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Kommt la Revolución?

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Kein Jahr ist es her, da schwebte Spaniens Jugend auf Wolken. Hun­derttausende zogen auf die Straßen und feierten den Sieg bei der Fußball-WM. Es war ein Sommermärchen, ein Traum. Die Wirklichkeit sah anders aus.
Schon damals war mehr als jeder Dritte junge Spa­nier arbeitslos. Von der Nacht des WM-Triumphs blieb vielen nur ein übler Kater, der bis heute wirkt. In die­sen Tagen ziehen Spa­niens Jugendliche wieder auf die Stra­ßen. Zu Tausenden. Doch statt Euphorie treibt sie nun die Wut. Es ist die lange unterdrückte Wut einer Generation, die sich von der Politik im Stich ge­lassen fühlt. Zweieinhalb Jahre nach Beginn der Finanzkrise hat die Jugendarbeitslosigkeit ein Rekordhoch von fast 45 Prozent er­reicht. Jetzt scheint die Geduld der Jugend am Ende zu sein.

Seit dem Wo­chenende bela­gern zehntausende Demonstranten die Plät­ze in allen großen Städten des Landes. Weil keine Besse­rung in Sicht ist, könnten die Auf­stände der An­fang einer breiten Protest­welle sein. Es herrscht Endzeit­stimmung im Welt­meister-Land. „Wir haben lange still gehalten, aber inzwischen hat auch der Letzte verstanden, dass wir nur etwas erreichen können, wenn wir uns verbünden und auf die Straße gehen“, sagt Pablo Padilla von der Protestbe­wegung „Juventud Sin Futuro“ („Jugend ohne Zukunft“). Über Facebook und Twitter organisieren sich inzwischen rund 200 Gruppierungen, an deren Spitze das Pro­jekt „Democracia Real Ya!“ („Echte Demokratie, jetzt!“) steht.

Für Iván Miguel hätte der Sturz von der Euphorie in die Depres­sion kaum heftiger sein können. Am Morgen nach dem WM-Finale bekam der 23-jährige Kellner einen Anruf seines Chefs. Er wurde entlas­sen. Nach nur vier Wochen war er wieder arbeitslos, die Su­che nach ei­ner Perspektive begann von vorne. „Für mich ist eine Welt zusam­mengebrochen“, sagt Iván, der eigentlich Elek­triker ist.

Iváns Schicksal ist kein Einzelfall: Viele junge Spanier haben sich längst vom Gedanken verabschiedet, einen Job zu bekommen, der ih­ren Qualifikationen entspricht. Auch wer einen Universitätsab­schluss hat, muss sich bisweilen glücklich schätzen, wenn er einen Gelegenheitsjob als Schuhverkäufer oder Barmann bekommt. Selbst unbezahlte Praktika sind kaum mehr zu kriegen, ohne Chan­ce auf einen Job beginnen viele ein Zweitstudium oder promovieren.
Doch was ist ein Doktortitel noch wert, wenn irgendwann jeder einen hat? Ohne Ein­kommen bleibt Tausen­den nur eine Alternative: zurück ins Eltern­haus. Auch Iván lebt wieder bei seinen Eltern: „Ich bin kein 14-Jähriger mehr, der sei­nen Vater um 20 Euro bet­telt, da­mit er abends weggehen kann. Jetzt tue ich das manchmal wieder. Du willst dein Leben le­ben, aber du kannst nicht. Ich brau­che Ar­beit, sonst ersti­cke ich.“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wird das die "spanische Revolution"?

Kaum ein europäisches Land hat die Wirtschafts- und Finanzkrise härter getroffen als Spanien. Der Boom der Baubranche garantierte über Jahre hinweg genug Jobs für junge, häufig ungelernte Arbeits­kräfte. Doch als die Finanzkrise die Immobilienblase platz­ten ließ, ging die Mehrzahl dieser Stellen verloren. Der Einbruch im Bausektor zog eine Lawine nach sich, die fast alle Wirtschaftsbe­reiche erfasste. Die Folge war eine Kettenreaktion, die nach VWL-Lehrbuch klingt: Weil Aufträge ausbleiben werden Jobs ab­gebaut, weil Arbeitslose weniger Geld zur Verfügung haben sinkt die Kauf­kraft und die Steuereinnahmen des Staates. Die gesamte Wirtschaft kollabiert. Und weil die meisten Jugendlichen nur be­fristete Ar­beitsverträge besitzen, sind sie diejenigen, die Ent­lassungen als Erste treffen.

Für Pablo Padilla gibt es kei­nen Zweifel, wer verantwortlich ist für die Job-Misere und den Frust einer gan­zen Generation: „Schuld tragen natür­lich die Banken und Wirtschaftskonzerne, aber eben auch die politische Klasse, die sich zu deren Komplizin gemacht hat“. Spa­niens Jugend, glaubt Pablo, zahlt die Zeche für die große Party der Spekulanten vor der Finanzkrise: „Dabei sind wir diejenigen, die am wenigsten dafür können.“ Spaniens Regierung ist in Alarmbereitschaft. Der Grund: Am Sonn­tag finden Kommunalwahlen statt, die Demonstranten rufen dazu auf, für keine der beiden großen Volksparteien zu stimmen. Weder für die regierenden Sozialisten der PSOE, noch für die größte Opposi­tionspartei, die konservative PP. Um ein Zeichen des Protests zu setzen, will man ausschließlich die kleineren Parteien wählen. „Aber im Grunde“, sagt Pablo, „interessiert uns gar nicht so sehr der Wahltag am 22. Mai. Für die jungen Leute geht es schlicht darum, wie es am 23., 24. und 25. Mai weitergeht.“

Welche Auswirkungen die Demos auf die Kommunalwahl haben, werden aus der Ferne auch jene Jugendlichen beobachten, die ihr Glück in­zwischen im Ausland suchen. Dass immer mehr hochqualifizierte jun­ge Spanier das Land verlassen, ist der vielleicht gefährlichste Dominoeffekt der Krise. Denn Spanien verliert mit ihnen ausgerech­net jenes wertvolle Humankapital, das gerade in Zeiten der Krise und des demografischen Wandels für die Moderni­sierung des Landes notwendig wäre. Auch Pablo ist deswegen be­sorgt: „Wenn ich die Einzelschicksale betrachte, kann ich es ver­stehen, wenn jemand nach Frankreich, Deutschland oder in die Schweiz geht. In Spanien gibt es nun mal keine Arbeit. Aber ich würde mir wünschen, dass jeder Einzelne begreift, dass es ein kol­lektives Problem ist, das wir nur gemeinsam lösen können. Wenn je­der seinen eigenen Weg geht, bringt uns das nicht weiter.“

Wie der gemeinsame Weg aussehen könnte, ist derzeit an der Puer­ta del Sol zu sehen. Seit Tagen belagern Demonstranten den Platz im Zentrum Madrids, manche haben Zelte aufgeschlagen und verbrin­gen auch die Nächte dort. Ihr Motto: „Yes, we camp!“ Die britische BBC vergleicht die Proteste gar mit den jüngsten Ereignissen auf dem Tahrir-Platz in Ägypten. Nicht zuletzt deshalb, weil die Jugendli­chen sich auch in Spanien über das Internet organisieren und bis­lang eine friedliche Strategie verfolgen. Für Pablo und seine Gruppe steht fest: Die aktuellen Demonstrationen sind nur der Be­ginn einer langen Protestwelle. „Wir wollen zeigen, dass die Demos nicht die Idee einzelner Romantiker ist, sondern Ausdruck der Un­zufriedenheit eines ganzen Volkes mit den unsozialen Maßnah­men des Staates.“

Bisher scheint der Plan zu funktionieren. Waren die Demonstran­ten anfangs vor allem Studenten, ziehen nun immer mehr Menschen aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten zur Puerta del Sol. Dort­hin, wo während der Fußball-WM das riesige Werbeplakat eines Sportartikelherstellers hing. Es zeigte Andrés Iniesta, den Sieg­torschützen des WM-Finales. Der Slogan: „Es ist unser Jahr. Es wird unsere Ära sein.“ Ein Jahr nach den Fußballern will auch Spa­niens Jugend eine neue Zeitrechnung einleiten. Die Proteste könn­ten der Anfang sein.

Text: andreas-glas - Foto: AFP

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