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Very Canadian, eh? Folge acht der Kanada-Kolumne

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Was macht mich zu einer Kanadierin? Mein Pass, mein kanadischer Vater - also Blutsrecht, wie in Deutschland üblich - oder eine bestimmte in Kanada verbrachte Lebenszeit?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Um diese Fragen für mich zu beantworten, lese ich derzeit das Buch „How to be a Canadian“. Eine amüsante Lektüre, die alteingesessenen Kanadiern und Neuankömmlingen gleichermaßen die kanadische Lebensweise erklären will. Ein langes Kapitel ist dem kanadischen Erkennungsmerkmal schlechthin gewidmet: dem „eh“, eine Art kanadisches „gell“ oder „wa“. Da „eh“ ähnlich wie das deutschen „ey“ klingt, geht es mir leicht über die Lippen. Für Neulinge empfehle ich Sätze wie, „good eh?“ oder „not bad eh?“ - auch wenn es sich streng genommen nicht um einen Satz handelt, kann man damit schon enorm punkten. Eine erste Qualifikation auf dem Weg zur Kanadierin scheint erreicht. Das englischsprachige Kanada ist oftmals eine Schnittmenge aus britischem und amerikanischem Englisch. Hier versteht man beides. Aber es gibt auch kanadische Worte wie zum Beispiel „toque“, zu deutsch Mütze, die man nur im Land des Ahornsirup und Eishockey findet. Es gibt andere Eigenarten, die nicht unerwähnt bleiben sollen. Kanadier sind dafür bekannt, sich ständig und für alles zu entschuldigen. Und in diesem Fall fußt das Klischee auf Realität. Ein Witz, den man hier gerne erzählt: Was sagt ein Kanadier, wenn Du ihm auf den Fuß trittst? - Entschuldigung! Die Ferguson-Brüder behaupten in ihrem Ratgeber „How to be a Canadian“, dass Kanadier sich zwar ständig entschuldigen, dies aber nicht Ernst meinen. Ich würde das Gegenteil behaupten. Kanadier finden, dass sie sich ständig und oftmals für nichts entschuldigen müssen. Mit dem Wort "Sorry" kommt die Freundlichkeit. Ich finde, die Menschen in Vancouver sind extrem freundlich. Die Busfahrer sind kaum zu übertreffen, und das nicht nur, weil sie es schaffen, freundlicher zu sein als Berliner Busfahrer. Menschen auf der Straße grüßen, halten einander die Tür auf, für ein „how is it going?“ scheint immer Zeit. Auch die Autofahrer wirken vergleichsweise entspannt, überlassen anderen auch mal die Vorfahrt und halten Fußgänger nicht nur für Störfaktoren. In British Columbia haben Fußgänger per Gesetz Vorfahrt. Ich übertreibe nicht! Autofahrer halten mitten auf der Straße für Fußgänger, und das nicht nur in kleinen Nebenstraßen. Sowas passiert in Deutschland nur auf dem Dorf. (Eine Anmerkung für interessierte Auswanderer: Der deutsche Autoführerschein wird ohne weitere Tests anerkannt. Das gilt allerdings nicht für den Motorradführerschein und andere Klassen.) Während Deutschland eine starke Autolobby hat, scheinen in Kanada die Mobilfunkanbieter tun und lassen zu können, was sie wollen. Die Preise für Handyverträge sind unverhältnismäßig hoch. Ein Verkäufer erzählte mir neulich, dass insbesondere Kunden aus Europa die Luft anhalten, wenn sie für einen schnöden Prepaidvertrag 60 Dollar und mehr bezahlen müssen. Nicht nur, dass Handyverträge in Kanada generell teuer sind - in British Columbia sind die Preise am höchsten. Vancouver ist eine wunderschöne, aber teure Ecke. Für alle, die eine längere Zeit in Nordamerika verbringen wollen: Anders als in Deutschland müssen in Kanada und den USA beide Gesprächspartner zahlen. Sowohl die Person, die anruft, als auch die, die angerufen wird. Deshalb wird kontinuierlich konsumiert: Niemand kann sich auf seinem Prepaid Handy ausruhen und erreichbar bleiben, auch wenn das Guthaben aufgebraucht ist. Verwunderlich ist zudem, dass die Handys bei einem Besuch in den USA gar nicht funktionieren oder aber die Roaming-Gebühren sind so hoch, dass sich viele Kanadier lieber gleich ein US-Handy anschaffen. Das erscheint besonders absurd, wenn man bedenkt, dass 80 Prozent der Kanadier im Grenzgebiet zu den USA wohnen. Während man sich in Vancouver notgedrungen an das hohe Preisniveau gewöhnt hat, wächst derzeit der Ärger über die anstehenden Olympischen Winterspiele, die im Februar in Vancouver und Whistler stattfinden. Viele wollen einfach nur die Stadt verlassen, andere holen ihre Fahrräder aus dem Keller, um dem erwarteten Verkehrschaos zu trotzen. Wer nicht von den Touristen profitiert, schließt sein Geschäft während der Spiele. Straßen werden gesperrt, Parken ist in vielen Hauptstraßen untersagt. Die Parkgebühren wurden schon jetzt massiv erhöht und die Parkzeiten verlängert. So wächst der Frust bei vielen nicht-organisierten Kritikern. Besonders Eltern sind enttäuscht, dass im Vorfeld der Spiele die Stadt das Budget für Schulen, Kindergärten und andere soziale Einrichtungen massiv gekürzt hat. Für die organisierten Kritiker der Spiele beginnt nun die heiße Phase. Parallel zu der Eröffnung der „Cultural Olympiad“, dem kulturellen Begleitprogramm zum Sportereignis, rufen Gegner zu einer Demonstration „gegen Polizeirepressionen“ auf. Viele Aktivisten berichten, dass sie selbst sowie auch ihre Vermieter, Arbeitgeber und Eltern im letzten Jahr häufiger Besuch von der Polizei hatten. Die grundsätzliche Kritik der Gegner lautet: Es gehe dem Olympischen Komitee (IOC) weniger um den Sport als ums Geschäft. Sponsoren und Branchen wie Tourismus, Immobilien und Medien profitierten von den Olympischen Spielen, während die Bewohner der Austragungsorte die negativen Konsequenzen zu spüren bekommen. Auch der US-Sportjournalist Dave Zirin ist in der Stadt. Der preisgekrönte Journalist ist die kritische Stimme im US-Sportjournalismus. Für sein aktuelles Buch „A People's History of Sports in the United States“ recherchierte Zirin die sogenannten „Athlete Activists“, Sportler also, die sich gegen Rassismus und den Vietnamkrieg positionierten. Das populärste Beispiel ist Mohammed Ali. Zirin erzählt von einem äußert politischen Mohammed Ali, der sich, trotz Aberkennung seiner Goldmedaille, gegen Rassismus und den Vietnamkrieg aussprach. Zirin schreibt Bücher und Kolumnen über die Vermischung von Politik und Sport und die Macht des IOC. Seiner Meinung nach sind Olympia-Gegner nicht gleichbedeutend mit Sportgegnern. „Es geht vielmehr darum, den Sport zurückzuerobern“, erklärt der Journalist in seiner Lesung. Das Publikum in Vancouver klatscht Beifall. Gerade wurde bekannt, dass das Skigebiet Whistler während der Olympischen Spiele zum Verkauf stehen wird, da die bisherigen Eigentümer, eine Investorengruppe, pleite gegangen sind. Es wird definitiv eine spannende Zeit.

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