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Ein Rant auf quatschende Konzertbesucher

Bild: L2i.de / photocase

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Es war eine laue Frühlingsnacht, als mich zum ersten Mal ganz bewusst das dringende Bedürfnis überkam, mich umzudrehen, die Person hinter mir anzubrüllen und ihr ein riesiges Stück Gaffa Tape über den Mund zu kleben.

Ich war auf einem Festival und stand in der Menge vor einer Band, deren Lieder ich unglaublich gerne höre und gleichzeitig noch immer etwas schwer ertragen kann. Meine Herzschmerz-Band. Die Band, deren Platte ich hörte, als die Beziehung zu meiner ersten großen Liebe zerbrach. Das ist lange her und verarbeitet, aber – mal ehrlich – so verarbeitet, dass einem bei seinem Liebeskummersong nicht doch nochmal ein Tränchen über die Wange rollt, ist es doch nie. 

Die Musik war ungewöhnlich schwer, getragen und melancholisch für ein Festival, schaffte aber trotz der Menschenmasse eine fast eigenartige Intimität. In der kurzen Stille zwischen Applaus und dem nächsten Lied rauschte der Wind in den Bäumen. Ein paar Vögel, die wohl wegen der Musik nicht schlafen konnten, zwitscherten leise. Und dann, gerade als sich besagtes Tränchen im Augenwinkel positioniert hatte, ging es los:

„Heeey Süße!“

„Aaaach. Hallo! Du auch hier?“

„Ja, X und Y sind auch da. Schau mal!“

„Hallo!“

„Hey!“

„Hallo“

„Hi“

„Ich bin mit Z da, aber die ist gerade auf dem Klo.“

„Ah, da komm ich auch gerade her, da ist echt ne Riesenschlange.“

„Ich war vorhin schon auf der Männertoilette. Ein paar haben zwar blöd geschaut, aber das ging viel schneller.“

„Ich bin schon auch erschrocken, als ich vorhin Pinkeln war und auf einmal ein Mädel aus der Kabine kam.“  

Das Tränchen verzog sich dorthin, wo es hergekommen war, als hätte es Angst vor dem, was nun in diesem Gesicht passieren würde. Denn hätten nicht alle nach vorne auf die Bühne geschaut, hätten sie sehen können, wie sich mein verträumt-wehmütiger Ausdruck erst in einen genervten, dann in einen gereizten und schließlich in einen echt aggressiven verwandelte. Das konnte doch bitte nicht deren Ernst sein.

Ich hasste mich dafür, dass ich sie hasste 

Es war ihr Ernst. Ihr voller Smalltalk-Ernst. Eingequetscht in die Konzertmenge konnte ich nicht anders, als einen detaillierten Bericht über die aktuelle Lebenssituation jedes gemeinsamen Bekannten von X, Y, Z und ihren beiden Freundinnen mitzuhören. Spätestens bei Nummer Drei fing es an, in mir zu brodeln.  

Ich hasste sie nicht, weil sie die Musik nicht zu schätzen wussten, weil es der Band gegenüber vielleicht respektlos war und nicht einmal, weil ich mich nicht mehr auf die Musik konzentrieren konnte. Ich hasste sie, weil ich anfing mich selbst zu hassen – dafür, dass ich sie hasste.  

Denn so stark auch der Drang war, mich umzudrehen und ihnen zu sagen, was sie für Flachpfeifen sind, dass sie W doch mit seiner Freundin zusammen sein lassen sollen, auch wenn sie schon ein Kind hat und dass sie bitte jetzt einfach die Klappe halten mögen – so war mir doch eines absolut bewusst: Es gibt einfach nichts Spießigeres als genau das zu tun.

Ich empfand wirklich tiefe Abneigung gegen dieses sabbelnde, nervende Menschengrüppchen. Aber genauso viel Abneigung empfinde ich den Menschen gegenüber, die sich zu ihnen umgedreht und ein empörtes „Psssssssst!“ durch ihre verkniffenen Lippen gepresst hätten, gefolgt von einem: „Es gibt Leute, die sind da, um die Musik zu hören“.

Der Kampf um meine Coolness 

So eine würde ich nicht werden. SO EINE WERDE ICH NICHT, schrie ich innerlich dem kleinen Spießer entgegen, der versuchte, meine Coolness immer weiter an den Rand meines Kontrollzentrums zu schieben, um sie von dort runterzuschupsen.  

 

Diesen Kampf durfte ich nicht verlieren. Ich, die bei AnnenMayKantereit die Zeile  

 

„Und du wirst 21, 22, 23 /

Und du kannst noch gar nicht wissen, was du willst /

Und du wirst 24, 25, 26 /

Und du tanzt nicht mehr wie früher“  

 

noch mitbrüllt und einfach ignoriert, dass sie selbst schon 27 ist.  

 

Ich war mir sicher, würde ich jetzt schwach werden, würde ich jetzt dieses Tor der Spießigkeit öffnen, würde ich es nie wieder ganz schließen können und mir stünde ein Leben als Falschparker-Aufschreiber und Lärmbeschwerde-Nachbar bevor.  

 

Also nahm ich alle meine Kraft zusammen und riss mich innerlich von dem kleinen fiesen Spießer los, während ich äußerlich dem Mann vor mir fast sein Bier aus der Hand schlug, als ich mich durch die Menge von der Tratschgruppe wegdrängelte.  

 

Es war nicht schön, es war nicht elegant und auch mich hassten jetzt ein paar Leute hinter mir (man muss wissen, ich bin 1,80 m groß). Aber ich hatte es geschafft. Ich hatte meine Seele und meine Selbstachtung gerettet. Stolz auf mich selbst, fing ich an, die letzten zehn Minuten zu vergessen. Ich entspannte mich. Die Musik drang langsam wieder zu mir durch und ich schaukelte mich in den Rhythmus ein. Und als ich auf den Fußballen wippend mich gerade noch wunderte, wie man sich so schnell über etwas aufregen kann, wo doch alles wunderbar ist, hörte ich von links:

 

„Boah, das ist schon echt ein ganz schönes Gedüdel“.  

 

Ich habe das Konzert dann für beendet erklärt, mir was zu trinken geholt und mich mit meiner Freundin bei einer anderen Bühne getroffen. Die Musik war langweilig, aber sie musste mir sowieso was Wichtiges erzählen.  

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