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Wie öffnet man eine Beziehung?

Eine offene Beziehung kann toll sein, ist aber auch Arbeit.
Illustration: Katharina Bitzl

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Was auch immer dein persönlicher Grund ist, eine Öffnung deiner Beziehung zu erwägen – es ist ein Grund, eine Flasche Champagner zu köpfen. Ja, genau, das teure Zeugs. Versteh mich nicht falsch, ich will hier nicht deine Lüsternheit feiern (höchstens ein bisschen). Sondern deine Bereitschaft, unhinterfragte Beziehungs-Konventionen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen und dich auf die Suche nach der Beziehungsform zu machen, die zu dir und im besten Falle deinem Partner oder deiner Partnerin passt. Selbst wenn sich am Ende herausstellen sollte, dass du bis an dein Lebensende nur diesen einen Menschen lieben willst: Du hinterfragst! Und das allein ist schon eine Menge wert.

Die Idee ist also da.

Und jetzt? Einfach loslegen?

Bloß nicht!

Du könntest jetzt „Schlampen mit Moral“ von Dossie Easton und Janet W. Hardy lesen. Das ist das Beste, was zu diesem Thema je geschrieben wurde. Wenn dir die 300 Seiten zu viel sind, lies das hier.

Hier kommen ein paar Dinge, die ich gern gewusst hätte, bevor ich meine Beziehung geöffnet habe. Wissen, das ich mir hart erarbeiten musste. Möge es zu irgendetwas zunutze sein.

1. Einvernehmlich starten

Du willst es also und musst nur noch deine bessere Hälfte überzeugen? Schmink dir das ab: Hier wird niemand von irgendetwas überzeugt. Ihr beide müsst es wollen. Und zwar gleich viel. Ist nur eine*r von euch die treibende Kraft, und die andere Persohn zieht mit, weil ihr die Argumente  ausgegangen sind oder das Selbstbewusstsein, wird sie über kurz oder lang Groll gegen dich entwickeln. Nun ist es leider so, dass solch sensationell gute Ideen wie das Öffnen der Beziehung selten beiden Partner*innen gleichzeitig kommen. Sondern nur einer Person. Und die muss dann raus damit. Nur wie? In diesem Fall ist es gut, einander gut zu kennen.

Nimmt er die halbe Bude auseinander, wenn du dich eine Viertelsekunde zu lang mit einem anderen Typ unterhalten hast? Dann kannst du deine schmutzigen Phantasien vergessen. Glotzt er hingegen selbst gern auf fremde Hintern, sieht die Sache anders aus. Stell keine Forderungen à la „Ich will eine offene Beziehung!“. Erzähl lieber, wo du von diesem Modell gehört hast und was du daran spannend findest. Die Frage, ob das auch für euch funktionieren könnte, kommt dann von ganz allein.

Erwarte keine sofortigen Entscheidungen. In meiner Beziehung verging von der Äußerung der Idee bis zur tatsächlichen Öffnung ein halbes Jahr – schließlich mussten haufenweise Ängste und Bedenken überwunden und Bedürfnisse ausgelotet werden. Worauf ich hinaus will: Auch, wenn ihr heute noch nicht bereit seid, kann das in drei Monaten bereits anders aussehen.

2. Schweigen ist Scheiße, Reden ist Gold

Wenn ihr eure Eskapaden jeweils mit euch allein ausmacht, ist die Beziehung früher oder später am Ende. In diesem Fall war die Öffnung nur der sanfte Vorbote des Todes. Ich will nicht direkt sagen, dass du deinem Partner oder deiner Partnerin haarklein erzählen solltest, was genau der andere mit seiner Zunge so anstellt und in welchen Stellungen ihr es getrieben habt. Es kann aber ganz hilfreich sein. Erstens, wenn es deinen Liebsten scharf macht (solche Leute soll es ja geben). Und zweitens, wenn einen von euch die Angst vor dem Ausgeschlossen-Sein umhertreibt. Wissen ist Macht. Und falls eine oder einer von euch Machthunger verspürt, kann der durch das Teilen des Wissens sein Futter erhalten.

Andererseits kann Wissen auch die Eifersucht befeuern. Du könntest fragen: „Was? Sie bläst wie ein Göttin? Heißt das also, ich bin schlecht darin?“ Auch wenn all diese beschissenen kleinen Gedanken wunderbare Anlässe sein können, dich selbst und deine Komplexe besser kennen zu lernen, musst du dich ihnen nicht andauernd aussetzen. Ihr werdet euch also herantasten und ausprobieren müssen, wie viele Details Ihr euch zumuten könnt. Bleibt dabei ehrlich, wenn ihr gefragt werdet. Auch euch selbst gegenüber. Kein Zähne-Zusammenbeißen, bloß weil du von dir selbst oder dem anderen Großmut erwartest. Kein Wünsche-Verkneifen, bloß weil du dich deinem Partner oder deiner Partnerin nicht zumuten willst. Das heißt aber nicht, dass du deine Wünsche erfüllt bekommen musst.

Findet Zeiten, in denen ihr über eure Beziehung sprecht. Und zwar nur über eure Beziehung. Plant diese Rede-Zeiten wie andere Verabredungen fest in euren Terminkalender ein. Dies ist ein Befehl! Denn solche Räume sind selbst für Paare, die monogam leben, wichtig. Für euch, die ihr euch raus wagt, sind sie überlebenswichtig.

3. Betreibt Grenzpolitik

Eine offene Beziehung ist kein Freibrief zum Austoben nach Belieben, zumindest nicht sofort. Denn erfahrungsgemäß wird das ein oder andere passieren, das dich aus der Fassung bringt. Ich zum Beispiel wusste nicht, dass ich in der Lage bin, die Küche kurz und klein zu hacken, bis mein Freund beschloss, eine bestimmte Frau zu daten. Macht euch den Anfang so leicht wie möglich, indem ihr gemeinsam überlegt, was eure Grenzen für diesen Moment sind. Vielleicht bekommst du Bauchschmerzen bei dem Gedanken, dass jemand anderes sein Ding bei deiner Freundin reinsteckt – dann wird eben erst mal nur geknutscht. Worum es geht, ist, zunächst einen Rahmen zu schaffen, damit es in diesem Augenblick für euch funktionieren kann. Wenn ihr irgendwann merkt, dass dieser Rahmen zu eng ist, könnt ihr ihn jederzeit erweitern.

Auch wenn es banal klingen mag: Das, was ihr vereinbart habt, ist heilig. Ihr müsst völlig sicher sein, einander vertrauen zu können, denn nur so kann das ganze offene Dings funktionieren. Trotzdem kann es passieren, dass du etwas tust, das ihr ausdrücklich ausgeschlossen habt. Denk dann gar nicht erst daran, es so zu halten wie die meisten Menschen, die etwas Unerlaubtes tun: Eine frische Unterhose anziehen und einfach so tun, als wäre es nie passiert. Auf Dauer schadet es deiner Beziehung, denn all das rumort weiter im Untergrund, dort, wo du keine Kontrolle über die Auswirkungen hast. Sei lieber ehrlich. Und überprüfe zusammen mit deinem Partner oder deiner Partnerin, warum du diesen Schwachsinn machen musstest. Gehen eure Absprachen an deinen Bedürfnissen vorbei? Bist du sie nur widerwillig eingegangen? Oder sind sie schlicht nicht mehr notwendig? Wenn ihr den Grund gefunden habt, lasst euch Zeit mit den Konsequenzen. Oft reicht es schon, die Dinge auszusprechen.

4. Mach aus der Beziehung keinen Egotrip

Vor allem, wenn man schon eine Weile dabei ist, kann es passieren, dass das Spiel mit der freien Liebe zu einer Art Egotrip verkommt. Ein Kick jagt dann den nächsten, ist doch eh alles abgesprochen! Wir sind aber nicht jeden Tag gleich. Manchmal tut heute ein Verhalten weh, das uns gestern nicht weiter interessiert hat. Nimm deinen Partner oder deine Partnerin also ernst, wenn er oder sie sich zurückgesetzt fühlt. Sag ein Date ab, wenn Kuscheln mit dem oder der Liebsten angesagt ist. Jedenfalls, so lange das nicht jedes Mal eingefordert wird, wenn du aus dem Haus willst. Sollte das so sein, solltet ihr nochmal bei Punkt 2 nachgucken. Das Gleiche gilt übrigens auch für dich. Tapferkeit ist was für Kriegshelden, und selbst die bezahlen sie oft mit dem Leben. Nimm dich selbst ernst. Hab Mitgefühl mit dir, wenn du feststellst, dass du zu etwas (noch) nicht bereit bist. Du musst dich dem nicht aussetzen. Gehe so weit, wie du gerade aushalten kannst.

5. Wer ist hier der Boss?

Den sadistischen Chef, das verfluchte Fitness-Abo, die Netflix-Sucht – all das hatten wir immer schon. Jetzt haben wir auch noch ein, zwei oder drei Geliebte dazu. Dass unsere Hauptbeziehung allein aus Zeitmangel draufgeht, ist also gar nicht so abwegig. Was man dagegen tut, kann dir jede drittklassige Frauenzeitschrift sagen: Verbringe Zeit mit deinem Partner oder deiner Partnerin. Diese Person ist in deinem Harem sozusagen die älteste Ehefrau, priorisiere entsprechend. Sie sollte nicht das Gefühl haben, dass du ihr am Ende des Monats gerade so deinen letzten halben freien Abend abquetschst, bevor du dich mit dem heißen Yogalehrer triffst. Halte eure Beziehungs-Dates so fest, wie du nur kannst. Und wehe, ihr bleibt mit einer Flasche Rotwein auf dem Sofa kleben, weil es soooo bequem ist. Gönnt euch ein kleines Abenteuer. Probiert das neue Spa aus. Das ein bisschen zu teure Restaurant. Einen Fetisch-Club – oder rennt weg, sobald ihr die Schwelle betreten habt, weil es euch dann doch zu gruselig ist. Nix gegen Rumhängen. Aber diese Faustregel hat sich bewährt: Was du mit deinem Partner oder deiner Partnerin erlebst, sollte in Summe etwa ebenso aufregend sein, wie das, was deine Affären dir bieten. Sonst bedeutet der Eine irgendwann nur noch „Sofa“ und die Anderen „Abenteuer“. Und jetzt rate mal, wer auf Dauer die besseren Karten hat?

6. Ein Hoch auf die Auszeit

Stellt ihr nach einer Zeit des Ausprobierens fest, dass euch die Offenheit mehr Stress als Spaß bringt? Dann Finger weg! Manchmal gibt es Zeiten, in denen man sich nur noch verkriechen und Streicheleinheiten genießen möchte. Dann geht es nicht ums Prinzip. Nehmt euch die Freiheit, eine Pause einzulegen, wenn ihr sie braucht, und euch gegenseitig so weit zu stärken, bis ihr wieder den Wunsch verspürt, auch andere Menschen in eure Beziehung rein zu lassen. Und wenn nicht? So what! Das hier ist eure Beziehung, und ihr schreibt die Regeln.

Hinweis: Dieser Text wurde am 13. August 2017 erstmals veröffentlicht und am 4. Februar 2021 nochmals publiziert. 

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