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Warum sind wir mit 23 und 67 Jahren am glücklichsten?

Illustration: Lucia Götz

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jetzt: Hannes, du hast herausgefunden, dass man mit 23 Jahren am glücklichsten ist und es dann bergab geht. Klingt niederschmetternd.

Hannes Schwandt: Bis Anfang 30 geht die Zufriedenheit noch nicht stark runter. Der Grund könnte sein, dass man da noch viele Möglichkeiten hat: Wenn es mit Anfang 20 mit der Fußballprofi-Karriere nicht geklappt hat, dann werde ich eben ein erfolgreicher Jung-Unternehmer und gründe mein eigenes Startup. Und wenn das mit Mitte 20 durchfällt, kann ich immer noch erfolgreicher Anwalt oder Schriftsteller werden. Bis Ende 20 kommt man noch damit über die Runden zu denken, dass alles gut laufen wird. Aber irgendwann wird dann doch klar, dass das Leben doch keinen so wahnsinnig glorreichen Weg geht.

Aber es gibt Hoffung: Deine Studie sagt auch, dass man mit 67 wieder glücklich ist.

Ja. Zu Beginn des Lebens ist man sehr zufrieden, dann geht es bergab bis Mitte 50 und ab dann wieder bergauf. Eine U-Kurve also.

Woran liegt das?

Das war die große Frage. Diese Kurve ist schon seit einiger Zeit bekannt und wird über viele Länder hinweg beobachtet, unabhängig vom Familienstatus, vom Einkommen oder dem Geschlecht. All diese Faktoren scheinen den u-förmigen Verlauf der Lebenszufriedenheit über den Lebenszyklus nicht zu bestimmen. Und natürlich bestätigt diese Kurve auch das oft belächelte Phänomen der Midlife-Crisis. Da hat man dieses Bild vom frustrierten Manager, der seinen Job kündigt, die Ehefrau für eine jüngere Version verlässt und sich einen Porsche kauft.

Du sagst, dass unsere Unzufriedenheit zur Lebensmitte sehr viel damit zu tun hat, dass wir uns ständig irren, wenn wir uns unsere Zukunft vorstellen.

Eigentlich sollte man denken, dass es zum Allgemeinwissen der Menschheit gehört, dass wir im mittleren Alter eine Durststrecke durchmachen. Man würde erwarten, dass die Leute ihre Zukunft realistisch einschätzen. Das Interessante war, dass genau das Gegenteil der Fall ist. In jungen Jahren antizipieren die Menschen nicht nur nicht, dass es mit ihrer Lebenszufriedenheit bergab gehen wird, sie erwarten im Gegenteil auch noch, dass ihre Lebenszufriedenheit stark steigen wird. Über die Zeit sinkt die Zufriedenheit dann und auch die Erwartungen sinken, bleiben aber immer noch über der tatsächlichen Zufriedenheit. Irgendwann, so mit Ende 40, Anfang 50, kommt es dann zu dem Tiefpunkt, wo die Leute richtig im Keller sind und ihre Erwartungen in der Lebensrealität angekommen sind und sich die Zufriedenheits- und die Erwartungs-Kurve treffen. Da sind die Menschen dann gleichzeitig enttäuscht von der Vergangenheit und haben die Hoffnung für die Zukunft verloren. Das Interessante ist, dass es genau von dem Moment an wieder bergauf geht. Die Menschen erwarten tendenziell nie das, was sie dann erleben.

Welchen evolutionären Hintergrund könnte es haben, dass sich junge Menschen prinzipiell überschätzen?

Das einfachste Beispiel für den evolutionären Nutzen des Optimismus sind natürlich Kinder. Wenn die Menschen wohlgeeichte Erwartungen davon hätten, wie viel Stress Kinder bedeuten, würden wahrscheinlich sehr viel weniger Leute Kinder bekommen. In der Evolutionsbiologie und in der Neurologie gibt es viel Literatur zu Optimismus und dem, was man „Over-Optimism“ nennt.

Was versteht man darunter?

Man verarbeitet grundsätzlich positive Informationen über die Zukunft stärker als negative, besonders in jungen Jahren. Die Leute denken immer, sie sind die Glücklichen, deren Ehe funktionieren wird, deren Kinder gesund sein werden, deren Einkommen stimmt und die eine große Karriere machen werden. Das ist ja auch logisch, niemand würde heiraten, wenn er davon ausgehen müsste, dass er drei Jahre später wieder geschieden ist. Wenn Menschen jung sind, denken sie immer: Bei mir wird alles gut laufen. Und dann funktioniert eben doch nicht alles so gut, oder es funktioniert gut, erweist sich aber als weniger befriedigend, als sie gedacht hatten. Und mit der Zeit gibt es dann einen Lernprozess.

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Professor Dr. Hannes Schwandt hat 2016 eine Studie zur Lebenszufriedenheit im Verlauf eines Menschenlebens veröffentlicht. Inzwischen lehrt und forscht er an der Northwestern University im US-Bundesstaat Illinois.

Hannes Schwandt

Geht deshalb die Lebenszufriedenheit am Ende wieder hoch?

Zu dem Thema gibt es eine sehr bekannte Science-Studie von Neuropsychologen in Hamburg mit dem Titel „Don't Look Back In Anger“. Da hat man untersucht, wie Menschen auf enttäuschte Erwartungen reagieren und insbesondere auf die Unterschiede zwischen jungen und alten Menschen geschaut. Dafür hat man die Probanden ein Spiel spielen lassen und ihnen gesagt: Je länger ihr spielt, desto mehr Geld könnt ihr gewinnen, aber wenn ihr zu lange spielt, könnt ihr alles wieder verlieren. Nachdem die Probanden aufgehört haben, hat man ihnen gezeigt, wie viel sie noch hätten gewinnen können, wenn sie weitergespielt hätten.

Wie haben die Teilnehmer da reagiert?

Die jungen Leute waren außer sich, ihr Puls ist hochgegangen, sie hatten Schweißausbrüche und im Gehirn konnte man starke Reaktionen sehen. Bei den alten Leuten war null Reaktion da, denen war das total egal. Weil sie wussten, dass sie nichts falsch gemacht haben und sich nicht über den verpassten Gewinn geärgert haben. Die Forscher schließen aus ihren Ergebnissen, dass das alternde Gehirn lernt, besser mit Enttäuschungen umzugehen. Das kann eine wichtige Erklärung dafür sein, warum alte Menschen immer zufriedener werden, weil sie den Ärger über die enttäuschten Erwartungen nicht mehr so stark empfinden und sich mit dem abfinden, was sie erreicht haben und sich darüber freuen.

Klingt erstrebenswert.

Schon, aber wenn man sich einen Zwanzigjährigen vorstellt, der eine Klausur nicht besteht, von der Uni fliegt und dann sagt: Schwamm drüber, alles nicht so schlimm – das erscheint einem genauso suboptimal wie ein 70-jähriger, der sich immer noch wahnsinnig darüber ärgert, dass er mit 30 irgendeinen Job mal nicht bekommen hat. Das bedeutet, dass zu unterschiedlichen Lebensaltern unterschiedliche Erwartungen und unterschiedliche Reaktionen auf diese Erwartungen optimal sind. Letztendlich war es für mich extrem interessant, wie diese irrational erscheinenden systematischen Erwartungsfehler in den Daten nach etwas weiteren Überlegungen eigentlich sehr sinnvoll erscheinen.

Du sagst, man könnte die Krise des mittleren Alters auch dadurch ein bisschen leichter machen, wenn man versucht, die Leute darüber zu informieren, dass ihre Unzufriedenheit zum einen zeitlich begrenzt ist und auch viele andere betrifft.

Es wäre sinnvoll, den Menschen, die im mittleren Alter unzufrieden sind, zu sagen: Das ist gerade keine riesige Krise, in der ihr euch befindet, das ist kein riesengroßes Unglück, das habt ihr nicht selbst verschuldet und es ist auch nichts Kurzfristiges. Diese Unzufriedenheit ist vielmehr ein ganz normaler, biologischer Abschnitt eures mittleren Lebensalters. Dadurch könnten die Leute aktiv von den älteren Menschen lernen, wie man Dinge eher akzeptiert und sie könnten sich auch darauf konzentrieren, dass es ja wieder aufwärts geht. Zum anderen könnte man auch den Teufelskreis des Bereuens aufbrechen, indem man sagt: Du brauchst dich nicht zusätzlich darüber grämen, dass du dich gerade schlecht fühlst, obwohl alles relativ gut aussieht. Es ist ein Prozess, enttäuscht zu sein und sich nicht erfüllt zu fühlen und das Gefühl zu haben, dass es das jetzt war. Ich glaube, da könnte man schon viel daraus ziehen. 

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde zum ersten Mal am 10. April 2017 veröffentlicht und am 23. Juli 2020 noch einmal aktualisiert.

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