wie an einer kugelsicheren Weste. Kollegah wird zum Menschen.

Und kurze Zeit später ist alles verpufft.

Es wird wieder geprügelt, als würde Kollegah gegen sein eigenes Eingeständnis von Schwäche ankämpfen. Irgendwie schizophren wirkt das, als wäre jemand mit seiner Rolle nicht mehr zufrieden, will aber daran festhalten, weil sie nun mal funktioniert.

Dieser kurze Exkurs ist bezeichnend für den aktuellen Wandel des Rappers. Gerade hat er sich von seinem Label Selfmade Records getrennt und Anfang des Jahres zusammen mit Warner und einem Multimillionen-Budget im Rücken sein eigenes Imprint Alpha Music gegründet. Interviews gibt er seitdem so gut wie keine mehr. Gedanken lässt er ungefiltert auf seine sehr junge Zielgruppe los – auf knapp 1,9 Millionen Fans bei Facebook und 900 000 Abonnenten bei Youtube. 

Überall Verschwörung? 

An sich alles seine Sache, klar. Aber eben doch nicht ganz. Neben der Selbstreflexion gibt es nämlich auch: Verschwörungstheorien, die er ebenso ungefiltert auf sein Publikum entlässt. Auf seinem Track „Apokalypse“ spricht er von Zirkeln, die die Welt lenken. Verpackt in Actionfilm-Kino zwar, aber dennoch so formuliert, als würden all die kruden Thesen der Wahrheit entsprechen, beziehungsweise echten historischen Quellen (Bibel, Koran, Talmund) entstammen.

 

Er spricht von dämonischen Blutlinien, denen noch heute hohe Politiker angehören, Dschinn-Magie, bösen Banken und den Illuminaten, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen. Was wie ein millionenfach geklickter harmloser Spaß klingt, landet so leider auf ungut fruchtbarem Boden: „Was ich aber wirklich bemerkenswert finde, ist das Thema, um das es geht. So was kann man nur schreiben, wenn man ein tief greifendes Wissen über Okkultismus, Esoterik, Logenverbände und die nicht 'Mainstream' Geschichte vorweisen kann“, ist einer der Kommentare unter dem Video, der am meisten Anklang gefunden hat. Oder: „KOLLEGAH als Geschichtslehrer wäre krass.« Darunter diskutieren User über die Wahrheit, die angeblich keiner sehen will.

 

Um das zur Sicherheit ganz klar zu sagen: Kollegah als Geschichtslehrer, das wäre fatal. Denn die Anspielungen auf vermeintliche Machtzirkel, die die Welt lenken, die sich auf „Imperator“ finden, sind vielleicht vieles, fundiert gehört aber nicht dazu. „Ihr rappt für Autos, Hose und Silberperlenketten, Ich rap’ um Macht zu erlangen, um irgendwann die Verbrecher zu ficken bei Bilderbergertreffen“, sagt er zum Beispiel, und was erst mal nach einem riesigen Spaß klingt, verdichtet sich zu einem neuen Kollegah, der tatsächlich an derartige Theorien zu glauben scheint. Theorien, die derzeit Konjunktur haben. Die in seiner Zielgruppe ankommen, aber vor allem eines im Sinn haben: Die komplexen politischen und gesellschaftlichen Prozesse verklären, vereinfachen und sich ein greifbares Feindbild suchen.

 

Das eigene Leben verläuft nicht optimal, apokalyptische Nachrichten aus der ganzen Welt fluten die Bildschirme. Warum? Ganz einfach aus Sicht der Theorieanhänger: Die Illuminaten haben uns infiltriert und sorgen für Chaos. Oder: Auf der Bilderbergerkonferenz, die tatsächlich von der Öffentlichkeit abgeschottet wird und erfolgreiche Persönlichkeiten vernetzt, treffen sich die Machteliten, die genau entscheiden, was, wann, wo in Wirtschaft und Politik passiert. 

 

Dass es so einfach nicht funktioniert, geschenkt. Aber diese Theorien befeuern auch antidemokratische und rechtsextreme oder wenigstens populistische Thesen, die „das Volk“ als Stimmlose Mehrheit sehen und dafür sorgen, dass viele sich nicht mehr die Mühe machen, tatsächlich drüber nachzudenken, was schief läuft in der Gesellschaft. Die vermeintliche Lösung ist ja da: „Verbrecher ficken bei Bilderbergertreffen“.

Auch eine zusammen mit Street Cinema produzierte Reportage in einem palästinensischen Autonomiegebiet im Westjordanland geht in eine ähnliche Richtung. Auch dort inszeniert er sich als Anpacker, der den Opfern des Israel-Palästina-Konflikts unter die Arme greifen möchte. Er knallt Scheine auf den Tisch, kauft Computer und Mobiliar, um eine Schule einzurichten, und will diese Tätigkeit mit seiner neu gegründeten Anpacker-Stiftung in nächster Zeit weiter vorantreiben. Von jedem verkauften Release soll Geld in die Stiftung fließen, erzählt er in einer Videoansage auf seinem Youtube-Channel. Der Gedanke, zu helfen ist löblich. Die unabhängige Abbildung des Ist-Zustandes in einem vom Konflikt geschundenen Gebiet aber genauso. Doch Kollegah schafft genau das nicht. Die Dokumentation entwickelt sich zu einer obskuren Art von gut gemeintem, aber einseitigen Imagefilm.

 

Ähnlich besserwisserisch wie in seinem pseudohistorischen „Apokalypse“-Track mimt er den Allwissenden. Das Leid der Palästinenser wird nur angerissen, die Gespräche mit Einheimischen weitestgehend kaschiert. Stattdessen erklärt nur Kollegah seine Sicht der Dinge, die zwar die stark umstrittene und oft menschenunwürdige Siedlungspolitik Israels beleuchtet, sich aber weder mit beiden Seiten auseinandersetzt, noch nach richtigen Informationen sucht. Die meiste Zeit über stolziert Kollegah als hemdsärmeliger Kumpeltyp durchs Bild. Felix Blume scheint da längst wieder abgemeldet. Emotionen gibt es kaum.

 

Auch in der Doku wird oberflächlich über ein komplexes Thema berichtet. Und auch hier kaufen ihm seine Fans das zumindest stellenweise ab.

 

Kollegah ist also nicht mehr nur der Zuhälterrapper mit dem kaputten Frauenbild, der Bitchslaps verteilt. Er verschwimmt zurzeit immer mehr mit der Privatperson Felix Blume. „Ein Journalist würde sagen, [„Imperator“] ist das Album von Kollegah, das am weitesten weg ist von der Kunstperson“, meint er in einer Videobotschaft für seine Fans. Doch das funktioniert leider nicht: die überzeichnete, gewalttätige Kunstperson, die plötzlich helfen und lehren möchte steht sich selbst im Weg. Nichts passt mehr zusammen. Kollegah penetriert nicht mehr fiktive „Bitches“, sondern seine Fans mit Halbwahrheiten. 

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