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Der neue Mann an der Spitze der CDU wird seinen Politikstil ändern müssen

Sie wollen CDU-Vorsitzender werden: Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen.
Fotos: Andreas Gora, Pool/Getty Images / Michael Kappeler, dpa-pool/dpa

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Sie sind weiß, männlich, katholisch, älter als 50 und geboren in NRW: Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Armin Laschet. Einer von ihnen wird am Samstag zum CDU-Parteivorsitzenden gewählt werden und sich danach wohl bemühen, auch Kanzlerkandidat zu werden. Dass erstmals seit 20 Jahren wieder ein Mann an der Spitze der CDU stehen wird, gilt als gesetzt. Tatsache ist aber auch: Dieser Mann wird nicht so agieren können, wie er es sich wünschen würde – zumindest dann nicht, wenn seine Partei weiterhin auch bei den jungen Wähler*innen erfolgreich bleiben will. Um seine Partei zukunftsfähig zu machen, wird der neue CDU-Vorsitzende seinen Politikstil ändern und Themen auf seine Agenda setzen müssen, denen er gerade noch keine Priorität einräumt. Eine Partei, die Volkspartei sein will, muss sich auf das einlassen, was die Gesellschaft bewegt – sonst verspielt sie diesen Status. Auch konservative Politiker der älteren Schule können sich heute nicht mehr den veränderten politischen Spielregeln des Internet-Zeitalters, einer politisierten und umweltbewussten Jugend und einem selbstbewussten Feminismus entziehen. 

Spricht man CDU-Mitglieder darauf an, dass alle drei Kandidaten männlich sind, hört man meist zuverlässig die gleiche Antwort, sie klingt etwa so: Laschet, Röttgen und Merz sind hoch qualifiziert – und nach so vielen Jahren mit Kanzlerin Angela Merkel haben wir unser Frauen-an-der-Spitze-Konto doch eigentlich ganz gut aufgefüllt, oder? Auch, dass AKK gerade noch Vorsitzende der Konservativen ist, wird dann gerne betont – dass diese schon vor einem knappen Jahr verkündete, den Posten gern wieder abgeben zu wollen, lässt man lieber unter den Tisch fallen. 

Konservativ sein, bedeutet zu bewahren, was war oder was gerade ist. Aber was ist eigentlich gerade? Die Gesellschaft befindet sich schon längst im Umbruch, der vor allem von den Jungen angetrieben wird. Klimaschutz, Geschlechtergerechtigkeit, Anti-Rassismus, die Rechte queerer Menschen – das sind nur einige Bereiche, in denen es kein Zurück mehr gibt.

Die Masche namens „Whataboutism“ hat inzwischen einen Namen und ist längst enttarnt

Friedrich Merz zum Beispiel wird sich daher ernsthaft mit Geschlechtergerechtigkeit auseinander setzen müssen. Im Jahr 1997 war es ihm noch möglich, dagegen zu stimmen, dass Vergewaltigung in der Ehe ein Straftatbestand wird, ohne dafür einen Shitstorm zu ernten. Heute beobachten ihn viele ganz genau, wenn er in Talkshows sitzt, wie im November 2020 bei Anne Will, und Annalena Baerbock scheinbar kaum folgen kann, wenn sie über geschlechtergerechte Sprache und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft spricht.

Noch scheint ihm das Thema egal zu sein. Noch nutzt er ein uraltes Machtinstrument: Er wiederholt immer wieder, dass es wirklich wichtigere Dinge gäbe als alles, was Feministinnen fordern. „Wir haben im Augenblick ein paar andere Probleme, die wir lösen müssen“, sagte Merz in dieser Talkrunde. Doch dieses Totschlagargument, das Gegner*innen klein machen soll, funktioniert nicht mehr. Denn seine Masche namens „Whataboutism“ hat inzwischen einen Namen und ist längst enttarnt. Klar, es gehört zum Konservativ-Sein dazu, der aktuellen Debatte ein bisschen hinterher zu hinken. Doch die Diskussion um Geschlechtergerechtigkeit ist mittlerweile auch nicht mehr ganz frisch. Sie wird nicht einfach so verschwinden. Im Gegenteil: Auch der CDU-Vorsitzende wird sich damit eingehend beschäftigen müssen. Denn auch bei den Konservativen gibt es junge Frauen, die sich als Feministinnen bezeichnen und gleichzeitig wissen: So richtig passt das für viele gerade nicht zusammen

Ein weiteres Thema, das nicht verschwinden wird: Rassismus in Deutschland. Schwarze Aktivist*innen wie die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ machen seit Jahrzehnten darauf aufmerksam, im Juni 2020 bekam das Thema verstärkt Aufmerksamkeit. Der gewaltsame Tod von George Floyd ließ die „Black Lives Matter“-Bewegung weltweit erstarken. Innenminister Horst Seehofer sträubt sich bis heute gegen eine große, unabhängige Studie zum Thema Polizeigewalt. Diese Haltung sollte der neue CDU-Vorsitzende hinterfragen, wenn er von jungen Leuten ernst genommen werden möchte.

Heute wollen Frauen, queere und rassifizierte Menschen mitbestimmen. Das ist es, was es zu bewahren gilt

Armin Laschet, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, hat im eigenen Bundesland ein massives Problem mit rechtsextremen Netzwerken. Sein Innenminister Herbert Reul legt dagegen lieber den Fokus auf sogenannte „Clan-Kriminalität“. Auch das wird nicht einfach so weiter funktionieren. „Die CDU ist sehr bunt“, sagte CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak am Freitagmorgen im Deutschlandfunk, und weiter: „Wir haben mittlerweile viele Gesichter auch mit Migrationsgeschichte.“ Diese Menschen sind vielleicht konservativ – sie erfahren aber auch Rassismus. Sie sind vernetzt. Sie haben Twitter. Und sie werden Themen auf die Agenda zwingen, die viele mächtige CDU-Politiker vor allem deswegen nicht so wichtig finden, weil sie sie nicht direkt betreffen.

Ja, einige Jahre könnte der CDU-Vorsitzende auch mit weniger Feminismus und mehr Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht durchkommen. Immerhin wird er auch von Menschen – den Delegierten der CDU – gewählt, die sich teils ebenfalls aktuellen Debatten verschließen oder andere Dinge wichtiger finden. Doch diese Art der Politik wird nicht zukunftsweisend sein, die Partei wird früher oder später unter Rückschritten leiden.

Konservativ sein, ja, das bedeutet, das zu bewahren, was ist. Lange war das eine Welt, in der Männer das Sagen hatten, sexistische, rassistische und homofeindliche Witze salonfähig waren und Frauen zwischen Herd und Teilzeitjob ganz gut aufgehoben. Heute ist es aber so, dass Frauen, queere und rassifizierte Menschen mitbestimmen wollen. Dass Klimaschutz für viele eine Priorität ist. Das ist es, was es zu bewahren gilt – indem man sich der Realität stellt, sie annimmt und vorantreibt. Und zwar nicht nur durch Worte. Sondern durch politische Handlungen und Entscheidungen. Darauf werden junge Menschen sehr genau schauen – egal, welcher Mann bald die CDU führt.

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