Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Alte Freundschaften sind nicht automatisch gut

REHvolution.de / photocase.de

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Eigentlich sollte es zu Zeiten sozialer Netzwerke leichter sein, alte Freund*innen zu behalten. Trotzdem hat meine Mutter mit ihren 57 Jahren immer noch mehr gute alte Freundinnen aus der Schulzeit als ich. Sie hat nämlich eine, ich null. Ehrlich gesagt, habe ich persönlich damit gar kein großes Problem. Aber andere eben. Die werden misstrauisch, wenn sie das hören, und haben tausend Fragen: „Wie kann das sein?“ – „Stimmt was nicht mit dir?“ – „Haben dich deine Mitschüler gemobbt? Und wenn ja, warum? Bist du ein Freak?“

Die Menschen sind also tatsächlich irritiert bis entsetzt, wenn ich sage, dass ich keine Freund*innen von früher habe und das bringt mich selbst dazu, meine sozialen Kompetenzen anzuzweifeln. Speziell, wenn eine neue Bekanntschaft sich von mir distanziert, weil ich auf die Frage nach meinen Freundschaften scheinbar die falsche Antwort habe: „Ist nicht wahr. Die ist deine beste Freundin? Aber die kennst du doch aus dem Studium? Ich meine ... was ist mit deinen guten Freunden? Von Zuhause?“  

Ich verstehe eigentlich gar nicht, was der Typ meint. Denn ich bin nicht mehr dort zu Hause, wo ich aufgewachsen bin. Und habe eben am neuen Ort auch neue Lieblingsmenschen gefunden, die jetzt die guten Freund*innen sind, nach denen er da fragt. Eben die, die ich mir im Studium aus einer ganzen Menge Menschen ausgesucht habe. Aber um zu beantworten, was er eigentlich wissen will: Klar hatte auch ich Freund*innen in der Schulzeit. Nur habe ich sie später nicht behalten. 

Mit achtzehn ging ich weg zum Studieren und kam lange nicht wieder. Das hat viel mit mir gemacht

Unabhängig davon, wie beliebt man in der Schule war, was man ertragen musste oder Dolles erlebt hat – diese Zeit ist für mich rum. Ich habe andere Interessen, andere Gedanken und Probleme, bin sogar, das würde ich zumindest behaupten, ein anderer Mensch geworden. Mit achtzehn ging ich weg zum Studieren und kam lange nicht wieder. Das hat viel mit mir gemacht. Meine alten Schulfreundinnen dagegen sind fürs Studium in der Heimat geblieben und wohnen noch heute bei ihren Eltern oder mit ihrem Freund zusammen – in einem mittelfränkischen Kosmos auf eigenem Grundstück, vier Galaxien entfernt von meiner WG-liebenden-Wirklichkeit.

Das klingt drastisch, fühlt sich aber genau so an, wenn ich einige von ihnen in jährlichen Abständen wiedertreffe. Dann freue ich mich zwar auch aufrichtig, sie zu sehen – stelle aber schnell fest, dass wir nicht nur unterschiedliche Leben führen, sondern meistens einfach keinen Schnittpunkt, nicht mal ein Schnittpünktchen, miteinander haben. Und Himmel, haben wir wenig Verständnis für das Konzept der Anderen!

Beim letzten Treffen mit meiner ehemals besten Freundin musste ich zum Beispiel feststellen: Ich mache einen auf Traveler und Freiheit, denn Journalismus bedeutet auch, kreativ und flexibel zu sein. Sie dagegen arbeitet im Büro einer Behörde und feiert ihre Festanstellung. Als ich dazu gratulierte, dass sie dann ja erst einmal die nächsten Jahre etwas habe, kam entrüstet die Antwort: „Die nächsten Jahre? Ich bin doch nicht doof. Ich hab schon vor, da zu bleiben.“

Mein freischaffendes Ich krümmte sich bei der Vorstellung zu einer Arbeitsstelle, die man ganz in Ordnung findet, „für immer“ zu sagen.  Autsch! Gleichzeitig fand sie mich, ihrem Blick nach zu urteilen, auch ziemlich merkwürdig. Und das bin ich ja irgendwie auch. Denn ich habe andere Werte entwickelt, einen neuen Lebensstil gefunden und bin aus der Welt, in der sie scheinbar immer noch zufrieden ist, schon lange ausgebrochen. Meine Freundin dagegen ist im Grunde noch so, wie ich sie von früher kenne – hat aber vielleicht einen Ticken mehr von dem angenommen, was ich unfairerweise als „spießig“ bezeichne.

 

Für eine echte Freundschaft sehen wir uns zu wenig, kennen wir uns zu schlecht

Kopfschütteln auf beiden Seiten also bei diesem Treffen. Wir beschlossen, das Thema zu wechseln. Das lief auch ganz gut, nur blöd, dass wir von da an beide das Gefühl hatten, uns gegenseitig nicht mehr ernst nehmen zu können. Als sie mich fragte, ob ich denn jemanden hätte, sagte ich, dass meine Beziehung nach einem wunderschönen Jahr leider vor einigen Tagen zu Ende gegangen sei. Zeit und Ort hätten einfach nicht gepasst. Meine Schulfreundin sagte: „Oh, schade“ – und zuckte mit den Achseln. Sie ist seit fast zehn Jahren in einer festen Beziehung.  

Meine Freund*innen  aus dem Studium dagegen fragen nach, weinen mit mir und sind mindestens genau so sauer auf den Ex wie ich. Sie kennen ihn und die Geschichte, wie es angefangen und wie es geendet hat. Natürlich wünschte ich mir manchmal, dass auch meine alten Freund*innen  davon wüssten. Und ebenso, dass ich eine Ahnung davon hätte, was in ihren Köpfen und Leben vorgeht. Aber das ist anstrengend, weil wir schon zu weit weg voneinander sind. Wir können uns so etwas nicht mehr einfach in einer Nachricht schreiben, ein Treffen setzt Wochen und Monate der Planung voraus und bis dahin hat sich der Redebedarf ja auch schon wieder gelegt.

Wir haben keine Defintion mehr füreinander. Für eine echte Freundschaft sehen wir uns zu wenig, kennen wir uns zu schlecht. Für Bekannte waren wir einander aber auch schon zu nah. Also werde ich in Zukunft meine Freundschaftspolitik gegenüber neuen Bekannten einfach so beschreiben: Früher waren wir Freund*innen. Jetzt sind wir frühere Freund*innen. Und das ist okay. Denn wir sparen uns so Kräfte für Menschen, die uns mehr geben können.

* Die Autorin möchte anonym bleiben, um ihre früheren Freund*innen nicht vor den Kopf zu stoßen.

Anmerkung: Dieser Text wurde erstmals am 24.02.2017 veröffentlicht und am 1.2.2021 nochmals aktualisiert. 

  • teilen
  • schließen