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Warum sich verrückte Aktionen beim Kennenlernen lohnen

Die Ampel steht auf Liebe.
birdys/photocase.de

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Einer hat mal eine Tanne ausgerissen, auf dem Nachhauseweg von einer Bar, und sie dann auf seiner Schulter mit in die Tram genommen. Seine WG brauchte schließlich noch einen Weihnachtsbaum.

Eine hat mal bei Fremden geklingelt, nur um herauszufinden, wer denn in diesem urig-schönen Haus wohnt, mitten in der Stadt.

Einer hat mal eine andere Huckepack genommen – ohne Grund und höchstens eine halbe Stunde nach dem Kennenlernen. Und dabei noch ihren Kopf an einen Türrahmen gestoßen.

All diese Geschichten, könnte man meinen, handeln von bedeutungslosen Dummheiten. Stimmt aber nicht. Im Gegenteil: Freund*innen haben sie mir erzählt – und zwar als Grund fürs Verlieben. Oder wenigstens für diese temporäre Verknalltheit, aus der heraus man sich kurz fragt, ob das nicht vielleicht was werden könnte.

Man muss neue Wege zum Verknalltsein finden

Warum sich Menschen in diesen banalen Tannenbaum-Fremdklingel-Huckepack-Momenten verknallt haben? Wo sie doch etwas mindestens leicht Bescheuertes hatten? Weil sie unvorhergesehen kamen natürlich. Sie alle waren eine Überraschung. Und überrascht werden, das passiert viel zu selten. Gerade bei Dates.

Doch, doch. Denn es ist ja so, dass es heute unzählige Möglichkeiten gibt in der Liebe. Genauer: Um Liebe anzubahnen. Und mit den Möglichkeiten kommt die Wiederholung: Anna von Tinder mag nett und lustig sein, aber Zoe von der letzten Party ist das ja auch. Was die Antons dieser Welt an Esprit zu bieten haben, das können die Pauls schon lange. Man trinkt viele Biere mit vielen Menschen. Ob jemand dabei toll zuhört und von spannenden Dingen erzählt, mit denen man etwas anfangen kann: Das ist zwar wichtig, macht ihn oder sie aber nicht unbedingt einzigartig. Und damit auch nicht zu dem oder der Einen, in den oder die man sich schnell verlieben muss. Weil es – zumindest für den ersten Impuls – manchmal eben noch mehr braucht.

Weil also all das Reinsteigern und einander-wirklich-Mögen hin und wieder notwendig ist, muss man neue Wege zum Verknalltsein finden. Und was könnte es da Sinnvolleres geben, als Außeralltäglichkeiten, Besonderheiten? Oder wenigstens deren Simulation!

Die Momente können noch so banal sein, noch so blöd – immerhin sind sie einzigartig

Es gibt da diese Szene in „Garden State“, in der Natalie Portman als Sam ausnahmsweise nicht mehr Natalie-Portman-wunderbar aussieht – und die gerade deshalb einer ihrer berühmtesten Filmmomente ist: Sie verzieht das Gesicht, reckt die Arme wie zwei zappelnde Fische und macht ein seltsames Blah-Blah-Blah-Geräusch. Dann erklärt sie ihren „Tanz“ zu einer einmaligen Sache in der Geschichte der Menschheit. Wann immer sie sich furchtbar gewöhnlich finde, mache sie Bewegungen, die noch niemand zuvor gemacht habe. Und prompt fühle sie sich wieder einzigartig. 

Und nach genau diesem Prinzip kann man sich trotz all der Wiederholung verknallen: Ein Tannenbaum in der Tram und Huckepack. Ein bisschen Idiotie, eine klitzekleine Verrücktheit – wirkt besser als jeder Blumenstrauß. Denn im Gegensatz zu Rosen oder Tulpen oder einer netten Unterhaltung brechen diese Momente mit der Norm, mit Erwartungen an angemessenes Verhalten. Die Momente können noch so banal sein, noch so blöd. Immerhin sind sie einzigartig. Endlich wieder eine Überraschung! Und dank dieser Überraschung grinsen Leute, die ständig andere Leute treffen, dann plötzlich in sich hinein und fragen sich das Unmögliche: 

Ist das jetzt vielleicht etwas Besonderes?

Möglicherweise stellt sich bald heraus: Nein, das ist ganz und gar nichts Besonderes. So gut versteht man sich doch nicht. Der Weihnachtsbaum-schleppende Kerl oder die Spontanklinglerin können nicht zuhören. Sie sind nicht gerade tiefgründig, nicht witzig oder sie passen einfach nicht zu einem. Aber was soll’s, Verknallen ist eben unvernünftig und denkt erst mal nicht an die Zukunft. Gerade das macht es ja so schön.

Am Ende bleibt einem immerhin dieser eine verrückt-doofe Moment – und der war so perfekt, dass man hin und wieder mit einem „Hihi“ daran denken wird. Bis man, wenn man gerade gar nicht damit rechnet, von neuem überrascht wird. Und vielleicht ist es ja diesmal etwas Besonderes.

Dieser Text wurde zum ersten Mal am 01.01.2017 veröffentlicht und am 06.12.2020 noch einmal aktualisiert.

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