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3. Dezember

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Wunschzettel  

Eigentlich zucke ich bei diesem Wort zusammen, denn ich bin ein Weihnachtsmuffel. In meiner Wohnung gibt es weder Adventskranz noch Sternenleuchten, auf meinem Tisch stehen keine Plätzchen und ich gehe an Heiligabend nur in die Kirche, damit meine Mutter nicht alleine gehen muss, da ich nämlich ausgesprochen un-gläubig und aus dem Verein ausgetreten bin. Wunschzettel lösen bei mir meist Stress aus, denn einerseits möchte meine Familie Wünsche sehen, weil sie nicht weiß, was sie mir schenken soll, andererseits habe ich selten welche. Wenn ich im Laufe des Jahres mal etwas haben will, kaufe ich es gleich oder vergesse es bis Weihnachten wieder.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Wunsch bleibt chrinamu jedes Jahr: Eine Katze wie Othello

Auch bei den nicht-materiellen Dingen bin ich ein solches Glückskind, dass es eigentlich nur einen Wunsch gibt, der mich durch die Jahre begleitet und den ich mit einem leisen Seufzer vortrage: Ach, eigentlich hätte ich so gern eine Katze. Aber das geht ja nicht. Deshalb nämlich, weil ich morgens um halb acht aus dem Haus gehe, abends um sechs nach Hause komme und im Schnitt nur zwei von sieben Abenden in der Woche zu Hause verbringe, ach ja, und eine Wochenendbeziehung habe ich auch noch. Die Katze würde mich also entweder sehr schnell vergessen oder gleich ganz verhungern.

Aber, ach... und an dieser Sehnsucht ist Othello schuld. Othello war der schwarze Kater, den sich meine Familie nach langen Jahren des Bettelns (nicht nur wir Kinder, sondern auch meine Mutter bettelten, aber mein Vater behauptete stur, er möge keine Katzen) endlich zulegte, als ich elf war. Er wurde auf dem Bauernhof nebenan im Kuhstall geboren und zog als Baby mit Freuden zu uns um, bezauberte sowohl unseren Hund als auch meinen Vater innerhalb weniger Wochen und verbrachte von da an jede Minute mit uns.   Es gibt Katzen, die nur zum Fressen vorbeikommen, aber mit Othello war das anders. (Den literarischen Namen bekam er übrigens, weil Freunde meiner Eltern gerade mit sehr kreativen Katzennamen angaben und meine Familie da offensichtlich mithalten wollte.) Er lag möglichst stundenlang entweder in einem unserer Betten oder auf einem unserer Bäuche, und jeder, bei dem er es sich gemütlich machte, dachte natürlich insgeheim, dass der Kater ihn am liebsten hätte. Nachts schlief er in meinem Bett, und es machte mir trotz teenagertypischer Schläfrigkeit nichts aus, dass er prinzipiell schon um halb sechs Uhr morgens hinausgelassen werden wollte. Nachdem er einmal herausgefunden hatte, dass er über eine Kiefer vor meinem Dachfenster aufs Dach klettern konnte, saß er fortan jede Nacht vor meinem Fenster und maunzte, bis ich ihn durchs Fenster hineinließ. Als ich ins Austauschjahr nach England abreiste, schenkten mir meine Eltern ein Foto von ihm als Andenken, und als ich in meine erste eigene Wohnung gezogen war, verbrachte ich die allererste Nacht sehr melancholisch allein in meinem Bett - denn Othello war nicht mit mir in die Stadt gezogen.  

Er nahm mir den Auszug übel und schmollte einige Zeit, oder so deutete ich das vermenschlichend in seinen klugen Katzenkopf hinein. Erst ein paar Monate nach meinem Auszug legte er sich wieder auf meinen Bauch, wenn ich bei meinen Eltern zu Besuch war. Und das ging noch eine ganze Weile so, denn Othello wurde sehr alt. Sogar meinen Liebsten lernte er als alter, schon etwas ausgebleichter Kater noch kennen und setzte sich auch ihm gleich zutraulich auf den Schoß, was ich ganz romantisch als Geste im Sinne von "Ich geb euch meinen Segen" deutete. Als er vor drei Jahren dann an einer scheußlich langwierigen Krankheit starb, heulte meine ganze Familie insgeheim in ihre Kissen.  

Und nun sitze ich also hier und wünsche mir eine Katze, die ich nicht haben kann. Meine Eltern haben sich nach einer gewissen Zeit des Trauerns wieder eine zugelegt, und es ist eine, die ständig große Vögel jagt und nur zum Fressen vorbeikommt. Wenn ich also ehrlich bin, will ich vielleicht doch nicht wieder eine Katze haben. Ich will wieder die eine zurück.

Der Beitrag stammt von jetzt-Userin chrinamu

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