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„Es gibt niemanden, der unter Druck am besten arbeitet“

Illustration: Jessy Asmus

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Wer studiert, ist häufig mit vielen Aufgaben konfrontiert: Vorlesungen und Seminare besuchen, Präsentationen vorbereiten, Hausarbeiten verfassen, für Klausuren lernen. Anders als in der Schule ist man im Studium meist selbst dafür verantwortlich, wann und in welchem Tempo man all das erledigt. Warum diese „Freiheit“ oft dazu führt, dass man Aufgaben so lang wie möglich aufschiebt und warum das meistens keine gute Idee ist, erklärt Tabea Scheel im Interview. Sie ist Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Europa-Universität Flensburg.

Seit einiger Zeit scheint das Wort „Prokastination“ in Mode. Vor allem unter Studierenden heißt es oft:„ Ich prokastiniere noch.“ Ist die Prokrastination endlich gesellschaftlich anerkannt?

Tabea Scheel: Die Prokrastination an sich ist schon uralt. Da gibt es Schriften von vor Tausenden von Jahren. Ich vermute eher, dass wir mittlerweile so oft über Prokrastination sprechen und schreiben, weil der Druck zur Selbstoptimierung so viel höher geworden ist.

Inwiefern?

Uns wird suggeriert, dass heutzutage alles möglich ist – und dementsprechend auch nötig. Unser Nachbar fährt dieses Jahr nicht in den Urlaub? Dann hat er wohl seine Möglichkeiten nicht richtig ausgeschöpft. Meine Beziehung läuft nicht rund? Dann sollte ich in spätestens fünf Jahren aber einen anderen Partner haben. Der Druck da mitzuhalten, ist riesig und führt zu einer ständigen Überforderung. Keiner weiß mehr, welches seiner Ziele eigentlich noch Priorität hat – es kommen ja ständig neue Ziele dazwischen. Dadurch ist das Aufschieben von Zielen stärker in den Fokus gerückt.

„Entweder haben wir keine Lust auf den Weg zum Ziel, oder wir trauen es uns gar nicht erst zu“

Warum prokrastinieren wir denn überhaupt?

Dafür gibt es meistens zwei Gründe: Entweder haben wir keine Lust auf den Weg zum Ziel, oder wir trauen es uns gar nicht erst zu. Ersteres ist häufig der Fall, wenn das Ziel vielleicht gar nicht selbst gewählt ist. Wenn jemand anderes von uns zum Beispiel möchte, dass wir mit dem Rauchen aufhören oder Gitarre lernen, wir selbst das aber gar nicht so drängend finden. Das motiviert nicht gerade, dabei ist Willen sehr wichtig um ein Ziel zu erreichen. Unsicherheit kommt wiederum oft aus der einzelnen Sozialisierung: Menschen, die stets gehört haben, dass sie etwas sowieso nicht schaffen, trauen sich tatsächlich auch weniger zu.

Aber es gibt doch auch Menschen die erst unter Druck richtig gut arbeiten können!

Das ist eine typische Ausrede. Es gibt niemanden der unter Druck am besten arbeitet. Tatsächlich zeigen Studien sogar, dass unsere Leistungen schlechter sind, wenn wir prokrastinieren.

Jetzt haben Sie Millionen Studierende die Grundlage ihres Daseins genommen.

Mit diesen Aussagen mache ich mich tatsächlich auch bei meinen Studierenden immer sehr unbeliebt. Aber tatsächlich ist es doch so: Wer beispielsweise bei einer Hausarbeit prokrastiniert, kann den Text vor der Abgabe meist nicht noch einmal gründlich überprüfen. So entstehen Fehler, manches ist nicht zu Ende gedacht.

Aber oft kommt man damit ja gut durch.

Genau – man kommt durch. Aber richtig gut ist es meistens nicht. Außerdem fühlt man sich schlecht dabei, weil man ja weiß, dass durch das Aufschieben negative Konsequenzen drohen. Dass nun wirklich nichts mehr vor der Abgabe dazwischen kommen darf. Das blockiert. Tatsächlich gibt es zu diesem Verhalten aber noch eine Steigerungsform. Für manche ist das Risiko eine Punktlandung hinzulegen ein richtiger Rausch, den sie brauchen. Das ist dann aber keine Prokrastination mehr sondern eine Persönlichkeitseigenschaft, wir sprechen da vom „Sensation Seeking“.

Tabea scheel

Tabea Scheel ist Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Europa-Universität Flensburg.

Foto: privat

„Man sollte große Ziele in kleine Schritte zerlegen – möglichst auf Tagesebene“

Warum reden wir besonders oft bei Studierenden über das Thema Prokrastination?

Die Universität ist ein besonders interessantes Umfeld um über das Erreichen und Aufschieben von Zielen zu forschen – nicht umsonst werden meines Wissens 70 Prozent der Studien zu dem Thema mit Studierenden durchgeführt. Die bekommen zu Unibeginn nämlich ein Ziel vorgesetzt, den Studienabschluss, und müssen das irgendwie alleine erreichen. Wer da kein Zeitmanagement und keine Selbstregulation betreibt, bleibt auf der Strecke. Durch das Bachelor- und Mastersystem hat sich dieser Aspekt verbessert, das funktioniert ja eher wie in der Schule. Wobei man natürlich diskutieren kann, ob die Uni nicht gerade anders als die Schule funktionieren sollte.

Was hilft denn nun wirklich gegen Prokrastination?

Man sollte große Ziele in kleine Schritte zerlegen – möglichst auf Tagesebene. Das macht große Vorhaben überschaubar und man hat täglich das Gefühl „alles geschafft zu haben“. Auch sich gegenseitig zu unterstützen, in dem man sich zum Beispiel in der Gruppe verpflichtet bestimmte Ziele zu erreichen, kann helfen. Wenn man sich dabei trotzdem weiterhin nicht gut fühlt muss man auseinandernehmen, was genau eigentlich das Problem ist und dafür Lösungen suchen. Ist die Ablenkung zu groß? Dann könnte man in die Bibliothek gehen. Sind die weiteren Schritte bei der Arbeit unklar? Dann sollte man mit etwas Leichtem anfangen, zum Beispiel dem Inhaltsverzeichnis, anstatt direkt in die Theorie einzusteigen. Dann hat man trotzdem am Ende des Tages schon etwas geschafft. Und die Deadline für sich selbst vor die offizielle Abgabe zu ziehen kann auch helfen.

Gibt es eigentlich auch ein Gegenteil von Prokrastination?

Zielstrebigkeit. Und tatsächlich auch den Begriff „Präkrastination“. Den habe ich zumindest mal gelesen. Das bedeutet, dass man Dinge früher tut als notwendig wäre, allerdings gibt es dazu nur sehr experimentelle Studien. Tatsächlich sind mir aber in meiner Berufslaufbahn auch schon zwei, drei Studierende begegnet, denen man eine Aufgabe gibt und die kommen dann nach fünf Minuten wieder und sind fertig. Da könnte man vielleicht von Präkrastination sprechen.

Das sind sicher auch so Menschen, die zu Verabredungen immer zu früh kommen.

Da würde ich eher von Zwanghaftigkeit sprechen (lacht). Ich meine eher Menschen, die Aufgaben erledigen ohne sie aufzuschieben. Die Hausarbeit schreiben ohne die Wohnung zu putzen. Auf solche Menschen bin ich aber auch sehr neidisch.

Dieses Interview erschien erstmals am 17.07.2016 und wurde am 18.04.2021 nochmals als Best-of-Text veröffentlicht.

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